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Coronavirus in ItalienIn 48 Stunden zum Seuchenherd

Bisher schien Italien vom Virus weitgehend verschont zu sein. Jetzt gibt es 100 Infizierte, Städte werden abgeriegelt, der Karneval abgesagt.

Nur eine Frage der Zeit, bis sich das Virus im Rest Italiens verbreitet? Foto: dpa

ROM taz | Mehr als 100 festgestellte Infektionen sowie zwei Tote: Binnen 48 Stunden wandelte sich Italien vom bisher scheinbar kaum zum nunmehr am stärksten vom Covid19-Virus betroffenen Land Europas. Teile Norditaliens befinden sich im Ausnahmezustand, und die Regierung verabschiedete am Samstag auf einer Kabinettssitzung Notstandsmaßnahmen.

An gleich zwei Seuchenherden – der eine in der Lombardei, der andere in Venetien gelegen – breitete sich die Krankheit aus. In der Lombardei ist die Gemeinde Codogno südöstlich von Mailand das Epizentrum.

Dort gilt ein 38-Jähriger, der seit Mittwochabend mit einer schweren Lungenentzündung im Krankenhaus liegt, als „Patient Eins“, der seine Frau, Freunde, Ärzte und Pfleger ansteckte. Das Problem der Behörden: Sie wissen nicht, wer „Patient Null“ ist, bei dem sich der 38-Jährige infiziert hatte. Er selbst war nie in China gewesen, und der Verdacht, er könne sich das Virus bei einem aus China zurückgekehrten Freund eingefangen haben, bestätigte sich nicht: Der Test auf Antikörper erwies sich als negativ.

Mehr als 40 Personen in Codogno und Umgebung sind mittlerweile positiv getestet. Eine 77-Jährige Frau erlag dem Virus. Die Behörden reagierten mit der völligen Abriegelung des Städtchens und neun weiterer Gemeinden mit insgesamt 50.000 Einwohner*innen. Die Bürger*innen dürfen diese Zone nicht verlassen. Schulen, Betriebe, Läden und Behörden sind geschlossen; nur ein Supermarkt und die Apotheken versorgen die Menschen mit dem Nötigsten.

Fälle außerhalb der Kernzone

Parallel dazu brach die Epidemie in Vo' Euganeo aus, einem Dorf mit 3.000 Einwohner*innen unweit von Padua in Venetien. Hier und in den nahe gelegenen Gemeinden sind bisher 15 Menschen infiziert, ein 78-Jähriger starb. Auch Vo' Euganeo ist komplett abgeriegelt.

Noch bis zum letzten Donnerstag wähnte sich Italien als von der Epidemie kaum betroffenes Land. Nur drei Menschen lagen bis dahin in einem Krankenhaus in Rom: Ein chinesisches Touristenpaar und ein junger italienischer Forscher. Sie hatten sich in China angesteckt, ohne weitere Personen in Italien zu infizieren. Auch die aus Wuhan zurückgebrachten Italiener*innen erwiesen sich im Virustest als negativ. Italien hatte als erstes europäisches Land sämtliche Flugverbindungen zu China gekappt.

Auf der Kabinettssitzung am Samstagabend stattete sich die Regierung per Gesetzesdekret mit weitgehenden Befugnissen aus, um das Virus einzudämmen. Ab Sonntag sind die betroffenen Kommunen der beiden Seuchenherde abgeriegelt, neben der Polizei kann hier auch die Armee eingesetzt werden. Außerdem sind alle ökonomischen und Freizeitaktivitäten unterbunden. Wann immer nötig, kann die Regierung Verkehrsverbindungen kappen. So halten in den betroffenen Orten keine Busse und Züge mehr.

Ob das reicht, ist fraglich. Denn diverse Infektionsfälle wurden mittlerweile auch außerhalb der Kernzonen verzeichnet, etwa im Großraum Mailand, in Turin oder vor den Toren Venedigs, wo am Sonntag der berühmte Karneval abgesagt wurde. Alle Universitäten der Lombardei und Venetiens sowie die Universität Ferrara beschlossen, ihren Lehr- und Prüfungsbetrieb vorerst bis zum 2. März einzustellen.

