Corona-Sommer in Berlin: Bonjour Tristesse

Der Herbst ist da und wir blicken zurück: War das überhaupt ein Sommer, so unter Coronabedingungen? Vier subjektive Eindrücke von den heißen Monaten.

Urbanhafen vollbesetzt mit Gummibooten

Uiuiui, Urbanhafen: Gummibootprotest gegen das Clubsterben im Juni 2020 Foto: dpa

„Im Sommer tust du gut und im Winter tut's weh“, sangen Seeed in ihrer Berlin-Hymne „Dickes B“. Tatsächlich muss der Sommer in der Stadt für viele Entbehrungen in den anderen Jahreszeiten entschädigen: für das Schietwetter im Herbst, die graue Suppe im Winter, den ewig nicht einsetzen wollenden Frühling. Aber war das, was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, ein Sommer? Eine Zeit, die guttat?

Eine Phase des Unbeschwertseins waren der regnerische Juli und der heiße August nur bedingt. Zu oft fühlt man sich ertappt, wenn man langjährige Freunde traf, sich wie gewohnt umarmen wollte – und dann zurückschreckte. Wer umarmt hier, wer nicht? Manche taten es, und es tat gut. Auch wenn es vielleicht nicht richtig war.

Zaghaft entwickelte sich auch das, was die Stadt im Sommer ausmacht: das Leben draußen, vor den Kneipen, an Ecken, auf Open-Air-Partys, in Parks, im Freiluftkino. Es war ein Herantasten an das, was unter Coronabedingungen möglich sein könnte: von anfangs absurd leeren Kinos unter freiem Himmel, ausgelegt für fast 2.000 Menschen, belegt mit höchstens 200, bis zu Partys, die dann wieder stattfanden, illegale wie offiziell genehmigte. Zu diesem Herantasten gehörte das Überschreiten von Grenzen, etwa bei der berüchtigten Boots-Party-Demo im Urbanhafen. Die Folgen in Form von steigenden Corona-Infektionszahlen waren zum Glück erst am Ende des Sommers zu spüren.

Es waren dann doch Monate, die gutgetan haben. Und es tut jetzt schon weh, daran zu denken, was nun kommt. Der Herbst, oder gleich, ganz übergangslos, der Winter. Bert Schulz

Für den Fall eines weiteren Anstiegs der Corona-Fallzahlen haben sich die Gesundheitssenatorin und mehrere Bezirke für neue Gegenmaßnahmen ausgesprochen. Man habe „eine sehr ernste Lage“, sagte Dilek Kalayci (SPD) nach einem Treffen mit einigen Bezirken am Freitag. „Es besteht Einigkeit, dass es Beschränkungen für private Feiern geben sollte.“ Zudem könnte es Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum geben. Am Dienstag berät der Senat darüber.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) traf Vertreter der Gastronomie und der Bezirke. Man sei übereingekommen, auch in der kalten Jahreszeit die Nutzung des Außenbereiches zu ermöglichen, etwa durch „schnelle Genehmigungen und Überdachungen sowie CO2-arme Wärmequellen wie Infrarotstrahler“. (dpa, taz)

Unbeachtete Privilegien

Der Coronasommer hat auch gezeigt, wie privilegiert man als fest angestellter Mitarbeiter eines halbwegs stabilen Unternehmens in Deutschland ist. Ja, die taz zahlt innerhalb der Medienbranche schlecht, aber in diesem Sommer musste man um jeden Euro dankbar sein, den man im Gegensatz zu wegen Corona gekündigten Freund:innen bekam, die sich ernste Sorgen darum machen mussten, ihre Miete zusammenzubekommen.

Während sich in den USA und Italien Leichensäcke stapelten und gleichzeitig Flüchtende mit unzureichender Versorgung in Moria zusammengepfercht wurden, mussten wir uns dank eines guten Gesundheitssystems nur an Hygienemaßnahmen halten, auf dem Balkon oder im Garten chillen und im Homeoffice arbeiten.

Gleichzeitig ist es nur schwer zu ertragen, was an den EU-Außengrenzen passiert. Den traurigen Höhepunkt dieses Sommers markierte dann auch Innenminister Horst Seehofer (CSU), der sich beharrlich weigert, trotz breiter zivilgesellschaftlicher Bündnisse wie der Seebrücke die verdammten Lager in Griechenland aufzulösen. Denn natürlich hätte Deutschland genug Platz für 12.000 Leute, es wäre gerade jetzt unsere Pflicht zu helfen.

