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Debatte Genozid in Deutsch-SüdwestafrikaGuter Zeitpunkt für Reparationen

Kommentar von Ursula Ackrill

Vor über 100 Jahren verübten Deutsche einen Genozid an Nama und Herero. Eine Entschädigung für die Nachkommen ist zwingend geboten.

Deutschland sollte entschädigen, nicht nur Schädel zurückgeben (2011) Foto: imago/Sabine Gudath

M it der Resolution des Bundestags vom 2. Juni zum Gedenken an den Völkermord in Armenien rückte die deutsche Regierung zugleich einen Schritt näher an die angemahnte und überfällige Anerkennung des Genozids, den Truppen des Deutschen Kaiserreichs an den Völkern der Herero und Nama Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutsch-Südwestafrika begangen haben.

Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, die Cem Özdemir unlängst in der Zeit forderte, muss zwar mit der erwarteten Entschuldigung des Bundespräsidenten beginnen, verpflichtet jedoch auch die heutige deutsche Gesellschaft, die Geschichte ihrer Opfer anzuerkennen und darauf zu reagieren. Mit Ausstellungen wie im Deutschen Historischen Museum derzeit über den „Deutschen Kolonialismus“ allein ist es nicht getan.

Konsequent wäre die Bereitschaft der Bundesregierung, einen konkreten Beitrag zur Besserung der Lebensqualität der Betroffenen zu leisten. In dieser Hinsicht hat die Bundesrepublik mit den Reparationszahlungen an Israel einen historischen Präzedenzfall geschaffen. Als die Adenauer-Regierung 1952 die Initiative ergriff und ihr Vorhaben durchsetzte, trug die Mehrheit der Gesellschaft diese Entscheidung nicht mit.

Nur 29 Prozent waren der Meinung, dass Juden ein Anrecht auf Entschädigung haben. Auch bei einer heutigen Umfrage würde sich wahrscheinlich keine eindeutige Mehrheit für Reparationszahlungen an Namibier stark machen. Unter dem Druck der Flüchtlingskrise hütet man den Bundeshaushalt, aus dem bereits hunderte Millionen Euro für Entwicklungshilfe an Namibia gespendet wurden, und Wolfgang Schäuble verlangt ohnehin nach einer umfassenden Afrikapolitik.

Die Mentalität der Kolonisten

Doch das wird wenig weiterhelfen. Denn die Anerkennung eines Völkermords befördert die Frage der Gerechtigkeit in eine anderen Größenordnung. Die Gesellschaft will am Geschehenen Anstoß nehmen und eingreifen, Tatsachen schaffen, die positiv wirken. Übrigens ist gerade wegen des plötzlichen demographischen Zuwachses an Mitbürgern aus dem Nahen Osten und Afrika eine koordinierte Auseinandersetzung mit der Mentalität der Kolonisten in Südwestafrika mehr denn je angezeigt.

Der Genozid in Deutsch-Südwestafrika war kein von langer Hand vorbereiteter Vernichtungskrieg, dessen Ziel es war, Völker aus der Welt zu schaffen. Das Überlegenheitsdenken der Weißen bewog die Kolonisten dazu, im Massensterben von Schwarzen, die sich gegen ihre Ausbeutung 1904 auflehnten, eine akzeptable Lösung des Konflikts zu sehen.

Ursula Ackrill

Ursula Ackrill, geboren 1974 in Kronstadt, Siebenbürgen, studierte Germanistik und Theologie in Bukarest und promovierte 2003 mit einer Arbeit über Christa Wolf an der University of Leicester. Sie lebt heute als Bibliothekarin und Schriftstellerin in Nottingham. Ihr erster Roman „Zeiden, im Januar erschien 2015 im Verlag Klaus Wagenbach und war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Tatsächlich diskutiert der Sondergesandte der Bundesregierung mit seinem Amtskollegen in Windhoek seit Juli über Hilfeleistungen für Namibia, die im Rahmen von Entwicklungsprojekten der Gerechtigkeit konkret Geltung verschaffen sollen. Die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama sehen sich heute jedoch durch die Unterschiedslosigkeit der gebenden Geste übergangen. Die Reparationszahlungen der Bundesrepublik an Israel waren eben nicht für alle Bürger Israels – Juden, Araber und andere Zugezogene – gleichermaßen bestimmt gewesen, sondern hingen direkt mit den Verbrechen der Deutschen an den Juden zusammen.

Zahlung an wen und wie?

Einerseits kann nur der Verwaltungsapparat einer Regierung eine Verbesserung von Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitswesen umsetzen. Andererseits widerstrebt es jedoch dem Gerechtigkeitssinn, dass Direktentschädigungen für Angehörige der dezimierter Volksgruppen wie der Nama und Herero in Südwestafrika entfallen sollen.

Zu einem Zeitpunkt, wo es keine Überlebenden mehr gibt, sind Renten für (Zwangs)Arbeitsleistungen ausgeschlossen. Sollte einem Antrag auf direkte Entschädigung durch Unternehmen wie die Woermann-Schifffahrtslinie oder Bahngesellschaften, die damals von der Zwangsarbeit profitiert haben, stattgegeben werden, wären jene Reparationen eigentlich nur den Arbeitsfähigen zugedacht. Nicht nur die unbeschäftigten Invaliden, Frauen und Kinder der Konzentrationslager bleiben bei der utilitaristischen Betrachtung außen vor.

Im Konzentrationslager auf der Haifischinsel bei Lüderitz verzichteten die Lageraufseher beispielsweise darauf, die Nama zum Bau der Südbahnlinie heranzuziehen, weil deren Unmut über ihre Zwangslage zu gefährlich schien. Die Bahnlinie wurde daher hauptsächlich von Herero aus demselben Lager gebaut. Lebenswichtige Ressourcen wurden den Herero und Nama vorenthalten, um sie den Deutschen gefügig zu machen. Aus diesem Sachverhalt entspringt die Schuld am Völkermord, für den es nun gilt die Verantwortung zu übernehmen.

Forderungen von Schwarzen in den USA

Wie die Regierung in Berlin auf die Frage zu Reparationen für die Nachkommen der überlebenden Herero und Nama eingehen wird, ist eine Frage von großer Tragweite. Das Verbrechen geschah vor mehr als hundert Jahren und entließ die Überlebenden demographisch vermindert, sozial geschwächt und ohne Zweifel gesundheitlich belastet in ein auf diese Weise knappes Jahrhundert fortgesetzter Kolonialherrschaft.

In den USA sind Reparationszahlungen an Afroamerikaner ein Thema, das seit der Abschaffung der Sklaverei nicht vom Tisch gefegt werden kann, weil die Anerkennung des Unrechts bislang keine praktischen Reformen nach sich zog, welche die Integration im Sinne von sozialem Statusausgleich bewirkt hätten. Trotz der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren, trotz der Antidiskriminierungsmaßnahmen der Affirmative Action und nach zwei Amtszeiten des ersten schwarzen Präsidenten der USA lebt die afroamerikanische Bevölkerung zum Teil weiterhin in einer benachteiligten Parallelgesellschaft.

Seit über fünfundzwanzig Jahren setzt der US-amerikanische Kongressabgeordnete John Conyers Jr. bei jeder Versammlung im Kongress den Gesetzesentwurf HR40, den „Auftrag Reparationsvorschläge für Afroamerikaner zu studieren“ (Commission to Study Reparation Proposals for African Americans Act), auf die Tagesordnung. Bislang ohne Erfolg. Aber die Anhänger dieses Gedankens werden auch Deutschlands Handeln in Zukunft schärfer ins Auge fassen.

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12 Kommentare

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  • Guter Zeitpunkt? 1 EUR =15.1160NAD

  • Es handelte sich um einen Aufstand der Herero und Nama, dessen Ziel all jene Zivilpersonen waren, die unter dem Schutz der Kolonialmacht standen. Also Raubzüge gegen die Vorfahren der heutigen Namibianer.

     

    Die Niederschlagung des Aufstands als solche war exakt die Aufgabe der Schutzmacht. Von einer antikolonialen Tedenz des Aufstands ist nichts bekannt.