Salvini will komplette Abschottung

In der Ersten Fußballiga wurden drei für Sonntag in Bergamo, in Mailand und in Verona angesetzte Spiele abgesagt. Und Giorgio Armani kündigte an, seine Schau auf der Milano Fashion Week hinter geschlossenen Türen durchführen zu wollen, während die Messe „Plant and Garden“, die am 26. Februar in Mailand beginnen sollte, auf September verschoben wurde.

Zugleich verfügte das Schulministerium die Einstellung aller Klassenfahrten und Schulausflüge. Einem allerdings ist das alles nicht genug: dem Chef der rechtspopulistischen Lega Matteo Salvini. Der fordert, das komplette Land abzuriegeln, das Schengener Abkommen auszusetzen und die Grenzen zu schließen. Die Regierung wies dieses Anliegen zurück. Sie habe nicht vor, „Italien in ein Lazarett zu verwandeln“, lautete die Antwort an Salvini.

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8 Kommentare

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  • Der Umstand, das bei uns noch keine einzige Infektionsquelle erkannt worden ist, ist ein klares Zeichen, dass die Covid-Erkrankungen eben unerkannt voranschreiten.



    Es ist u.a. nicht bekannt, dass z.B. die Reisewege von Reisenden aus Wuhan bzw. China systematisch verfolgt worden waeren oder dass sie Gelegenheit gehabt haetten, auf chinesischsprachigen Webseiten der deutschen Regierung eben diese zu hinterlegen.



    Die Faelle in Bayern sind ja nur deshalb identifiziert worden, weil die Erkrankung in China selbst erkannt wurde.

  • Wenn die Rechtspopulisten jetzt, einen Monat verspaetet, Massnahmen gegen die Ausbreitung des Virus fordern, zeigen sie damit genauso ihre Unfaehigkeit wie unser Seuchenminister Spahn, der ebenfalls den wichtigsten Monat hat untaetig verstreichen lassen. Bzw. versucht, den Absprung zu einem neuen Job zu schaffen.

  • Das Virus ist hochansteckend, wie wir von der Diamond Princess wissen. Dort stiegen die Fallzahlen in schönster exponentieller Form:



    elm.nsupdate.info/virus/cruise.html



    bis man sich zur Entlassung entschied, ohne die Verbreitungswege hat klären zu können. Damit war die Quarantäne gebrochen.

    Was wir in Italien erleben, wird in anderen Ländern auch folgen. Der Iran ist auf dem besten Wege dahin. Statistiken sind hier zu sehen:



    elm.nsupdate.info/virus/

    Intensivere Reaktionen gleich zu Anfang, 1-2 Wochen Flugverbot bis zur genauen Klärung hätten die Eindämmung erleichtert. So wird ungebremst weitergreist und nun gerät man anderortens in Panik.

  • Ich denke einmal, man sollte davon ausgehen, dass das Virus außerhalb Chinas schon wesentlich verbreiteter ist, als angenommen/bestätigt. Sagen ja auch einige Epidemologen ( www.theguardian.co...forts-experts-warn )

    Diese neuen Epizentren werden oftmals dann entdeckt, wenn irgendjemand stirbt oder schwer krank im Krankenhaus liegt und entsprechend getestet wird. Die allermeisten, bei denen die Krankheit mild oder asymptomatisch verläuft, tun das dann als einfache Grippe ab und bekommen das wahrscheinlich gar nicht mit, dass sie den Virus je hatten.

    Ist halt nur die Frage, ob das an unserem Verhalten/Quarantänemaßnahmen groß etwasändern sollte. Anlass zur Panik sollte das sicher nicht sein, da die Krankheit in den meisten Fällen ja eher mild ist. Denke sogar, dass man zumindest die drakonischsten der Quarantänemaßnahmen vllt überdenken sollte. Wenn dann manche Dörfer Versorgungsschwierigkeiten bekommen oder in schlecht beheizten/suboptimal belüfteten Turnhallen zusammengepfercht werden, kann ich mir vorstellen, dass das für die Betroffenen noch ein verschlimmernder Faktor sein kann.

