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Corona und die Vereinten NationenImpfpatente endlich freigeben

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Der UN-Menschenrechtsrat kritisiert zu Recht autoritäre Regime. Doch er übergeht den Impfnationalismus der westlichen Länder.

Eine Krankenschwester in Gaza bereitet eine Impfung vor Foto: Mohamed Salem/reuters

Z um Auftakt der ersten diesjährigen Sitzung des UN-Menschenrechtsrates haben die Außenminister der USA, Deutschlands, Großbritanniens und anderer westlicher Staaten zu Recht die Menschenrechtsverletzungen der Regierungen und Militärführungen in China, Myanmar, Russland und Venezuela kritisiert. Doch die westlichen Außenminister schwiegen zu derjenigen Menschenrechtsverletzung, die aktuell die meisten Menschen auf der Erde betrifft mit möglicherweise katastrophalen Folgen in den kommenden Jahren – und für die ihre eigenen westlichen Regierungen verantwortlich sind.

Mit ihrem Impfnationalismus und ihrer bereits seit fast sechs Monaten anhaltenden Weigerung, endlich die Patente der großen Pharmakonzerne auszusetzen, verhindern Deutschland, die USA, Großbritannien und andere Länder eine schnelle, global ausreichende Produktion und gerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen. Es blieb UNO-Generalsekretär Antonio Guterres vorbehalten, diesen Impfnationalismus als „Verweigerung von Menschenrechten“ und „moralisches Versagen“ einzustufen und die westlichen Regierungen wie bereits vergangene Woche bei der Münchner Sicherheitskonferenz erneut zu einer Korrektur ihrer Haltung aufzurufen.

Über ihre – berechtigte – Kritik an Menschenrechtsverletzungen in autoritär geführten Staaten hinaus monieren westliche Regierungen und Medien darüber hinaus erneut die Tatsache, dass einige dieser Staaten auch Mitglied im Menschenrechtsrat sind. Manche Akteure nutzen diesen Vorwurf gezielt zur pauschalen Propaganda gegen den Rat oder gar gegen das gesamte UNO-System, andere verbreiten ihn ohne eigenes Nachdenken weiter.

Denn der Vorwurf offenbart ein Missverständnis der seit 1945 bestehenden Völkerrechtsordnung. Deren Mitglieder sind nun einmal die Nationalstaaten. Wenn alle 194 Staaten dieser Erde bereits funktionierende Demokratien wären, in denen die internationalen Menschenrechtsnormen umgesetzt sind, dann bräuchte es dieses UNO-Gremium zur Förderung der Menschenrechte nicht.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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13 Kommentare

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  • Anscheinend hat die Aufforderung von Guterres und in diesem Artikel erneut vorgebrachte Punkten richtig einen Nerven getroffen. Vor allem wenn ich hier manche Reaktionen lese. Wenn man die Patente aussetzen wurde, wurden eher nur diejenige produzieren, die wirklich es können. Argumenten der Komplexität greifen hier nicht.



    Auch ist es nicht wünschenswert, besser gesagt es wäre katastrophal, eine aggressivere impfungsresistente Mutation aus irgendwie Teil der Welt zurück in Europa zu haben, nur weil die europäische Länder diese.. "sch...." Patente als Lizenz nicht freigeben wollen.

  • Nur weil es Patentschutz gibt, heißt das nicht, dass der zwangsläufig ein effektives Hindernis ist. Die Produktion gerade der mRNA-Impfstoffe ist eine verflixt schwierige Angelegenheit, und die Frage lautet weniger, wer sie produzieren darf, als wer es überhaupt kann. Davon abgesehen würden sich die Hersteller selbst ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie jetzt nicht - oder nur zu prohibitiven Preisen - Lizenzen an Jeden vergeben würden, der die notwendigen Kapazitäten hätte.

    Wenn also irgendwer nachweist, dass es an der mangelnden Bereitschaft der Erfinder liegt, bezahlbare Lizenzen zu vergeben, dass die Produktion nicht schneller anläuft, lässt sich sinnvoll über die Aussetzung von Patentrechten reden. So aber klingt es eher nach einer Kampagne, die die Pandemie und ihre Opfer als Aufhänger gebraucht, um die eigene gesellschaftspolitische Kuh durchs Dorf zu treiben.

    Wenn irgendwas "impfnationalistisch" ist, dann die ständige Kritik daran, dass unsere Regierung aus Solidarität mit anderen Ländern NICHT (ausreichend) die Geldkarte spielt, um deren Kontingente wegzuschnappen.

