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Debatte Feminismus im AlterSelbstgewiss und radikal

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Wie geht Feminismus ab 60? Warum das Verbergen des Alters Frauen domestiziert. Und warum sie anfällig sind für Ressentiments gegen Migranten.

Viele Frauen schieben die Anerkennung ihres Alters solange hinaus, bis sie ihnen aufgezwungen wird Foto: photocase/wronge57

W ie können ältere Frauen Feministinnen sein? Die Frage ist mit Bedacht auf diese Weise gestellt. Denn es soll hier nicht um diese oder jene Position gehen, die in einer Debatte des Tages zu ergreifen wäre. Die Frage geht tiefer, sie berührt die Haltung zum Leben, zur Umgebung, zur Öffentlichkeit, sie berührt Denken, Empfinden, Verhalten.

Es soll einer jeden überlassen bleiben, ab wann sie sich als älter verstehen möchte. Ich bin demnächst 63; wann, wenn nicht jetzt, wäre „älter“? Aber schon sind wir mitten im Thema. Viele Frauen schieben die Anerkennung ihres Alters solange hinaus, bis sie ihnen aufgezwungen wird. Sie können ihr Ältersein dann nur als eine Niederlage erleben – als den Moment, in dem sie den Widerstand aufgeben müssen, weil er zwecklos geworden ist.

Es bleibt ihnen nur übrig, sich zu unterwerfen; sie beginnen das Ältersein nicht erhobenen Hauptes, sondern unsicher und gedemütigt. Für Frauen, die in der Öffentlichkeit tätig sind, wirkt dieser Mechanismus ganz besonders. Die ersichtlich ältere Frau ist in den Medien kaum präsent. Folglich muss das Alter verborgen werden, solange es geht, bei Strafe des Ausschlusses. Auf diese Weise ändert sich natürlich nichts; Ausschlussmechanismen basieren immer auf dem Gehorsam derer, die durch ihre Angst vor Ausschluss domestiziert sind.

Zum Jünger-wirken-Wollen gehört nicht etwa nur das Färben der Haare (was unter weniger ideologisierten Umständen nur eine Frage des Geschmacks wäre). Sondern das Jünger-wirken-Wollen ist in zweifacher Hinsicht ein Verzicht: auf die Autorität, die Alter und Lebenserfahrung verleihen. Und darauf, sich abzusetzen vom ästhetischen wie geistigen Konformismus dessen, was der Öffentlichkeit als präsentabel gilt.

Es gab eine Zeit, da wurde Feministin-Sein beständig mit Altsein assoziiert. „Ältere Feministin“ war ein abschätziges Wortpaar, gemünzt auf eine ideologisch Stehengebliebene. Diese Phase ist vorbei, junge Frauen schmücken sich erneut mit dem Begriff, und spätestens seit sich auch manche Musliminnen so bezeichnen, wissen wir, dass es nicht den einen Feminismus gibt, sondern eine Vielfalt von Feminismen.

Von falschen Modellen umzingelt

Ich lebe in einem Stadtteil von Berlin, wo der Altersdurchschnitt niedriger ist als im deutschen Normalfall. Vielleicht fällt es leichter, sich realistisch zu verorten, wenn man umgeben ist von Menschen, die zwei, drei, vier Jahrzehnte jünger sind. Wenn ich mich in einer demografisch alten Umgebung aufhalte, fühle ich mich von falschen Modellen umzingelt.

Wie im Frühstücksraum eines Hotels, wo Frauen in bevormundender Fürsorglichkeit ihren etwas älteren Gatten am Buffett ins Ohr brüllen, was sie essen sollen, dabei den Umstehenden zuraunend: Mein Mann braucht immer etwas länger. Dieses fatale Gefühl von Wichtigsein und Gebrauchtwerden an der Seite eines Partners, dem sie sich vorher jahrzehntelang unterlegen gefühlt haben. Ja, es gibt keinen Mangel an schlechten Vorbildern.

Und warum wird die alberne These vom „unsichtbaren Geschlecht“ gerade von Frauen immer wieder fortgeschrieben? Ihr zufolge ist Unsichtbarkeit ab dem Moment bewiesen, wenn Bauarbeiter nicht mehr pfeifen. Frauen, die ihr Leben lang dagegen gekämpft haben, auf ein Sexualobjekt reduziert zu werden, leiden nun darunter, keines mehr zu sein. Dafür sollten wir niemand anderes verantwortlich machen als uns selbst.

Aber es spiegelt sich in den Ängsten der älteren Frau auch ein gesellschaftlicher Zustand. Dass es nämlich für ein Frauenleben jenseits jugendlicher Attraktivität und/oder Gebärfähigkeit immer noch keinen ganz normalen Ort gibt. Auch ein Mann leidet unter dem Verlust von Sexappeal und Spannkraft, aber er käme nicht auf die Idee, sich als unsichtbar zu bezeichnen.

