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Debatte EU und NationalismusTod der Nation, es lebe Europa

Kommentar von Robert Menasse

Frieden in Europa kann es nur geben, wenn die Nationen ihre Souveränität aufgeben. Das ist auch das Ziel der EU – nur haben wir es vergessen.

Was ist die EU? Ein Friedensprojekt – das geht aber nur, wenn es keine Nationen mehr gibt Foto: Eléonore Roedel

H egel sagte einmal: „Der Mensch stirbt auch aus Gewohnheit.“ Er bezog sich damit auf den Menschen als politisches und soziales Wesen. Lebt er in der Gewohnheit des Alltags und geht ganz darin auf, sein Leben zu fristen, dann setzt dieses „Sterben aus Gewohnheit“ ein, die soziale Angst und „das Zittern vor gesellschaftlichem Tod“.

Diese Stelle aus den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ beschreibt präzise den gegenwärtigen sittlichen Zustand der Europäischen Union, in dem sich Gewohnheitsrecht wieder über Menschenrecht setzen will und der tatsächlich ein Zustand ist, weil er den Prozess der europäischen Einigung gestoppt hat. Was sich hier noch bewegt, ist blanke Zukunftsangst, die sich in Ressentiment entlädt.

Dabei war noch vor einem halben Jahrhundert die Zukunft so schön. Das Zukunftsbild, das damals von den Gründern des europäischen Einigungsprojekts entworfen wurde, war ein Meisterwerk pragmatischer Vernunft im Geist der Aufklärung. Es machte grundsätzlich die Menschenrechte und konkret die menschlichen Bedürfnisse nach Frieden, sozialer Sicherheit, Lebenschancen und Partizipationsmöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben zur Richtschnur des politischen Gestaltungswillens. Es war ein Projekt des Lebens in Würde.

„Das Einigungswerk, das wir begonnen haben und an dem wir täglich arbeiten, ist keine schemenhafte Idee, die da aufs Geratewohl in die Zukunft hineinprojiziert worden ist, kein nebelhafter Traum. Es ist vielmehr Wirklichkeit, weil es an den Realitäten Europas orientiert ist“, sagte 1964 Walter Hallstein, der erste Präsident der Europäischen Kommission, in einer viel beachteten Rede in Rom. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn man Hallsteins Rede heute liest. Zugleich kann man auch klarer nachvollziehen, woher die Sterbensangst so vieler Europäer vor Europa kommt.

Den Nationalismus entkernen

Die Gründer des europäischen Einigungswerks hatten den Aggressor klar benannt, der die Infrastruktur des Kontinents zerstörte, Elend für Generationen produzierte und die grauenhaftesten Menschheitsverbrechen zu verantworten hatte. Dieser Aggressor war der Nationalismus, die ideologische Selbstüberhöhung der Nationen, der nationale Eigensinn, der in steten Konflikt mit den Interessen anderer Nationen geraten muss.

Frieden in Europa zu schaffen war ein Anspruch, dem alle zustimmen konnten, aber es war klar, dass moralische Appelle so wenig nachhaltige Sicherheit bieten würden wie neue Friedensverträge zwischen den Nationen.

Die Idee war daher, die Nationen schrittweise zur Abgabe nationaler Souveränitätsrechte zu bewegen, bis sie, gleichsam entkernt, absterben, wodurch dem Nationalismus die Grundlage genommen wäre. Dazu braucht es supranationale Institutionen, die nach und nach Aufgaben der nationalen Institutionen übernehmen.

Es begann mit der Schaffung einer Hohen Behörde, die im Bereich der Kohle- und Stahlproduktion gemeinsame Regelungen für alle Mitgliedstaaten treffen konnte. Die Dynamik des damals angestoßenen Prozesses hat in vielen kleinen Schritten zu immer größerem Fortschritt geführt, wenn wir an den Wegfall der nationalen Grenzen im Schengen-Raum, die Einführung der ersten transnationalen Währung in der Eurozone und an den gemeinsamen Markt denken. Tatsächlich steht in der Bilanz des europäischen Vergemeinschaftungs­prozesses die längste Friedensperiode der Länder, die an diesem Projekt teilnehmen.

Zugleich ist etwas Eigentümliches passiert: Der historische Vernunftgrund und das perspektivische Ziel des Projekts sind von den heute verantwortlichen politischen Repräsentanten und von weiten Teilen der Öffentlichkeit vergessen worden. Zwar kann jeder auf die Frage „Was ist die EU?“ im Schlaf mit „Friedensprojekt!“ antworten, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit war, ist und bleibt: Friedenssicherung durch die Schaffung eines nachnationalen Europa.

Die Nation ist eine Fiktion

Der Friede wird als Gewohnheit vorausgesetzt, verteidigt aber wird dennoch die Gewohnheit, sich als Teil einer Nation wahrzunehmen. Die Menschen, die den Sinn des Projekts nie gehört haben, halten dessen Konsequenzen für verrückt und bedrohlich. Und die politischen Repräsentanten in europapolitischer Verantwortung wissen, dass sie, die nur in nationalen Wahlen gewählt werden, die Fiktion, „nationale Interessen“ seien ein Synonym für die Interessen ihrer Wähler, aufrechterhalten müssen.

So schaukelt sich auf, was wir „Renationalisierungstendenzen“ in Europa nennen, und diese gehen nicht vom rechten Rand aus, sondern von der politischen Mitte und sind systembedingt.

Wenn man also die Gründungsidee des europäischen Einigungswerks rekonstruiert, dann ist klar: Ein Europa ohne Nationalstaaten ist für die Mehrheit der Menschen heute völlig unvorstellbar.

Mit dem Unvorstellbaren ist es aber so eine Sache. Niemand hat sich vorstellen können, dass die Berliner Mauer fallen oder dass die Sowjetunion implodieren würde. Und doch ist es geschehen. Und wenn es auch nur die Folge einer gewissen Eigendynamik war, es war Folge einer Bewegung, die einmal politisch in Gang gesetzt und dann immer wieder beschworen wurde. Eine Politikergeneration, die diese Lehre nicht annimmt, ist eine verlorene Generation.

Alle Argumente, die noch für die Unverzichtbarkeit nationaler (Selbst-)Organisation vorgebracht werden, sind längst widerlegt: Die Nation, so wird immer wieder angeführt, stiftet Identität und vermittelt auf der Basis gemeinsamer Kultur, Geschichte, Mentalität und Sprache die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einem gesellschaftlichen Ganzen. Diese Behauptung ist Fiktion.

Wäre die gemeinsame Sprache konstitutiv für gemeinsame nationale Identität, dann müsste Österreich Teil der deutschen Nation sein. Wäre es die historisch gewachsene Kultur, dann wären Oberösterreich und Süddeutschland eine Nation, aber schon Norddeutschland und Westösterreich wären kein Teil davon. Die gemeinsame Geschichte? Verbindet Österreich und Ungarn mehr als Österreich und Deutschland. Die Mentalität von Großstadtbewohnern unterscheidet sich radikal von der Mentalität der Menschen in Alpendörfern oder auf dem Land, unabhängig von nationalen Grenzen und Sprachen.

Die deutsche Nation als Vorstufe zur EU

Es waren die Nationalstaaten, die Demokratie und Rechtszustand hervorgebracht haben, und nur sie können diese Errungenschaften der Aufklärung gewährleisten? Diese Behauptung ist historisches Delirium. War 1871 ein Fest freier Menschen, die sich glücklich zur deutschen Nation zusammenfassten? Nein, es war ein Blutbad. In Wahrheit haben die meisten europäischen Na­tionen bis zur Gründung der Gemeinschaft mehr Jahre unter den Bedingungen von politischer Willkür und Krieg verbracht als in freier demokratischer Souveränität.

Letztlich wird man nur auf einen einzigen Vernunftgrund der Nationenbildungen stoßen: Sie waren ein Zwischenschritt auf dem Weg, der durch das europäische Einigungsprojekt friedlich weitergegangen wird. Die deutsche Nation etwa hat aus vierzig Kleinstaaten einen gemeinsamen Markt mit gemeinsamer Währung und gemeinsamen Rechtszustand gebildet.

Aber das kann doch nicht das Ende der Geschichte sein. So utopisch die Idee eines nachnationalen Europa heute für viele klingt: Man kann nicht mehr Utopie nennen, was sich seit sechzig Jahren konkret auf unserem Kontinent verwirklicht. Den Glauben aber, dass die Nationen zu retten wären, muss man als negative Utopie bezeichnen. Deren morbide Macht, ihre Auseinandersetzung mit ihrem diagnostizierten Sterben ist es, was zur gegenwärtigen Krise der europäischen Union geführt hat.