  • Eine Patentfreigabe ist schwierig für Leute die sich Pfizer-Aktien gekauft haben. Dürften auch einige Tazis dabei sein.

  • China - genauer chinesische Unternehmen - hat nicht nur einen Impfstoff entwickelt, sondern 3. Sinopharm, Sinovac und CanSinoBIO.



    www.aerzteblatt.de...weltweiten-Einsatz



    Mit Sinopharm, berichtet der Hersteller, wurden bereits 10 Millionen Menschen geimpft und die bisherige Produktion liegt bei 100 Millionen Impfdosen. Hat Herr Guterres sich nicht an die chinesische Regierung gewandt?

  • "Es blieb UNO-Generalsekretär Antonio Guterres vorbehalten, diesen Impfnationalismus als „Verweigerung von Menschenrechten“ und „moralisches Versagen“ einzustufen und die westlichen Regierungen wie bereits vergangene Woche bei der Münchner Sicherheitskonferenz erneut zu einer Korrektur ihrer Haltung aufzurufen."

    Das ist deutlich etwas anderes als "Die Patente sind endlich freigegeben. Mal über Schlagzeilen nachdenken, liebe Redaktion.

    • @Jalella:

      @Jalella: Die Überschrift lautet "freigeben" (!) als Aufforderung, nicht "freigegeben"...

    • @Jalella:

      @Jalella: Die Überschrift lautet "freigeben" (!) als Aufforderung, nicht "freigegeben"...

  • "bereits seit fast sechs Monaten anhaltenden Weigerung, endlich die Patente der großen Pharmakonzerne auszusetzen"

    Ich kann diese Medien-getriebene Diskussion mal wieder nicht nachvollziehen. Denn im Patent steht natürlich nicht die Rezeptur und das genaue Verfahren für den speziellen Impfstoff.

    Ggf. könnte ein Konkurrent mit dem Wissen aus den Patenten diesen schneller - in wenigen Jahren nachbauen. Vielleicht sogar in Monaten.

    aber das Aussetzen der Patente bringt natürlich nichts.

    Aber man könnte ggf. die Impfstoffhersteller dazu zwingen fair bepreiste Lizenzen zu vergeben.



    Aber selbst dann würde es Monate dauern... Und auch nicht jedes Land wird damit was anfangen können. Indien würde ich es zutrauen, aber die meisten afrikanischen Ländern werden nicht über genügend gut geschultes Personal verfügen das man für diese Technologie benötigt.

    Irgendwo sollte man die ganze Sache mal realistisch betrachten!

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Ich bin sehr dafür, den Impfstoff in den am schlimmsten betroffenen Ländern zuerst einzusetzen.



    Also GB, Tschechien, Portugal, USA, Südafrika ... und Deutschland.



    Uppsi.

  • "Impfnationalismus der westlichen Länder."

    Warum nicht ALLER Länder?

    • @fly:

      @Fly: weil diese Länder sind diejenige, die sich weigern diese sogar in Form einer Lizenz freizugeben.

  • Die einzigen, bei denen das halbwegs Sinn macht, sind die Impfstoffe, die auf etablierter Technologie beruhen und zumindest theoretisch in existierenden Produktionsstätten gefertigt werden könnten. Also auf keinen Fall die neuen mRNA-Impfstoffe (da ist weltweit schon jede halbwegs geeignete Produktionsstätte eingespannt), sondern ganz vorne der russische Sputnik-Impfstoff. Komischerweise liest man in diesem Kontext aber grundsätzlich nur von den gierigen westlichen Pharmakonzernen - auch in diesem Artikel kommt Russland nicht vor....

    • @TheBox:

      Vollkommen richtig. Aber wenn diese seit Jahrzehnten praktizierte Technik so einfach wäre, warum haben dann Indien, Südamerika, Afrika nicht auch zumindest versucht eigene Impfstoffe zu entwickeln? (OK, im Radio war, das Indien wohl irgendwas produziert und verimpft... mehr habe ich noch nicht darüber gehört).

      Und auch bei den Vektorimpfstoffen gehe ich mal schwer davon aus das inzw. jede Produktionsstätte die an eine Lizenz gekommen ist produziert - weil grade die Kombi: bestehendes, abbezahltes Werk + Pandemie ist eine Gelddruckmaschine - und wenn man nur 10 Cent pro Fläschchen verdient... und es werden mehr sein!