Warum also ändert nicht mal eine weltweite Pandemie etwas an der Lage auf den griechischen Inseln, wenn dort Polizist:innen Tränengas gegen Kinder einsetzen und Corona ausbricht in einem viel zu engen Lager? Oder anders gefragt: Was muss eigentlich noch passieren, damit dieser untragbare Fascho-Opa endlich in den Ruhestand geschickt wird oder die SPD die Koalition platzen lässt? Gareth Joswig

Die vermisste Spontaneität
Schwimmerim im Freibad

Restriktionen in der Freibadsaison 2020 Foto: imago

„Und morgen gehen wir ins Schwimmbad, liebe Kinder!“ Bei 30 Grad im Schatten hab ich das öfter mal so dahergesagt in diesem Sommer, und dann habe ich im selben Moment gedacht: Ach so, nee, stimmt ja gar nicht. „Morgen“ und „Schwimmbad“ schloss sich in diesem Coronasommer quasi aus, zu begehrt war das knappe Kontingent an den Zeitfenstertickets bei den Berliner Bäder-Betrieben.

Und auch vieles andere, was man sich so spontan fürs Wochenende überlegt, wenn das Wochenende eigentlich schon angefangen hat – mal wieder in dieses Familienzentrum mit der lustigen Abkürzung, Fez, in die Wuhlheide? Oder doch mal wieder Dino-Museum? – das ging nicht mehr.

Also Eis essen, aber auch das war nur noch eine eingeschränkt spontane Angelegenheit, weil die Schlange durch die corona-beschränkte Kundenabfertigung immer bis zur nächsten Straßenecke reichte.

Klar, das kann man als Luxusproblem abtun. Denn natürlich bin ich da ja privilegiert: Für den übrigens nicht gerade intuitiven Online-Ticketkauf der Bäder-Betriebe braucht man Online-Bezahlmethoden. Und ein See ist aus den Innenstadtbezirken gesehen manchmal ganz schön weit weg.

Vielen Jugendlichen dürfte das den Schwimmbadsommer gekostet haben. Und Eis essen ist jetzt auch nichts, was einen über die Sommerferien bringt, wenn man nicht mehr fünf Jahre alt ist.

Was haben diese Jugendlichen gemacht, so spontan, zumal ja auch viele Jugendclubs geschlosssen hatten? Oder die jüngeren Kids, die darauf angewiesen sind, dass Erwachsene ihnen bestimmte Angebote machen können? Für viele dürfte der Sommer spontan ganz schön lang geworden sein. Anna Klöpper

Das zarte Pflänzchen Kultur

Ein Sommer ohne Kultur, was kann das schon für ein Sommer gewesen sein – das ist der erste Gedanke. Der zweite ist dann aber auch gleich: Na ja, so ganz ohne Kultur war der Sommer ja gar nicht. Nun gut: Es gab keine Hochkultur. Keine großen Konzerte, keine Festivals. Der ganze Kommerz fehlte eigentlich, all die Tickets, für die man je nach Geschmack und Geldbörse auch zweimal im Jahr einen dreistelligen Betrag hinzublättern gewillt ist.

Die kleinen Veranstaltungen hingegen, die Lesungen, die Wohnzimmerkonzerte, die Kinofilme im dünn besetzten Saal, manche Museumsbesuche, die konnte man dann ja schon nach und nach wieder haben. Und siehe da: Genau diese kleinen Events erhielten dank Coronapandemie prompt ein ganz anderes Gewicht. Man musste gut aussuchen – nicht dass man plötzlich doch vor verschlossenen Türen ausgerechnet jenes Museums stand, das noch zuhatte.

Man musste sich anmelden. Man war insgesamt seltener draußen. Und deshalb erschien dieses bisschen Kultur plötzlich viel bedeutender. Wertvoller, obwohl es viel weniger kostete. Oft wurde klar: Die KünstlerInnen stehen hier auf der Bühne um der Bühne willen – und nicht, weil es sich bei den paar Zuschauern noch irgendwie lohnen würde.

Noch öfter stellte sich die Frage, warum das Pflänzchen Kultur so zart und pflegeintensiv ist, wo es doch eigentlich niemand missen will. Viele Kulturschaffende haben schon jetzt aufgegeben oder wissen nicht, wie es weitergehen soll, stellen ihren so oder so unverzichtbaren Brotjob auf neue Füße oder denken ernsthaft darüber nach, ob sie vielleicht doch endlich ganz und gar Musik- oder Kunstlehrer werden sollen.

Der Kultursommer 2020 war sehr leise, sehr nachdenklich. Er war besorgniserregend, aber auch sehr intensiv. Susanne Messmer

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