Die Entmachtung der Nationalstaaten

Die Nationen funktionieren nicht mehr, ein entfaltetes nachnationales Europa haben wir noch nicht. Wir fürchten uns sogar, es uns auszumalen. Dabei ist eindeutig, dass alle Rahmenbedingungen unseres Lebens längst transnational sind: die Wertschöpfungskette, die ökologischen und sicherheitspolitischen Probleme, die Kommunikation – all das macht weder an natio­nalen Grenzen halt, noch kann es national gemanagt werden.

Der unproduktive Widerspruch von nachna­tionaler Entwicklung und Renationalisierung ist, was wir heute Krise nennen. Und worüber mit zunehmender Erregung diskutiert wird, ist nur ein Reigen von Symptomen. Oder, wie Hegel schrieb: „Das so auf der Schwelle Stehende ist oft gerade das Ungenügendste.“

Und doch ist es das Vernünftige.

Was wir Globalisierung nennen, ist nichts anderes als die schrittweise Entmachtung der Nationalstaaten. Doch Europa ist der einzige Kontinent, auf dem sie nicht nur passiert, sondern als bewusste politische Entscheidung in Gang gesetzt und entwickelt wurde. Europa hätte in Hinblick auf die Globalisierung die größte Expertise, steckte es nicht fest in der Blockade, paralysiert zwischen der Feigheit, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen, und der Angst vor der Gegenbewegung.

Nationensterben – oder Schutt, Asche und Mord

Diese Blockade kann nur aufgebrochen, die Krise kann nur bewältigt werden, wenn die Idee des europäischen Projekts rekonstruiert wird. Man muss die Geschichte erzählen, sie wäre das heute so verzweifelt gesuchte „Narrativ“, das Europa angeblich fehlt, aber in Wahrheit nur verdrängt wurde.

Ich kann nicht verstehen, was an einer transnationalen Solidargemeinschaft in Zeiten der Globalisierung falsch sein soll. Ich kann nicht verstehen, was an der Idee der Überwindung des Na­tio­nalismus, nach all unseren Erfahrungen, falsch sein soll. Ich kann nicht verstehen, dass die heutigen Staats- und Regierungschefs die Ideen ihrer Vorgänger so konsequent verschweigen? vergessen? verleugnen?, wo sie ihnen doch Auswege aus der Krise zeigen könnten.

Ach – sie wollen wiedergewählt werden? Na­tio­nal? Dabei ist klar: Die Nationalstaaten werden untergehen. Je früher wir uns mit damit vertraut machen, desto besser für unsere demokratische und selbstbestimmte Zukunft. Oder es wird wieder Schutt und Asche und Mord geben. Und wir werden betroffen vor den Trümmern stehen und murmeln: „Das soll nie wieder geschehen dürfen!“

Der Hegel’sche Tod aus Gewohnheit.

Der Text basiert auf Robert Menasses Rede beim Willy-Brandt-Gespräch 2018

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36 Kommentare

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  • Von besonderer Wichtigkeit ist auch, die exorbitante Militarisierung (weltweit!) zu verhindern und zu pazifistisch orientierten Konfliktlösungen bereit zu sein.



    Aus meiner Sicht sollten deshalb auch in den Schulen die in Ihrem Artikel beschriebenen Waffenexporte thematisiert und auch dagegen protestiert und demonstriert werden!



    Gerade in Deutschland wurde vor Jahrzehnten massiv gegen die friedliche Nutzung der Atomtechnik demonstriert, und was ist mit der militärischen Nutzung....(Atomwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel, in Deutschland, schon gewusst?? )....??

  • Die EU ist von Anfang an ein Wirtschaftsprojekt. Freie Grenzen und Einheitswährung sind nicht für die Bürger sondern in erster Linie für den Handel. Frieden gibt's, weil die Filetstücke heute per Institutionen und Gesetze verteilt werden. Wem dient's?



    Ich hoffe, dass diese EU so schnell wie möglich Vergangenheit ist.

  • Ich habe mich vor dem BREXIT-Referendum im Mai/Juni 2016 ziemlich intensiv mit der EU auseinandergesetzt und sogar alle wesentlichen Informationen zur EU in einem umfangreichen Blog unter der Überschrift "Daten und Fakten zur Europäischen Union" zusammengetragen.

     

    Nachdem ich diese Übung absolviert hatte, habe ich überlegt, was aus Sicht eines einfachen Bürgers für eine noch engere Integration der EU sprechen würde. Mir ist nicht ein einziges stichhaltiges Argument eingefallen.

