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DDR-Vertragsarbeiter aus VietnamUrlaub mit bösen Folgen

Seit mehr als dreißig Jahren lebt und arbeitet Pham Phi Son in Sachsen. Chemnitz will den ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter abschieben. Warum?

„Ohne Anmeldung kein Aufenthaltsrecht und ohne Aufenthaltsrecht keine Anmeldung“, sagt Taeubner Foto: Andrey Popov/imago

Chemnitz taz | Der heute 65-jährige Pham Phi Son kam 1987 als Vertragsarbeiter nach Sachsen. Jahrzehntelang lebte er dort als voll integrierter Arbeiter, qualifizierte sich zum Vertriebskaufmann, verfügte über eine Niederlassungserlaubnis sowie eine Wohnung. Doch dann reiste er im Jahr 2016 nach Vietnam – und damit begannen die Probleme.

Bei dem Urlaub im subtropischen Klima flammte eine alte Kriegsverletzung an seinem Bein wieder auf. Er musste sich in stationäre Behandlung begeben. Das Attest liegt der taz vor. Weil sich der Genesungsprozess hinzog, kehrte Son Monate später nach Deutschland zurück als beabsichtigt. Zu spät: Denn das deutsche Ausländerrecht sieht vor, dass bei einem Auslandsaufenthalt über mehr als sechs Monaten unter bestimmten Bedingungen alle erworbenen Aufenthaltstitel erlöschen.

Dass Son wenige Wochen nach seiner Rückkehr wieder Arbeit fand und seine Familie ernähren konnte, beeindruckte die Chemnitzer Ausländerbehörde nicht. Der fiel die zu lange Abwesenheit des Mannes im Jahr 2017 auf. Da wollte Son die Geburt seiner Tochter Emilia beurkunden lassen. Ihr hätte eigentlich ein deutscher Pass zugestanden.

Doch wegen der zu langen Abwesenheit des Vaters verweigerte Chemnitz Emilia die Beurkundung, Son und seiner Frau entzog sie das Aufenthaltsrecht. Sie untersagte auch Sons Arbeitgeber, ihn weiter zu beschäftigen, und meldete die Familie von Amts wegen in der Wohnung ab. Die vermutlich von der Ausländerbehörde dorthin geschickte Polizei suchte ihn.

Kinderfeindliche sächsische Asyl- und Abschiebepolitik

Die Familie tauchte daraufhin ab und hält sich seitdem versteckt. Alle Bemühungen, wieder ein legales Aufenthaltsrecht zu erlangen, scheiterten seitdem. Weder das Verwaltungsgericht noch die Sächsische Härtefallkommission wollten einen Härtefall anerkennen.

Stefan Taeubner, der katholische Seelsorger der Familie, will sich mit der Behördenentscheidung nicht zufrieden geben: „Ich erwarte von den Chemnitzer Behörden eine humanitäre Lösung.“ Unterstützung erhält Taeubner vom SPD-Landtagsabgeordneten Frank Richter. Für ihn ist der Fall „ein weiteres Beispiel für die Familien- und kinderfeindliche sächsische Asyl- und Abschiebepolitik“. Gutwillige, integrierte und arbeitsame Menschen würden abgeschoben, die Traumatisierung von Kindern in Kauf genommen. Das sei „unmenschlich, ungerecht und auch in ökonomischer Hinsicht unvernünftig“, so Richter.

Kathrin Neumann, Sprecherin der Stadt, argumentiert: „Die Niederlassungserlaubnis des Mannes war vor dessen Wiedereinreise in das Bundesgebiet aufgrund der Dauer des Auslandsaufenthaltes kraft Gesetzes erloschen.“ Der Familie sei mehrfach mitgeteilt worden, dass über einen Antrag auf eine Duldung nur entschieden werden könne, „wenn sie sich in Chemnitz anmelden“.

Das Problem: Für die Anmeldung müsste die Familie einen neuen Mietvertrag vorweisen. Dem Seelsorger Taeubner zufolge würden viele Vietnamesen in Chemnitz ihr jetzt keinen Wohnraum vermieten, weil sie sich dann der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt schuldig machen. „Ohne Anmeldung kein Aufenthaltsrecht und ohne Aufenthaltsrecht keine Anmeldung“, sagt Taeubner. „Selbst mich hat die Kriminalpolizei am Telefon auf strafrechtliche Konsequenzen für den Fall hingewiesen, dass ich der illegalisierten Familie weiter helfe.“

Setzt die Ampel ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag um, könnte sich ein Ausländer mit Niederlassungserlaubnis bei einem triftigen Grund länger im Ausland aufhalten können, ohne dass diese automatisch erlischt. Dass das auch rückwirkend gilt, ist aber unwahrscheinlich.

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5 Kommentare

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  • Ist er länger als 15 Jahre hier und der Lebensunterhalt gesichert, erlischt die Niederlassungserlaubnis nicht bei Abwesenheit über 6 Monaten, § 51 Abs. 2 AufenthG.



    Im übrigen kann eine Ausländerbehörde weder eine Wohnung kündigen noch wahrheitswidrig die Meldeadresse löschen.



    Unklar ist auch was hier die Gerichte gesagt haben. Unklar ist auch wo Sachsen eine "Härtefallkommission" hat, wenn die Kommission (oder der Innenminister?) solche Fälle ablehnt.



