Corona in Bolsonaros Brasilien: Auf dem Weg zur Corona-Revolte
Für Bolsonaro ist Corona nur eine „kleine Grippe“, das Land müsse zurück zur Normalität. Gegen Brasiliens Präsident formiert sich nun eine Bewegung.
Während seiner Ansprache bezeichnete er Corona erneut als „kleine Grippe“ und forderte eine Rückkehr zur Normalität. Einzelne Bundesstaaten hatten in den letzten Tagen den Notstand ausgerufen, Veranstaltungen wurden abgesagt, der Einzelhandel weitestgehend geschlossen, Menschenansammlungen verboten. Bolsonaro fordert nun, alle Einrichtungen und Geschäfte wieder zu öffnen.
Laut Bolsonaro habe Italien „ein komplett anderes Klima“, deshalb sei eine Situation wie in dem südeuropäischen Land unvorstellbar in Brasilien. Da die Risikogruppe des Virus ältere Menschen seien, mache es zudem keinen Sinn, Schulen zu schließen.
„Dadurch, dass Bolsonaro ein ‚normales Leben‘ in dieser Pandemie fordert, nimmt er den Tod von tausenden Menschen in Kauf“, sagte Orlando Silva, Bundesabgeordneter der Kommunistischen Partei von Brasilien (PCdoB), der taz. „Bolsonaro hat es in seiner Rede geschafft, alle Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation anzufechten und jegliche Studien der Wissenschaft zu leugnen.“
Kollaps des Gesundheitssystems für Ende April befürchtet
Auch Gesundheitsexpert*innen widersprechen dem Präsidenten vehement und warnen vor einer dramatischen Eskalation der Krise. Brasilien hat bereits jetzt mehr als 2.000 bestätigte Corona-Fälle, mehr als 40 Menschen starben in den vergangenen Tagen an der Covid-19-Krankheit.
Gesundheitsminister Luiz Mandetta sagte einen Kollaps des Gesundheitssystems für Ende April voraus. Zudem wurden Anfang der Woche die ersten Fälle in den dicht besiedelten Favelas gemeldet. Laut dem Medizin-Professor Miguel Srougi droht durch Corona eine Katastrophe für die sozial benachteiligte Bevölkerung. „Die Armen werden an den Krankenhaustüren sterben“, sagte der Wissenschaftler der renommierten Universität von São Paulo dem Nachrichtenportal UOL.
Die Aussagen vom Dienstag sind symptomatisch für den kopflosen Kurs Bolsonaros. Mehrmals hatte er das Virus als „Fantasie“ und „Hysterie“ bezeichnet. Dabei wurden sein Kommunikationschef Fabio Wajngarten und mehr als 20 Regierungsmitarbeiter*innen nach einer USA-Reise positiv auf das Virus getestet.
Und auch Bolsonaro steht selbst unter Corona-Verdacht. Das Krankenhaus, in dem der Ex-Militär getestet wurde, überreichte den Behörden am Dienstag eine Liste mit Infizierten. Zwei Namen wurden darauf geschwärzt – nicht wenige vermuten, dass es sich dabei um Bolsonaro handeln könnte.
Bereits am Montag hatte der Präsident des größten Landes Lateinamerikas für Empörung gesorgt, als er ein Dekret auf den Weg brachte, dass Unternehmen erlauben sollte, Arbeitsverträge für vier Monate auszusetzen und Angestellten in dieser Zeit weder Lohn noch Arbeitslosenversicherung zu zahlen. Nach einem öffentlichen Aufschrei zog der Rechtsradikale den umstrittenen Teil des Dekrets zurück.
Bolsonaro ist mit der Situation komplett überfordert
Es wird immer deutlicher, dass Bolsonaro mit der Situation komplett überfordert ist. Statt die aufgeheizte Situation zu beruhigen, geht er zum Angriff auf alle über, die Kritik an ihm üben. Am Dienstagabend attackierte er wieder einmal die Medien und machte sie für die Ausbreitung des Virus mitverantwortlich. Selbst ultrakonservative Zeitungen und Fernsehsender hatten in den letzten Tagen den Umgang Bolsonaros mit der Pandemie deutlich kritisiert.
Bolsonaro ist zunehmend isoliert, und auch die Frustration in der Bevölkerung wächst. So könnte die Coronakrise schaffen, was der orientierungslosen und schwachen Linken nicht gelungen ist: eine Bewegung gegen die Regierung aufzubauen.
Die nun allabendlichen Kochtopfproteste an den Fenstern werden mit jedem Abend lauter, auch viele ehemalige Unterstützer*innen der Regierung wenden sich von Bolsonaro ab. Die Bolsonaro-kritischen Proteste waren am Dienstagabend auch in vielen Vierteln zu hören, wo er die Wahl im Oktober 2018 noch mit absoluter Mehrheit gewonnen hatte. Linke Abgeordnete wollen nun ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bolsonaro einleiten.
Der Präsident kam während seiner Ansprache am Dienstagabend auch noch auf seine eigene Gesundheit zu sprechen. Sollte er angesteckt werden, erklärte er selbstsicher, mache es sich keine Sorgen. Denn er sei ja früher Athlet gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen