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Das Eigentor von Friedrich MerzNo, he can’t

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Es scheint, als tue Friedrich Merz wirklich alles dafür, um die Wahlen nicht für sich zu entscheiden. Noch ist das Ende allerdings völlig offen.

Kommt mit seinen Zustrom-Begrenzungsplänen nicht bei jedem gut an: Friedrich Merz Foto: Annegret Hilse/reuters

D as muss man erst mal schaffen. Drei Wochen vor der Bundestagswahl hat Friedrich Merz einen Keil in seine Partei getrieben, auch wenn diese sich noch weitgehend ruhig verhält, weil man die Macht nicht gefährden will. Er hat den Bundestag zu einer vergifteten Debatte gebracht, von der sich die Frak­tio­nen der Mitte noch erholen müssen. Er hat eine Tür zur AfD aufgerissen, Zehntausende De­mons­tran­t*in­nen gegen sich auf die Straße getrieben.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel, Michel ­Friedman, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie die Kirchen stellen sich gegen ihn. Das alles völlig ohne Not und der hysterischen Vorstellung folgend, dass man nach dem furchtbaren Angriff in Aschaffenburg klare Kante zeigen müsse. In der Sache geändert hat sich nichts: Der Unions­antrag, dem am Mittwoch die Stimmen der AfD zur Mehrheit verholfen hatten, ist von rein appellativem Charakter.

Mit seinem Gesetzentwurf am Freitag ist Merz gescheitert – auch weil zwölf Christ­de­mo­kra­t*in­nen sowie zahlreiche Abgeordnete der FDP nicht mitziehen wollten. Merz ist, so seine eigenen Worte, „all in“ gegangen, wie beim Poker. Voll ins Risiko also, wie ein Spieler. Ein Zocker ist so ziemlich das Letzte, was das Land in diesen schwierigen Zeiten als Kanzler braucht. Merz hat in den letzten zehn Tagen unter Beweis gestellt, dass ihm das Format fehlt. Und damit vieles eingerissen, was er vorher mühsam aufgebaut hat.

Merz kann es einfach nicht. Trotz allem kann es sein, dass sein Kalkül zunächst aufgeht. Viele Menschen im Land, das zeigen Umfragen, sind unzufrieden und wollen eine Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik, möglicherweise stellen sie dafür andere Überlegungen hintan. Es kann also sein, dass Merz’ gefährliches Manöver dazu führt, dass er Stimmen für die Union hinzugewinnen kann.

Hoffnung auf Wirkung der Massenproteste

Es kann aber auch anders kommen: dass sie auf der anderen Seite noch mehr Stimmen verliert, weil ihr die Menschen den Tabubruch mit der AfD nicht durchgehen lassen. Das Ergebnis ist, auch nach Einschätzung zahlreicher Expert*innen, derzeit noch schwer abzusehen. Hoffnung aber machen die vielen, die gegen den Rechtsruck auf die Straße gehen. Als es vor einem Jahr Massendemonstrationen gab, sind in Umfragen die Stimmen für die AfD zurückgegangen.

Vielleicht mobilisieren die Proteste auch die im eher linken Lager und in der Mitte, die nach dem Ampel-Aus erwogen haben, für die CDU zu stimmen oder gar nicht zur Wahl zu gehen. Um die Umfrageergebnisse noch grundlegend zu ändern, müsste zwar fast ein Wunder geschehen. Vielleicht hat Merz dafür gerade den Anstoß gegeben.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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4 Kommentare

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  • Ich denke, Merz' Kalkül wird aufgehen. Seine Aktion wird der Union Prozentpunkte bringen - wie viele, bleibt abzuwarten. Auch die AfD dürfte wohl hinzugewinnen, vielleicht sogar noch mehr als die Union. Aber dann wird sich natürlich die Frage stellen, wie eine stabile Regierung aussehen soll, nachdem Merz derart spalterisch aufgetreten ist.

    Und das macht mir angst. Natürlich wird es Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD geben, je nach Wahlergebnis sogar mit den Grünen noch dazu. Die Gefahr ist dann hoch, dass es so läuft wie in Österreich, weil es keinen Raum für Kompromisse mehr gibt.

    Es könnte also gut sein, dass Merz dann eine Minderheitsregierung anstrebt, getreu seinem Motto: "Mir doch egal, woher die Stimmen kommen. Ich schaue nicht nach rechts und nicht nach links, sondern nur geradeaus". Es wird dann auf eine heimliche Koalition zwischen Union und AfD hinauslaufen, der irgendwann eine echte folgt. Und dann wird es heißen, das sei doch sowieso schon Normalität in Europa, also was soll's...

  • Ich finde es irgendwie unterkomplex, die Schuld für die Misere nur bei der CDU zu suchen. Ich habe weder eine konstruktive, ruhige mit Sachargumenten arbeitente SPD, noch lösungorientierte Grüne gesehen. Das die CDU den größten Anteil hat ist unbestritten. Das die Rest Ampel an diesen Mist auch nicht unschuldig ist, sieht ä jeder, der mal etwas genauer hinschauen und hinterfragen möchte.

  • Die Frage ist ja: Entscheidet sich jemand deshalb um?



    Ist jemand auf den Demos, der oder die Union gewählt hätte - und das jetzt nicht mehr tut?

    Die Antwort scheint zu sein: Äußerst wenige.

    Man erinnere sich an die Rote-Socken-Kampagne der CDU gegen Rot-Rot-Grün. Immerhin richtete die sich gegen die Kooperation mit der Nachfolgerin einer totalitären Staatspartei. Es hatte wenig Wirkung. So wird es auch mit der Brandmauer-Kampagne werden.

    Die Union wird also ein paar Prozentpunkte verlieren; am Ergebnis wird sich sonst nicht viel ändern.



    Aber sie hat einen entscheidenden taktischen Vorteil gewonnen:



    Falls die Koalitionsverhandlungen stocken, könnte die Union zumindest wesentliche Punkte ihres "100-Tage-Programms" auch ohne Koalition und ohne Regierungswechsel durchsetzen.



    Und nachdem auch diese Woche die Welt nicht untergegangen ist, kann auch kein Unionswähler nach der Wahl sagen: "So haben wir nicht gewettet."

  • Wie viele Artikel sollen es noch werden, in denen Merz die Kanzlertauglichkeit abgesprochen wird und das er alles dafür täte zu verlieren.



    Auch nach den Bundestagsabstimmungen steht Merz stabil bei 30% und die anderen +-15%.

    Ich kann ja verstehen, dass Merz unbeliebt ist und man ihn absolut ablehnt (tu ich auch), aber nach 4 Tagen voller "No he can´t" Artikel sollte dann doch wieder mal etwas Realismus einkehren. Diese Handlungen schaden Merz nicht.

    Es muss nun wirklich nicht jeder zum 395x in der Zeitung dies wiedergeben. Eher würde ich mal eine Analyse sehen, warum ihm das nicht schadet und wie das passieren konnte.