    Bitte etwas genauer recherchieren.

    • @berlin ist für alle da:

      anschließe mich = die leider nur zu bekannte Achillesferse der taz - insbesondere wenn‘s um juristisch angereicherte Sachverhalte geht!



      Ein Ende leider nicht in Sicht - nach meiner Einschätzung wird’s eher schlimmer.

  • ,,Die Niederlassungserlaubnis des Mannes war vor dessen Wiedereinreise in das Bundesgebiet aufgrund der Dauer des Auslandsaufenthaltes kraft Gesetzes erloschen."

    Erloschen wohl auch alles Bemühen, Gesetze nicht mit aller Härte anzuwenden, sondern Menschen aufzuklären und Lösungen zu finden.

    Erloschen anscheinend auch die Fähigkeit zu menschlicher Kommunikation.

    Es gibt sicher neben der Abschiebung andere Möglichkeiten zu strafen, wenn das Bestrafen einem so wichtig ist.

    Und alternativ hätte man nach Lösungen suchen können, die Straffreiheit ermöglichen, wie man im Kommentar lesen kann: ,,Wenn die Gründe für eine verzögerte Rückkehr dargelegt werden können: Greift die sechs-Monats-Frist nicht.''

    Man kann wohl nicht nicht sondern will nicht. Sehr traurig und schockierend. Auch die Aussage der Polizei, die angstmachend und einschüchternd auf die Unterstützer wirken muss..

    Ein grausamer struktureller und individueller Rassismus scheint das Problem zu sein.

    Wenigstens berichtet die TAZ, aber man fühlt sich hilfols und in Sorge, um die Familie und um Chemnitz und Sachsen. Was ist da los?

  • Sorry - bin ja was länger schon aus dem Geschäft. But.

    “ Denn das deutsche Ausländerrecht sieht vor, dass bei einem Auslandsaufenthalt über mehr als sechs Monaten unter bestimmten Bedingungen alle erworbenen Aufenthaltstitel erlöschen.“

    Das versteh ich nicht.



    In solchen Fallgestaltungen greifen/t dieselbe(n) Vorschriften des AuslG ein.



    Die schon im Steinmeier/Maaßen-Skandal der feine Herr Hans-Georg Maaßen vs Murat Kurnaz falsch angewandt hat. Wie das VG Bremen später rechtskräftig befand.



    Wenn die Gründe für eine verzögerte Rückkehr dargelegt werden können:



    Greift die sechs-Monats-Frist nicht.



    Hier ist das doch ganz offensichtlich & Rezept - der Fall.



    Das entspricht m.W. der ständigen Rechtssprechung.



    Schon als Proberichter Ende der 70er habe ich derartige Fälle entsprechend entschieden



    Meistens Türken/Kurden - die im Knast gesessen haben!



    Hier kann mE nichts anderes gelten!

    unterm——- btw



    Einen AuslR-Kommentar gabes - den Schiedermair* - der anderes vertrat!



    Der stand selbst in Westfälisch Sibirien zum Wochenende im Giftschrank!



    Damit unerfahrene junge Kollegen da nicht versehentlich Mist bauten!



    Der feine Herr - zuletzt Präsi VG Würzburg - war auch danach!



    de.wikipedia.org/w...udolf_Schiedermair



    “ Rudolf Schiedermair (* 8. Mai 1909 in München; † 6. Juni 1991 in Würzburg) war ein deutscher Jurist, Richter und Experte für Verwaltungsrecht, Staatsrecht, allgemeine Staatslehre und öffentliches Recht. Während der deutschen Besetzung Norwegens von 1940 bis 1945 war er Leiter der Abteilung „Allgemeine Staatsverwaltung“ des Reichskommissariats Norwegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Präsident des Würzburger Verwaltungsgerichts.…



    Ihm oblag bereits seit Ende 1935 der Bereich Rassefragen und Judenpolitik in der Verfassungsabteilung des Reichsinnenministeriums.[2] Zudem war er Leiter der Stelle „Gesetzgebung“ im Rassepolitischen Amt der NSDAP.[3] Von der SA wechselte er 1939 zur SS und wurde beim SD-Hauptamt geführt. usw usf - 🤢🤮 -

    • @Lowandorder:

      Vielen Dank das Sie den Schiedermair seinerzeit weggesperrt haben - damit der Nachwuchs sich davon nicht beeindrucken lässt.



      Besser wäre es wohl gewesen Schiedermair wäre gleich nach dem Krieg weggesperrt gewesen - mindestens für seine "SS-Leistungen" in der Kriegszeit. Wohl auch einer der der Entnazifizierung entkam.



      Ich teile Ihre Einschätzung und Ihren Hinweis auf die Gerichtsentscheidung, dass aufgrund der wohl nachzuweisenden Verhinderung rechtzeitig wieder zurück zu sein, der Umstand dem Manne nicht zum Nachteil gereichen darf und kann. Alles andere wäre Unrecht und eine Fehlentscheidung auf Basis geltenden Rechts.



      Schlimm genug dass so etwas schon wieder in unserem Land passiert und beinahe niemand unternimmt etwas gegen diesen institutionellen Rassismus.