     

    Die Befürworter einer engeren EU-Integration stellen (vermutlich aus guten Gründen) den Einfluss der EU in der Welt in den Vordergrund, um "europäischen Werten" (was auch immer das sein soll), Geltung zu verschaffen. Das ist aus dem Blickwinkel der Bürger ein sehr schwaches Argument.

     

    Abgesehen davon bezweifle ich, dass ein Erwachsener, vier Halbstarke und 22 Zwerge mit ihren unterschiedlichen Interessen, Kulturen oder Sprachen ein ernstzunehmender Global Player werden können. Just my 5 Cent.

  • @REINHOLD SCHRAMM, 25.06.2018, 15:13

     

    Sie haben meines Erachtens die Knackpunkte sowie besonders die Wahrheit, die dahinter steht (Monopolbourgeoisie) absolut auf den Punkt gebracht. Und eine Lösung benannt: Gemeineigentum.

     

    Die Monopolbourgeoisie hat die Fäden in der Hand – und wird diese, so lange wir sie lassen, auch nicht hergeben.

    Dafür müssten wir alle endlich im Sinne vom "sozioökonomischen und sozioökologischen Projekt der Gleichheit" – also ganz anders als bisher – wählen.

     

    So lange es uns die "Monopolbourgeoisie" überhaupt noch erlaubt – das Wählen.

     

    Verhindern kann die "Monopolbourgeoisie" das Wählen im Sinne vom "sozioökonomischen und sozioökologischen Projekt der Gleichheit" schon lange – die Medien gehören ausnahmslos ihr.

    Da ist Manipulation m. E. nur ein anderes Wort für Verhindern…

     

    So gesehen ist die EU ein großer, sehr wahrer Witz.

  • Auf dem Weg zum europäischen Nationalismus...

     

    Grenzen sichern, militärisch gemeinsam handeln, einen integrierten Wirtschaftsraum bilden, mit den großen souveränen Staaten in der globalisierten Welt erfolgreich konkurrieren etc., hört sich *nicht* nach einem nach-nationalistischen Programm an, sondern nach europäischem Nationalismus. Dem Hegelianer Robert Menasse scheint diese Dialektik zu entgehen.

  • Für mich als Pragmatiker ist die EU nichts mehr als eine Entität, die wegen ihrer Größe mehr Einfluß und Druckmittel hat, um unsere Interessen gegenüber Dritten zu vertreten. Stichworte sind Außengrenzschutz, Sicherheit z.B PESCO oder auch in Handelskonflikten wie mit USA oder China.

    Und als solche unterstütze ich die EU und bin ein Befürworter der USE.

     

    Wenn sie das nicht sein soll, dann ist sie nichts anderes als ein aufwändiger Umverteilungsmaloch deutschen Geldes. Dann bietet sie für mich aber auch 0 Mehrwert.

  • "Die Idee war daher, die Nationen schrittweise zur Abgabe nationaler Souveränitätsrechte zu bewegen, bis sie, gleichsam entkernt, absterben, wodurch dem Nationalismus die Grundlage genommen wäre. Dazu braucht es supranationale Institutionen, die nach und nach Aufgaben der nationalen Institutionen übernehmen."

     

    Sie sollten es.

    Das tun sie aber nicht-- >Grenzschutz

    Und dann sucht sich der Pragmatiker eben eine Instanz tiefer und such sich jemanden der das tut. Das wäre z.B Orban oder Katschinski.

    Oder eben zwei Instanzen. Das wäre dann Söder z.b.

     

    Der Nationalismus stirbt nicht, weil die Menschen die ihn zurückbringen ihn gerne durch einen euroäeischen Nationalismus ersetzt gesehen hätten. "Europe first"

    Die gegenwärtige EU bewegt sich dagegen in eine andere Richtung.

  • Die EU hat mit dem geschilderten Friednsprojekt sowenig zu tun, wie die UdSSR mit dem idealistischen Bild vom Kommunismus. Wie sonst wäre es zu erklären, dass es innerhalb der EU einen Wettbewerb der Staaten gibt, dass transnationale Firmen das sagen haben, statt der Bevölkerung. Wo ist es ein Friedensprojekt, wenn Bevölkerungen mit ihren Entscheidungen einfach von einer Zentralbank bevormundet werden.

     

    Die ganz andere Fage ist, warum es eigentlich Föderalismus gibt, wenn doch alle gerne in einen Topf gesteckt werden wollen. Die Menschen wollen lokale Ansprechpartner, auch wenn sie sich als Europäer fühlen sollten.

     

    Merke: es kommt auf die Ausgestaltung an. EU als soziales Friedensprojekt, oder als neoliberaler Wettbewerb zwischen Nationen um die Gunst des Kapitals.