Neuerdings wird in Spielfilmchen und Partnerbörsen anerkannt, dass die ältere Frau eine Sexualität hat. Aber wächst daraus Würde?

Erinnerung an Verletzungen

Emanzipation wird für die Frau jeden Alters erst erreicht sein, wenn die ältere Frau in Gesellschaft und Öffentlichkeit einen respektierten Platz einnimmt. Dafür muss sich auch unser eigener Blick ändern: Wie leicht haken wir uns, wenn eine Frau auf dem Bildschirm erscheint, an etwas fest, was nicht perfekt ist; schon sind wir abgelenkt von dem, was sie zu sagen hat. Solange die Frauen selbst eine ältere Frau nicht wertschätzen, wird sich nichts ändern. Und zu oft spiegelt sich im Blick auf die Geschlechtsgenossin eigene Angst, Bitterkeit und Selbstverachtung.

Denn die Vorstellung, unsichtbar zu sein, wie ausgelöscht, verweist ja noch auf etwas anderes: auf eine besondere Kränkbarkeit und Verletzbarkeit. Konservativer zu werden, wie es allgemein bei Älteren vorkommt, hat bei Frauen deshalb eine besondere Note. Ressentiments entstehen häufig aus der Erinnerung an Verletzungen – Verletzungen, auf welche die Frauen nicht unmittelbar reagierten, als sie ihnen zugefügt wurden: sei es aus Schwäche, aus Vorsicht oder aufgrund von Berechnungen („im Alter nicht allein sein“), die sich später oft als falsch erweisen.

Solche Narben im Selbstwertgefühl haben ihren Anteil, wenn manche Frauen meiner Generation auffallend aggressiv auf Facetten der Einwanderungsgesellschaft reagieren, die sie als Zumutung empfinden, etwa muslimische Kopftücher. Die Angst, die eigene Lebensleistung im Kampf für Emanzipation könne vergebens gewesen sein, entfacht dann Leidenschaften, die ich lieber gegen andere Gegner gerichtet sähe. Vielleicht könnte mehr Selbstbewusstsein dazu beitragen, über einen weißen Deutungsanspruch von Emanzipiertsein hinauszudenken.

Jenseits der 60 feministisch sein heißt: eine uns angemessene Stärke zu leben. Sich nicht gescheitert zu fühlen angesichts der Kriterien anderer, angesichts neoliberaler Einflüsterungen vom gelingenden Leben oder angesichts des neuen Ehe-für-alle-Biedermeiers. Nicht zu hadern mit den Kompromissen der eigenen Biographie.

Wenn wir selbstgewiss, radikal und gelassen sind, wäre das ein feminism by doing.

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11 Kommentare

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  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Ach Gottchen, jetzt tun Sie mir leid.

     

    Sprechen Sie selbst auch mit "älteren Frauen" über diese "Themen"? Was meinen die denn dazu?

    Mir ist das Problem ehrlich gesagt nicht vertraut, muss also dazu schnell meine Ehefrau(67) interviewen.

  • Eine ältere Feministin zu sein, heisst offenbar auch anderen Frauen das Leben zu erklären. Das haben schon andere ältere Feministinnen vor Ihnen gemacht. Es ist genau das, was Männern von feministischer Seite oft vorgeworfen wird. Dann hat das Patriarchat wieder zugeschlagen. Ich sehe mich auch als ältere Frau, obwohl ich jünger bin als sie, aber ich bemerke, dass ich nicht unsichtbar, sondern in der gesellschaftlichen Rangordnung aufgestiegen bin. Ich bin froh, dass mir niemand mehr nachpfeift oder keiner mehr mich unerlaubt anfasst und mir keine Männer mehr den Platz in einer Schlange oder auf dem Gehsteig streitig machen. Im Normalfall reicht ein Blick und die Sache ist geklärt, falls nicht, getraue ich mich nun den Mund aufzumachen. Die Geschichte mit den gefärbten Haaren können sie sich auch schenken. Welche Frau hat im Verlaufe ihres jungen Lebens nicht mal die Haarfarbe gewechselt? Weshalb sollte man das nicht mehr tun, wenn man älter ist? Oder gehören sie zu der Fraktion, die meint, Frauen ab einem "gewissen Alter" sollten sich "altersgemäss" kleiden, schminken, frisieren? Unter dem Motto (keine Erfindung): "Kann ich mit 40 noch einen Minirock tragen?"

  • Es kommt am meisten auf die Persönlichkeit der Frau an und nicht wie oft und wie lange sie über Feminismus gesprochen hat.

     

    Meine Beobachtung ist die, dass Frauen, die sich (teils sogar professionell) mit Feminismus beschäftigen und sich als Feministinnen bezeichnen, am wenigsten merken, wenn sie sich Männern gegenüber unterwürfig und hochschauend verhalten, z.B. dem Chef gegenüber.

