Debatte Vergewaltigungsparagraf: „Nein“ heißt endlich „Nein“
Vergewaltigung ist in Deutschland bisher zwar verboten. Doch wo sie beginnt, ist Auslegungssache. Der Europarat stärkt nun die Rechte der Frauen.
![](https://taz.de/picture/75393/14/05012014_imagoMcPHOTO_nein.jpg)
E igentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, doch in Deutschland wurde sie erst einmal mit ungläubigem Staunen quittiert: Wer sexuell in eine Frau eindringt, obwohl sie das abgelehnt hat, soll sich künftig strafbar machen.
Dies fordert die Istanbul-Konvention des Europarats, die am 1. August in Kraft getreten ist. Die Konvention schreibt vor, dass die Staaten jede „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlung“ unter Strafe stellen. Deutschland hat die Konvention unterzeichnet, ist also zur Anpassung seines Strafrechts verpflichtet. Damit würde die alte Losung der Frauenbewegung „no means no – Nein heißt Nein“ endlich umgesetzt.
Ein Selbstläufer ist das aber nicht, wie das Verhalten von Justizminister Heiko Maas (SPD) zeigt. Erst behauptete er, dass die deutsche Rechtslage schon den Anforderungen der Konvention genüge. Wer das nicht erkenne, sehe das Thema Vergewaltigung wohl „zu weiblich“, soll er laut Spiegel gesagt haben. Aus Parteiräson und auf Druck einiger Ministerinnen plant er nun zwar doch eine Reform, startete aber erst einmal eine Umfrage bei den Ländern, ob wirklich Bedarf bestehe.
Auch manch liberale Juristen, wie der BGH-Richter Thomas Fischer, reagieren allergisch, wenn „Strafbarkeitslücken“ geschlossen werden sollen. Es geht hier aber nicht um die – tatsächlich problematische – Bestrafung von Meinungen, Vorbereitungshandlungen oder abstrakt gefährlichem Verhalten. Nein, hier geht es um den konkreten Schutz der körperlichen Integrität und der sexuellen Selbstbestimmung, also um zentrale Werte eines rechtsstaatlichen Strafrechts.
Ein „Nein“ ist nicht genug
Laut deutschem Strafgesetzbuch (Paragraf 177) gilt derzeit ein Geschlechtsverkehr nur dann als Vergewaltigung, wenn er mit Gewalt oder bestimmten Drohungen erzwungen wurde oder wenn der Täter eine schutzlose Lage ausnutzte. Es genügt also nicht, dass eine Frau eindeutig Nein gesagt hat und der Mann dann trotzdem in sie eindringt.
So wird zum Beispiel nicht als Vergewaltigung bestraft, wenn die Frau den abgelehnten Sex über sich ergehen lässt, weil die Kinder im Nachbarzimmer schlafen und diese von dem Konflikt nichts mitbekommen sollen. Zwar müsste der Fall nach der neuen Konvention bestraft werden. Mit dem deutschen Recht ist das aber nicht möglich, denn es wurde weder Gewalt angewandt noch angedroht, noch wurde eine schutzlose Lage ausgenutzt.
Aber auch bei allen drei gesetzlichen Merkmalen der Vergewaltigung gibt es große Strafbarkeitslücken, vor allem weil sie von den Gerichten sehr eng ausgelegt werden.
So gilt es nicht als nötigende Gewalt, wenn sich der Mann gegen Proteste der Frau einfach auf sie legt. Denn dies sei bereits Teil der sexuellen Handlung und keine Gewalt zur Erzwingung des Sex. Auch das plötzliche Packen an der weiblichen Brust könne keine sexuelle Nötigung sein, weil die überraschte Frau noch gar keine Ablehnung geäußert hatte.
Außerdem muss die Gewalt in der konkreten Situation ausgeübt werden, es genügt nicht, dass in einer Beziehung ein allgemeines Klima der Gewalt herrscht. So gilt es nicht als nötigende Gewalt, wenn der Mann früher gewalttätig war und die Frau Angst vor erneuten Prügeln hat, falls sie sich ihm verweigert.
Einwilligung in Todesangst
Auch bei der Nötigung per Drohung gibt es große Strafbarkeitslücken. So muss sich die Drohung hier ebenfalls auf die konkrete Situation beziehen. Was das heißt, zeigt folgender Fall, den der Bundesgerichtshof (BGH) 2012 entscheiden musste: Ein Mann suchte seine Exfrau auf, um eine Aussprache zu erzwingen.
Dort erschießt er einen Besucher und droht der Frau, sie sei „die nächste“, wenn sie nicht mitkomme. Sie begleitet ihn in ein Hotel, wo er plötzlich Sex fordert; in Todesangst willigt sie ein. Der BGH kann darin keine Vergewaltigung erkennen – denn die Drohung des Mannes habe sich auf eine Aussprache bezogen, nicht auf Sex.
Außerdem erfasst der Vergewaltigungsparagraf nur Drohungen mit einer Gefahr für Leib und Leben. Es greift zum Beispiel nicht, wenn ein Mann seiner ausländischen Frau droht, er werde ihre Abschiebung einleiten, falls sie sich ihm sexuell verweigert.
Meist bleibt der Täter straffrei
Selbst das erst 1997 eingeführte Merkmal „Ausnutzen einer schutzlosen Lage“ wird von der Rechtsprechung so eng ausgelegt, dass es kaum zusätzlichen Schutz bringt. So verlangt der BGH, dass die Lage für die Frau „objektiv“ schutzlos sein muss, es genüge nicht, dass sie das nur annimmt. Wenn zum Beispiel Menschen in der Nähe waren, die die Frau durch Schreien hätte alarmieren können, verneint der BGH eine schutzlose Lage, auch wenn die Frau von diesen Menschen gar nichts wusste.
Nur in wenigen dieser Konstellationen kann die Tat aufgrund einer anderen Norm bestraft werden, etwa als Nötigung. Meist aber bleibt der Täter derzeit straffrei qua Gesetz – was schlichtweg nicht akzeptabel ist.
Hauptargument vieler Reformskeptiker ist die schwierige Beweisbarkeit von Sexualdelikten ohne Gewaltanwendung. Doch schon heute setzt eine Vergewaltigung nicht zwingend Gewalt voraus. So hinterlässt eine Drohung keine ärztlich attestierbaren Spuren, ebenso wenig das Ausnutzen einer schutzlosen Lage.
Es ist deshalb abwegig, strafwürdiges Verhalten nur wegen möglicher Beweisprobleme straffrei zu lassen. Eine vergewaltigte Frau sollte selbst entscheiden können, ob sie Anzeige erstattet oder nicht.
Es ist ein Männerstrafrecht
Es braucht auch niemand Angst vor einer Bürokratisierung der Sexualität haben. Auch künftig müssen vor dem Sex keine Einverständniserklärungen unterschrieben werden. Für die Strafbarkeit wird vielmehr entscheidend sein, dass der Mann den erkennbaren Willen der Frau missachtet und trotzdem in sie eindringt.
Dass dies nicht schon längst der Maßstab der Strafbarkeit ist, kann historisch wohl nur damit erklärt werden, dass typischerweise Männer die Täter und Frauen die Opfer sind.
Wäre es umgekehrt, sähe das Strafrecht schon seit Jahrhunderten so aus, wie es erst jetzt zum europäischen Standard wurde.
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