Gerüchte um Putsch in Brasilien: Kein Staatsstreich gegen Bolsonaro
Warum die Meldung über einen angeblichen Putsch gegen Jair Bolsonaro falsch ist – und Brasiliens Präsident trotzdem zusehends an Macht verliert.
Mehrere Onlinemedien bezogen sich auf den renommierten argentinischen Investigativjournalisten Horácio Verbitsky, der in einem Radioprogramm über ein entsprechendes Telefonat zwischen argentinischen und brasilianischen Militärs berichtete.
Seriöse brasilianische Medien brachten die Meldung allerdings nicht, denn: Sie ist ziemlich sicher falsch und aus dem Zusammenhang gerissen. Verbitsky äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht, doch es ist davon auszugehen, dass es sich bei seinen Aussagen einfach um eine Analyse handelte, die dann als Nachricht wiedergegeben wurde.
Sicher ist, dass Teile des Militärs mit Bolsonaro unzufrieden sind. Auch brasilianische Medien berichten, dass Präsidialamtsminister Netto immer größere Verantwortung bei der Bekämpfung der Coronakrise übernimmt.
Immer mehr Gouverneure verweigern die Loyalität
Mit einem Militärputsch hat das nichts zu tun, aber wahr ist: Präsident Bolsonaro ist durch seinen Umgang mit der Coronakrise zunehmend isoliert. Lange Zeit hatte der Rechtsradikale das Virus als „kleine Grippe“ heruntergespielt und eine Wiedereröffnung von Handel und Schulen gefordert – obwohl Expert*innen mit einer Katastrophe für das größte Land Lateinamerikas rechnen.
In seiner letzten Ansprache hatte sich Bolsonaro zwar gemäßigt und Corona als „größte Herausforderung unserer Generation“ bezeichnet, doch nur einen Tag später erklärte er in einem Radiointerview, dass er per Dekret eine Rückkehr zur Normalität anordnen könne, und attackierte Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta.
Dieser hatte einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems für Ende April vorausgesagt und verteidigt harte Isolationsmaßnahmen. Viele Minister, Abgeordnete und Richter des obersten Gerichtshofs haben sich offen auf die Seite Mandettas gestellt und damit die Gräben vertieft. Ein Rauswurf Mandettas durch den Präsidenten hätte kaum überrascht – doch das kann sich der angeschlagene Präsident derzeit kaum leisten. Laut Umfragen stufen 76 Prozent der Brasilianer*innen die Arbeit Mandettas als gut ein, nur 33 Prozent tun das bei Bolsonaro. Umfragen zeigen allerdings auch, dass eine Mehrheit der Brasilianer*innen gegen den Rücktritt Bolsonaros ist.
Er wird weiter regieren, aber mit immer weniger Hausmacht. Die meisten Landesregierungen gehen auf Distanz und ignorieren schlicht Anweisungen aus Brasília. Der Gouverneur von São Paulo, João Doria, ehemaliger Unterstützer Bolsonaros, rief die Bewohner*innen seines Bundesstaates dazu auf, den Worten des Präsidenten nicht zu folgen.
Wilson Witzel, Gouveneur von Rio de Janeiro und ebenfalls ehemaliger Verbündeter, ging noch weiter und erklärte: Bolsonaro könnte für seinen Kurs vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was