    Es reicht ja über Feminismus zu reden, da kann man da ja privat einen Macho partnern und ihm entsprechend folgen.

     

    Ich erinnere mich noch gerne an die überschaubare Gruppe gleichaltriger Jugendlicher, die sich selbst in der Öffentlichkeit als "Feministinnen" deklarierten. Das waren die, die anderen Frauen nicht einen Mann gönnten, den sie selbst gerne "gehabt" hätten. Das waren die, die sich mit allen Mitteln versuchten, anbiedernd und andere Frauen mit unschönen Methoden aus dem Weg räumend an Männer sehr offensichtlich ran zu schmeißen.

     

    Eine andere - sehr früh schon umzingelt von den jugendlichen Männern der Kleinstadt - las mit 15 Emma, wurde Schauspielerin und macht sich heute in der Öffentlichkeit ein paar Jahre jünger.

     

    Da bin ich doch lieber ich - ohne Etikett und dennoch mit meiner Art feministisch.

  • "'Ältere Feministin' war ein abschätziges Wortpaar, gemünzt auf eine ideologisch Stehengebliebene."

     

    Das habe ich so gar nicht in Erinnerung - es klingt eigentlich eher nach dem betulichen Sprachgebrauch im erwähnten Frühstücksraum - ich höre seit jeher vielmehr Komposita wie Altfeministin, Altachtundsechzigerin, Althippie, Altlinke usw.

     

    Insgesamt ein erschütternder Artikel über das Frausein: den Alten zur Mahnung, den Jungen zur Warnung, den Humorbegabten aber zur Erbauung.

  • Ich, Mann, 56, konnte schon immer gut mit "alten Tanten", da es die in unserer Familie zuhauf gab. Diese Fähigkeit kommt mir immer noch zugute. Ich sehe Frauen, die sich zurechtmachen, schminken, bewußt kleiden und dann, nur weil sie "alt" geworden sind, nicht mehr wahrgenommen werden; man guckt durch sie hindurch: Sie sind unsichtbar geworden. Die grenzenlose Enttäuschung ist für einen sensiblen Menschen spürbar. Und wie dankbar sie sind, wenn man sie im Vorbeigehen anschaut, eventuell eine Brosche oder ein anderes Detail dabei begutacht. Das registriert jede Frau sofort. Ein Gruß im Hausflur, ein Schwatz beim Briefkasten oder im Lift bewirken da wahre Wunder. Wie einsam müssen sie über die Jahre geworden sein. Der Ehemann, schon vor Jahren gestorben, hat sie alleingelassen und nun kreisen sie wie ein entfernter Satellit in der Kälte unserer Gesellschaft ihrem Tod entgegen. Respekt vor dem Alter sollte dazugehören. In anderen Kulturen ist das selbstverständlich, aber hier ? Nur drei Artikel vorher hat ein Autor davon gesprochen, was "der greise Onkel" für Unsinn erzählt und er glaube lieber, was in Wikipedia steht. Damit ist ein gesellschaftliches Problem ganz gut beschrieben.

  • Stimmt, Mädchen lieben generell Kopftücher, und Islam ist natürlich fest in der Hautfarbe eingeschrieben. So geht Forschritt.

  • "weißen Deutungsanspruch von Emanzipiertsein"...

     

    Ahja.

  • WAAUUU !!!

    Respekt für diesen Kommentar!

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Selten so einen Quark gelesen!

    Sie haben anscheinend ein Problem mit dem Alter, ein großes, vermute ich mal.

    Ich bin älter als Sie und erkenne weder mich, noch meine Freundinnen in den Beschreibungen, noch die Frauen aus meinem Lebensumfeld.

    Vielleicht ist es in Ihrem Lebensumfeld so.

    Deshalb bitte keine Verallgemeinerung und Unterstellungen, die alle einschliessen.

    • @39167 (Profil gelöscht):

      Ha. Genau das wollte ich auch schreiben. Beim Lesen hatte ich auch ständig das Gefühl: wovon redet sie eigentlich? Ständig habe ich das Geschilderte mit meinem eigenen Leben und Umfeld verglichen und konnte nur wenig wiedererkennen. Weder sind ältere Frauen unsichtbar (man betrachte nur die Kanzlerin) oder verbittert, noch sehnen sie sich danach, Feminismus zu diskutieren. Sie sind so "würdig" und "unwürdig" wie ihre älteren Gatten auch. Es ist eher eine Frage der Persönlichkeit. Probleme haben eher Frauen, die ihr Selbstbewusstsein auf ihr Aussehen stützen. - so viele, wie immer behauptet wird, sind das nicht. Es gibt tatsächlich Frauen, die - ergraut - ihr Selbstbewusstsein auf ihre Lebenserfahrung stützen; oder sogar auf ihre Persönlichkeit. Kaum zu glauben, liest man diesen Artikel.