  • nur eine Frage der Zeit bis das Virus bei uns ist. don't panic. Mal sehen ob Spahn dann immer noch so entspannt ist. Welche Maßnahmen hat er? Antibiotika sollen ja auch schon knapp werden, da fast alles nur noch in China produziert wird und dort aktuell die Produktionen aufgrund der Quarantäne die Produktionen geschlossen sind. Die letzte Antibiotikaproduktionsstrecke wurde hier vor wenigen Jahren geschlossen. Dass jemand Spahn die Frage nach dem Aufbau von Notfallproduktionskapazitäten gestellt hätte, hab ich auch noch nicht gehört und um die Frage nach dem Notfallplan quatscht er immer routiniert herum. Nachdem ja schon oft festgestellt wurde, dass unser Gesundheitssystem durch vielerlei Sparmaßnahmen geschwächt ist, die Kliniken z.B. in Berlin sind durch die normale Grippewelle und den Personalmangel überlastet. Selbst mit sogenannten "Krankenhauskeimen" wird man in dt. Krankenhäusern nicht fertig, ich schätze mal weil man selbst am Putzpersonal spart, von Fremdfirmen putzen lässt, die billigste Firma bekommt den Zuschlag und die unterbezahlten, überarbeiteteten Putzkräfte arbeiten dann auch so, was man ihnen nicht einmal verdenken kann. Praktischerweise soll ja das Innenministerium jetzt zu der von ihm vor 2- 3 Jahren erteilten Empfehlung zu Hause Vorräte anzulegen nun ein Kochbuch herausgegeben haben. Sollten wir uns anfangen Sorgen zu machen?

    • @ingrid werner:

      a) Antibiotika helfen nicht bei oder gegen einen Virusinfekt



      b) Wird Spahn schnellst sicher möglich eine weitere Pflichtimpfung (in den kommenden Jahren) dazu einführen (wollen)



      c) Die Viren und Bakterien suchen sich dann so oder so weiter andere Wege in Form von immer heftigeren, mutierten Erregern. Das sind die, die irgendwie trotz aller menschlich erdachter und erforschter "Gegenkampagnen" überleben und neuen, großen "Schaden" bei der Menschheit oder bei Tieren anrichten können, um selbst weiter überleben zu können. (Siehe Keimentwicklung in Krankenhäusern. Das liegt nicht an den Reinigungskräften, sondern überwiegend an den vielen (schlecht eingesetzten) Desinfektionsmitteln.)

      So viele Tote gab es in westlichen Ländern bei Masern-Virus-Ausbrüchen vermutlich noch nie! (Ist mir zumindest nicht bekannt.)

      Und: Womit kochen wir, wenn dann auch mal das Stromnetz angegriffen werden sollte?

      Eigentlich wäre die Logik: Ein wenig back to the roots, um im Fall der Fälle möglichst immunstark zu sein und/oder mit Holz zuhause kochen und heizen zu können (ohne jeglichen Stromanschluss!). Das bedeutet: In jedem Haus ein funktionierender Schornstein und Förderung für entsprechende Öfen und Umbauten. Und vielleicht dann auch noch ein paar geförderte Brieftaubenzuchtkurse oder je Haus mindestens einen herkömmlichen analogen Telefonanschluss und weiter UKW-Wellen, um Nachrichten hören zu können.

  • Wenn man nicht großflächig testet und stattdessen darauf wartet dass der Virus erst bei schwer erkrankten im Krankenhaus auffällt, sieht man das erst, wenn es schon explodiert, klar. Auf jeden dieser schweren Fälle kommen 5 bis 10 leichte Fälle, die schon seit Wochen unbemerkt andere infizieren, von denen dann ca. zwei Wochen später 10 bis 20% schwer erkrankt im Krankenhaus landen und so weiter. Das wird in Deutschland etc. ganz genau so ablaufen.

    Dummerweise wären schnelle drakonische Maßnahmen in der Tat das einzige, was das zumindest bremsen könnte, und zwar möglichst noch bevor die Spitze des Eisbergs sichtbar wird. Traut sich aber keiner.

    • @Mustardman:

      Stimme Ihnen zu 100% zu.