  • Die Kriege in Europa im 20.Jahrhundert wurden nicht vom "Nationalismus" angefangen, sondern von Deutschland. Dass Deutschland nochmal einen Weltkrieg anfängt, ist recht zuverlässig verhindert, aber nicht durch die EU, sondern dadurch, dass Russland, Frankreich und Großbritannien Atomwaffen haben.

     

    Und der maßgeblich von Deutschland initiierte Angriffskrieg gegen (Rest-)Jugoslawien ist durch die "europäische Einigung" nicht verhindert worden.

     

    Ich halte die Behauptung die EU sei ein Friedensprojekt, für schlichte Propaganda. Die EU ist ein Mittel für das deutsche Kapital, Exportüberschüsse zu erzielen, und ein Mittel für die deutschen Regierungen, auf europäischer Ebene durchzusetzen, was im Rahmen der Bundespolitik nicht durchsetzbar ist.

    • @Budzylein:

      Die EU war ein Mittel, die deutsche Bestie in Ketten zu legen. Ohne eine strikte Einbindung in Europa hätte es ein freies Deutschland niemals gegeben und die deutsche Wiedervereinigung schon gar nicht.

       

      Wie schnell die Auflösungserscheinungen der EU dazu führen werden, dass diese Bestie wieder von allen Nachbarn als Gefahr bezeichnet wird, werden Sie sich in naher Zukunft live und in Farbe ansehen können.

      • @Mustardman:

        Aber Deutschland liegt in der EU nicht in Ketten, sondern ist die führende Macht in der EU.

         

        Die Souveränität der europäischen Staaten schrittweise aufzulösen, ist jedenfalls ein aggressiver Akt. Wer die "Vereinigten Staaten von Europa" o. ä. fordert (ich gehe davon aus: Sie fordern das nicht), will den bestehenden Staaten an die Existenz, und das kann Krieg bedeuten; das Festhalten am Status Quo nicht.

        • @Budzylein:

          Das ist doch Blödsinn, oder? Jede Organisation und jedes Staatengebilde setzt eine teilweise Auflösung der Souveränität seiner Bestandteile voraus. Das ist bei Städten so, und das ist bei Bundesländern so, die sich zu einer Republik vereinigen.

           

          Wer die Auflösung der Souveränität der europäischen Länder nicht will, der muss sich fragen lassen, warum einzelne Regionen innerhalb europäischer Länder ihre Souveränität aufgeben sollten? Der Kollaps von Europa wird nicht an Ländergrenzen halt machen. Das merkt man ja jetzt schon überall.

  • Bei allem Elan, zu dem Robert Menasse mit Hergel einlädt, das europäische Einigungswerk zu vollenden, grenzt es an Geschichtsfälschung, Schönfärberei das Einigungswerk der Gründungsväter seit 1950 von Ausgrenzungstendenzen freizusprechen. Bei Ausgrenzungen gibt es eine Kontinuität, Damals war es der Osten Deutschlands, Europas, die bis 1989 ausgegrenzt wurden, trotz aller wohl bedachten Worte über Menschlichkeit in Sonntagsreden, gab es die Walter Hallstein Doktrin "Unteilbares Deutschland", wer mit Ostberlin Beziehungen aufnimmt, wird von Bonn ausgegrenzt. Von Gesamteuropa war da keine Rede. Heute sind es Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, irak, Mali, Kongo, Somalia, Zentralafrike, Niger, Sudan, die ausgegrenzt werden, infolge militärisch-wirtschaftlicher Interventionspolitik etlicher europäischer Länder, anderer wiederum nicht und alle sollen gleichmaßen für die Aufnahme Geflüchteter stehen. Das widerspricht dem Völkerrecht in Richtung Interventionsparteien, wie Deutschland seit 2002 Afghanistan, 2011 Mali, Somali, 2015 in Syrien, 2016 Tunesien, Libyen.

    "Tod der Nation, es lebe Europa" als Schlagwort ist gut gebrüllt, aber Europa wurde schon 1922 in Oswald Spenglers Buch "Untergang des Abendlandes" totgesagt. Dabei brauchen wir europäische Nationen vor einvernehmlich administrativer Abwicklung als Versöhnungs- , Entschädigungs- , Ausgleichswerk, angesichts des Kolonialismus europäischer Mächte, des Holocaust 1939-1945 Deutschlands im Bunde williger Helfer in Regierungen,Ämter, Gerichte über deutschbesetzte Länder Europas hinaus, millionenfachen Vermögensentzug, Entzug von Renten, Pensionen, Anwartschaften auf diese, Lohnraub durch Zwangsarbeit in Afrika, Asien, West- , Osteuropa als Gründungsmythos der Europäischen Union (EU) ins Werk zu setzen. 68.5 Millionen Geflüchteten inner- , außerhalb ihrer Heimatländer Sitz und Stimme in der UNO zu finanzieren, damit die ihre Versetzung in den vorherigen Vermögensstand betreiben können und sei es durch Entschädigung.

  • "Ach – sie wollen wiedergewählt werden? National? Dabei ist klar: Die Nationalstaaten werden untergehen."

     

    Das passiert aber erst, nachdem die aktuellen Machthaber ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben. Sieht man doch auch gut an Macron - angesichts seiner Politik wird der noch nicht mal wiedergewählt, aber am Ende der 5 Jahre hat er sein Umverteilungsprojekt von unten nach oben durchgezogen und wird dafür belohnt werden.

  • 9G
    95285 (Profil gelöscht)

    Mein Vorschlag und meine Idee: Die EU bei Europaparlaments-Wahlen in transnationale Sprachgebiete statt Nationen einteilen. In allen Sprachgebieten das gleiche Wahlsystem einführen, das größere Sprachgebiete nicht bevorzugt oder benachteiligt. Die Einteilung in Sprachgebiete kann man sogar ganz objektiv und wissenschaftlich falsifizierbar mit Umfragen in jeder Gemeinde machen. Parteien und Kandidaten dann pro Sprachgebiet antreten lassen. Als Wähler versteht man sowieso nur gleichsprachige Politiker und Wahlprogramme. Das macht die Verwaltung einfacher (es gibt weniger Sprachgebiete als Nationen), ist weniger ideologisch aufgeladen und führt zu konstruktiveren (sinnvollen) Ergebnissen. Mit der Sprache (ggf. Dialekt) können sich die Menschen besser identifizieren als mit einer imaginären "Nation".

    Als Vorbild könnte man Belgien nehmen: Belgien ist keine "Nation", sondern in mehrere Teile geteilt - zur EU-Parlaments-Wahl in 3 Teile: den Niederländisch-, den Französisch- und den Deutsch-sprachigen Teil. Jeder Teil wählt einen Teil der Abgeordnete.

  • Der Autor präsentiert ein sehr deutschlandzentriertes Bild.

     

    Es gibt drei Länder in der EU, die schon mal zu einem supranationalen Gebilde gehörten. Das nannte sich Sowjetunion.

    Für sie bedeutete der Nationalstaat "Endlich Freiheit!".

     

    In den meisten anderen Ländern Europas waren die Menschen erleichtert, dass sie nicht in dieses Gebilde mussten.

    Auch dort gab es die Gleichung "Nationalstaat = Freiheit".

     

    Die Länder Osteuropas haben den "historischen Vernunftsgrund" oder "das "perspektivische Ziel des Projektes", wie es der Autor nennt, noch nie geteilt.

     

    Sie sind nicht der EU beigetreten, um Teil eines supranationalen Gebildes zu werden, in dem sich die Nation auflöst.

     

    Wenn der Autor von "unseren Erfahrungen" spricht, ignoriert er völlig, dass neun EU-Mitglieder ganz andere Erfahrungen gemacht haben.

     

    Wenigstens gibt er zu, dass er diese andere Perspektive nicht versteht. Allerdings wirkt es auf mich nicht so, als wolle er es ändern.

     

    Vielleicht ist dieses Ignorieren und dieses Nicht-verstehen-und darauf-stolz-sein ein wichtiger Teil des Problems der EU.

  • Ein geeingte Europa bedingt die Auflösung der Nationalstaaten und ein Regionalisierung.

     

    Warum muss es ein Deutschland in einem solchen Europa geben, wenn die Länder bereits meist größer als Luxemburg sind?

    Wieso kann man nicht Katalonien, das Baskenland und andere jetzt nch Provinzen statt Spanien als Akteure in einer EU sehen? Muss es ein großes Frankreich sein?

     

    Ein Ausgleich der Leistungsfähigkeit kann über die EU geschehen.

     

    Denken wir doch mal über die Nation hinaus anstelle uns über Separatismus, der in Wirklichkeit den Status Quo produktiv in Frage stellt, aufzuregen.