     

    Problematisch wurde es erst in dem Moment, als der Führer der Schutztruppen auf die vollständige Vernichtung der Aufständischen aus war, was er dadurch verdeutlichte, indem er sie in die Wüste trieb. In welchem Umfang es zu dieser beabsichtigten Vernichtung tatsächlich gekommen ist, wissen wir nicht, das ist ein Fall für Historiker. Die Einordnung als Völkermord ist heute unstrittig. Die SPD verlor 1906 die Reichstagswahl, weil sie die selbe Meinung vertrat.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Ich störe mich nicht daran sich mit der Kollonialzeit auseinanderzusetzen. Es ist aber bedauerlicherweise eher die Regel als die Aussnahme das Menschen die gerne von Postkolonialismus reden und auch noch total “progressiv” drauf sind unter diesem Label die hirnrissigsten Ideen vom Stapel laufen lassen.

    All diese Ideen haben eine Sache gemeinsam und zwar das sie quasi die Erbsünde in die Politik einführen wollen. Niemand der um 1900 Macht hatte ist heute noch am Leben. Deshalb sollen nun deren Nachfahren in Geiselhaft genommen werden. Diese Forderung ist eine Frechheit und ein Affront gegen jedes gesunde Rechtsverständnis.

  • "Konsequent wäre die Bereitschaft der Bundesregierung, einen konkreten Beitrag zur Besserung der Lebensqualität der Betroffenen zu leisten."

     

    Die Bundesrepublik soll Geld ins Jenseits überweisen? Die Opfer und ihre Angehörigen sind längst tot. Die Täter auch. Also warum sollten Steuerzahler Geld für Taten überweisen, die lange vor ihrer Geburt begangen wurden?

     

    Natürlich können wir den Ländern, die früher mal unter dt. Kolonialherrschaft gelitten haben, mit sinnvoller Entwicklungshilfe helfen, die Folgen des Kolonialismus zu überwinden. Das sollten wir aber tun, weil wir es wollen. Nicht weil wir Ablass für die Sünden unserer Vorfahren erkaufen wollen.

  • Reparationen sind natürlich immer schön für die Nachfahren, aber wo ist die Grenze? War der dreißigjährige Krieg nicht auch ein Genozid? Müssen daher Reparationen gefordert oder gezahlt werden? Oder gilt die zeitliche Relevanz nur für Deutschland nicht?

  • Wie weit wollen wir da noch zurückgehen. Ich dachte schon, dass es eine Art Revanchismus wäre, die Grundstücke, die in der DDR ohne Grundbucheintrag übertragen wurden, zurück zu übereignen. Nun geht es um Entschädigungen, die 100 Jahre zurück liegen. Da lebt kein Opfer und kein Täter mehr. Selbst deren Kinder sind längst verstorben. Aus der Geschichte zu lernen ist wichtig. Die Geschichte ruhen zu lassen hat aber befriedende Effekte. Vielleicht tun da ein paar Millionen nicht weh und wir können uns danach moralisch besser fühlen. Aber wir machen damit eine gefährliche Büchse der Pandorra auf. Gerade alte "Rechte" sind häufig ein Grund (oder Vorwand) um neue Konflikte vom Zaun zu brechen. Das sollten wir nicht unterstützen. Lasst uns lieber in den Schutz der Menschenrechte für die heute lebenden Menschen investieren als irgendwelche Abstammungen zu belohnen.

  • In den Jahren 900 bis 955 kam es zu dutzenden von räuberischen und mörderischen Einfällen von magyarischen Reiterhorden in Süddeutschland, bei denen tausende von Menschen brutal abgeschlachtet wurden. Für Ungarn wäre es nun endlich an der Zeit, auch hier über Reparationen nachzudenken.

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @Nikolai Nikitin:

      Sie haben nichts verstanden. Wahrscheinlich wollen Sie das auch gar nicht. Wir brauchen die Schwarze Null, gell?

      • @1714 (Profil gelöscht):

        Orbáns Ungarn kann sich auch Stacheldrahtzäune leisten. Eine kleine finanzielle Wiedergutmachung an Süddeutschland wäre hier wohl angebracht.

        • 1G
          1714 (Profil gelöscht)
          @Nikolai Nikitin:

          Eine sehr merkwürdige Logik...

          • @1714 (Profil gelöscht):

            Sind Ihnen die Opfer von 1904 mehr Wert als die von 904 ?

            • @Nikolai Nikitin:

              Das ist genau der Punkt, wie wägt man denn die Entschädigungen ab. Nach der zeitlichen Nähe? Nach der politischen Situation - oder nach dem Gießkannenprinzip indem man einfach alle Schuld auf sich nimmt.