  • Ich glaubte auch mal an die EU, hatte sogar eine große, blaue Flagge in meinem Büro. Mittlerweile hat aber meine Skepsis überwogen. Es läuft alles auf die USE hinaus, mit all den Nachteilen, die eine so große Monsterorgansiation immer nach sich zieht. Fernste, bürokratische Entscheidungen. Eine nicht zu kontrollierende Eigendynamik in der Entwicklung hin zu einem sich immer mehr Macht aneignenden Supermoloch. Sowas ist, wenn es einmal installiert ist, unkontrollierbar.

  • "dann müsste Österreich Teil der deutschen Nation sein. " Wenn man deutsche (und österr.) Nationalisten fragte, würden sie dies heftig bejahen. Ich zucke da nur mit den Schultern und kann es auch nicht verneinen. Historisch betrachtet, wäre es 1919 wirklich sinnvoll gewesen, beide Länder (wie von ihnen gewünscht) zu vereinen, weil es zwar national, aber anti-restaurativ, anti-monarchistisch und demokratisch gewesen wäre, aber die Siegermächte des 1. WK hatten es verhindert.

    Der Blick auf die "Nation" ist in Osteuropa ein völlig anderer als in DE - Länder, deren Nationalstaatlichkeit mühsam gewonnen, lange gefährdet oder zeitweilig von anderen genommen war (Polen, Baltikum, etc.). Die wollen das nicht wieder. So richtig die Überwindung der Nationalismen ist, so falsch ist das Übergehen solcher Empfindungen. Und Supranationalität birgt auch Gefahren, zuallerst nämlich der Supernationalismus: Europa als Großmacht im Kampf mit anderen Großmächten und im Kampf mit der unvereinten 3. Welt - auch das ist nicht schöner als innereurop. Nationalismen. Das Übertragen von Kompetenzen an die EU ist zu einem Grade auch antidemokratisch, da Entscheidungen fern der Menschen fallen. Subsidiarität tut Not. Und eine der Subsidiarebenen wird der Nationalstaat bleiben.

  • Es ist vielleicht doch ein bißchen komplizierter. Kriege haben wir in Europa eigentlich immer geführt, zwischen Stämmen, Städten, Nationen und Imperien. Der Zerfall Jugoslawiens hat gezeigt, daß Kriege beginnen, wenn Grenzen fallen, wenn die Zentralregierung schwach ist. Der erste Weltkrieg war auch ein Krieg zwischen Imperien. Und das Europa, das wir anstreben, ist nichts anderes als ein Imperium.

  • Nur haben zur Zeit die anti-demokratischen Kräfte, also CDU/CSU, AfD und FDP (und deren europ. Pendants), in der EU die Oberhand.

    In einer von diesem korrupten Gesindel gestalteten "Zukunft" will ich nicht leben.

  • Bei Gründung der EU war die Aufgabe der Nation kein Ziel. Das Ding mit der gemeinsamen VErfassung hat auch nicht geklappt. Die EU ist ein Verein mit Mitgliedern. Diese Mitglieder sind Nationen. Mag sein, dass es innerhalb der Gremien der EU zwischenzeitlich ein paar Personen geben mag, die gerne eine Art "Vereinigte Staaten von Europa" sehen möchten. Darüber haben jedoch ausschließlich die Mitglieder zu entscheiden.

  • Sehr, sehr schöner Artikel, vielen Dank dafür.

  • Das werden die Nationen aber nicht machen!

    Zumal sie verschiedene Sprachen und Traditionen, Kulturen haben.

    Und nun?

    ...

    • @Hartz:

      Die bayrische und die friesische Sprache, Kultur und Tradition haben auch nichts gemeinsam und trotzdem sind es keine eigenen Nationen, sondern Teile einer Republik mit jeweils nur sehr begrenzter politischer Souveränität. Und nun?

    • @Hartz:

      Die können sie gerne behalten. Die hatten sie ja auch, bevor der 'Nationalstaat' erfunden wurde. Sprache, Tradition und Kultur ist ja etwas, was über diese oder jene Verwaltungsorganisation hinaus Bestand hat.

  • Man sollte die aktuellen Entwicklungen in Europa vielleicht nicht so sehr wie ein bewußtes politisches Programm sehen, über dessen Sinn oder Unsinn und über dessen Folgen man zivilisiert streiten könnte.

     

    Das hat vielmehr etwas von einem politischen Amoklauf. Das ist irrational, gefühlsgesteuert und nimmt keine Rücksicht auf die Folgen. Die Populisten, die jetzt überall an die Macht gespült werden, sind nur Profiteure wie die Waffenhersteller, die einem Amokläufer an einer Schule ihre Produkte verkauft haben.

  • Der Artikel scheint mir etwas aus der Zeit gefallen, weil er von einem Idealzustand ausgeht, den wir bis vor 4 Jahren hatte. Derzeit ist die EU gespaltener denn je und es wirkt nun eher wie eine Utopie...leider

  • Die EU ist eine wirtschaftliche Einrichtung der westeuropäischen Wirtschafts- und Monopolverbände, so wie auch die EWG primär eine Einrichtung für die Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen der Banken und Konzerne war. Der Verweis auf Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit, dient lediglich der bürgerlich-ideologischen Fassadenmalerei für die Verschleierung der ökonomischen, militärischen und politischen Interessen der in der EU herrschenden Finanz-, Rüstungs- und Monopolbourgeoisie. Eine analoge Funktion hat auch die NATO, ob mit oder ohne Trumps US-Administration. Ein wirtschafts- und militär-imperialistisches Europa, was auch die EU ist, kann niemals ein Friedensprojekt der europäischen Völker sein. Dafür müsste man schon den Kapitalismus in ganz Europa beseitigen und durch ein sozioökonomisches und sozioökologisches Projekt der Gleichheit ersetzen. Europäische Gleichheit, auf der Grundlage einer demokratischen Gemeinwirtschaft am Gemeineigentum. Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsmitteln in Europa: Grund und Boden, Luft und Wasser, Rohstoffe und Bodenschätze, Tier -Natur- und Pflanzenwelt. Zugleich aber auch die Voraussetzung für eine sozialökologische Kreislaufwirtschaft. Das ist im EU-Kapitalismus so nicht möglich!

  • Vielen Dank!

    Ich warte schon ewig darauf, dass die Debatte auf dieser Ebene geführt wird. Alles andere ist kleingeistiges Beharren auf Eigeninteressen.

    • @Birdman:

      Ohne eine neue Verfassung kann auf dieser Ebene gar keine Debatte zu einem Ende gebracht werden. Unser Grundgesetz als gegenwärtige Verfassung lässt eine weitere Souveränitätsabgabe bis hin zur Selbstabschaffung jedenfalls nicht zu.

  • "Ich kann nicht verstehen, was an einer transnationalen Solidargemeinschaft in Zeiten der Globalisierung falsch sein soll."

    Gar nichts. Im Gegenteil, sie ist höchst erstrebenswert und alternativlos. Hoffentlich werden wir irgendwann ein bedingungsloses Grundeinkommen auf globaler Ebene haben.

    Was der Autor aber übersieht: Der Aufbau einer transnationalen Solidargemeinschaft, zum Beispiel eines einheitlichen europäischen Sozialstaats als ersten Schritt, geht einher mit der Auflösung des bestehenden bundesdeutschen Sozialstaats. Die Karten werden neu gemischt, Standards in Frage gestellt.

    Daran haben auch diejenigen ein Interesse, die schon immer den Sozialstaat abbauen wollten. Und im Gegensatz zum Autor werde ich mich nicht ganz naiv vor ihren Karren spannen lassen.

    Falsche Gedankengänge wie "wenn kein Sozialstaat auf kleinstem gemeinsamen Nenner, dann auch kein Europa, dann auch wahrscheinlich wieder Krieg" sind verdächtig, interessengeleitet zu sein.

    • @BUBU:

      Ich würde wirklich gerne wissen, wie Sie anhand der gesamteuropäischen wirtschaftlichen Situation von einem europäischen Grundeinkommen überhaupt sprechen können. Aufgrund der politischen Situation, die sich täglich aufgrund von Dingen wie Artikel 13, 11 und der Flüchtlingssituation verschärft, muss man wirklich in einer Blase leben um überhaupt über solche Dinge zu sprechen!

    • @BUBU:

      wichtiger Einwand!

  • Ich verstehe nicht wieso ein supranationaler Machtblock friedlicher sein sollte als ein Nationalstaat (vgl. NATO) ? Was ich weiß ist, dass Demokratie und Nationalstaat untrennbar miteinander zusammenhängen. Die EU ist antidemokratisch, Demokratie heißt Volksherrschaft.

    • @Wilhelm Heinrich:

      Das ist Unsinn - man kann alles demokratisch organisieren, von einem 3-Mann-Betrieb bis zur EU. Es braucht nur den (politischen) Willen. Nationalstaaten haben wieder und wieder bewiesen, dass sie extremst undemokratisch sein können.