Corona-Impfbereitschaft steigt mit 2G: Auf den letzten Pikser
2G-Regeln schließen Ungeimpfte von vielen Lebensbereichen aus. Das überzeugt nun doch noch einige – zu spät?
Abiturient, der sich nun doch für eine Impfung entschieden hat
Ein 19-jähriger Abiturient wollte sich eigentlich schon im Sommer gegen das Coronavirus impfen lassen. „Aber meine Mutter ist Querdenkerin, sie hat mir davon abgeraten“, sagt der junge Mann, der eine Daunenjacke und grüne Sneaker trägt. „Gestern stand ich dann vorm New Yorker und durfte nicht rein, weil ich ungeimpft bin.“ Die Kontrolle vor dem Modegeschäft habe ihn dazu animiert, sich seiner Mutter zu widersetzen. „Ich will im Winter auch mal shoppen oder Freund*innen im Café treffen dürfen“, sagt er. Seiner Mutter wolle er die Impfung verheimlichen – aus Angst davor, dass sie ausrastet.
Für Menschen ohne Corona-Impfung wird es ungemütlicher in Deutschland. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz haben sich Bund und Länder am Donnerstag darauf geeinigt, deutschlandweit konsequent die 2G-Regel umzusetzen. Weite Teile des Einzelhandels, Gastronomie, Theater und Kinos, Sportstätten: Ungeimpfte müssen künftig draußen bleiben.
Damit kommt jetzt überall, was in einzelnen Ländern wie Sachsen schon seit zwei Wochen gilt und anderswo zumindest schon in Ansätzen eingeführt worden war. Wer nicht gegen das Coronavirus geimpft ist, wird aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Dazu gilt seit letzter Woche ohnehin schon bundesweit, dass sich Ungeimpfte testen lassen müssen, wenn sie den Nahverkehr nutzen oder zur Arbeit gehen. Bevor sich in Deutschland die vierte Welle in den letzten Wochen unübersehbar auftürmte, hatte sich die Politik nicht an solche Schritte gewagt.
Geschäften geht die Kundschaft verloren
Die Einschränkungen für die direkt Betroffenen sind, sofern sie im Alltag tatsächlich durchgesetzt werden, enorm. Wirtschaftliche Folgen sind ebenfalls absehbar, wenn auch nicht in einem solchen Ausmaß, wie es bei einem allgemeinen Lockdown der Fall wäre: Einzelhandelsverbände klagen beispielsweise darüber, dass den Geschäften mitten in der Vorweihnachtszeit ein Teil der Kundschaft verloren geht, während durch Kontrollen zusätzliche Kosten entstehen.
Dem gegenüber steht die aktuelle Lage in den Krankenhäusern: Die Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts stagnierten in dieser Woche zwar zum ersten Mal seit Langem. Der Sieben-Tage-Mittelwert von 57.341 täglichen Neuinfektionen ist aber immer noch enorm hoch und es ist unklar, warum die Kurve im Moment nicht noch weiter steigt: Wirken die Maßnahmen der vergangenen Wochen schon? Haben genügend Menschen aus eigenem Antrieb ihre Kontakte reduziert? Oder gibt die Statistik die Wirklichkeit einfach nur falsch wieder? In seinem Wochenbericht gibt das RKI zu bedenken, dass ein Teil des Stillstands „regional auch auf die zunehmend überlasteten Kapazitäten im Öffentlichen Gesundheitsdienst und die erschöpften Laborkapazitäten zurückzuführen“ sei.
Eine kurzfristige Hoffnung von Bund und Ländern: Die jetzt beschlossene 2G-Regel soll neben einer Reihe anderer Maßnahmen helfen, die Zahl der besonders riskanten Kontakte zu reduzieren und die vierte Welle auf diese Weise zu brechen.
Der Trotz ist offenbar groß
Die zweite Hoffnung, wenn auch eher mittelfristig gedacht: Je mehr der Alltag ohne Impfung eingeschränkt wird, desto eher könnte die Impfbereitschaft doch noch steigen – so wie bei dem jungen Mann aus Leipzig, der gerne shoppen gehen möchte und sich dafür nun seiner Mutter widersetzt. Im Bundestag mehren sich zwar auch die Stimmen für eine allgemeine Impfpflicht, einen Beschluss dazu wird es voraussichtlich aber erst im neuen Jahr geben. Kann in der Zwischenzeit die 2G-Regel die Impfquote entscheidend nach oben treiben?
Eine Umfrage, die Forsa im Oktober im Auftrag des Gesundheitsministerium durchgeführt hat, stimmt da eher skeptisch. Zwei Drittel der Ungeimpften sagten damals, sie würden sich in nächster Zeit auf keinen Fall impfen lassen – komme, was wolle. Nur 5 Prozent der Ungeimpften gaben an, dass sie sich doch noch umentscheiden würden, falls 2G im Freizeitbereich eingeführt werde. Mehr als ein Viertel wollte sich in dem Fall hingegen erst recht nicht impfen lassen. Der Trotz ist offenbar groß.
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Andererseits war das Szenario zum Zeitpunkt der Umfrage noch eher hypothetisch. Sobald die Einschränkungen wirklich spürbar sind, könnte es anders aussehen. Darauf deutet das Beispiel Österreich hin, wo Anfang November nach Einführung einer strengen 2G-Regel die Zahl der Erstimpfungen gestiegen ist. Und die Cosmo-Studie der Uni Erfurt, die regelmäßig Einstellungen zur Pandemie abfragt, kommt zum Ergebnis: In den Bundesländern, die sich schon im November für relativ strenge Regeln entschieden haben, ist die Bereitschaft unter Ungeimpften zumindest leicht gestiegen.
Das schlägt sich auch in den Arztpraxen und Impfzentren nieder. Bundesweit steigt die Zahl der Erstimpfungen seit Anfang November wieder. Waren vor vier Wochen 69,9 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, so sind es heute zumindest schon 71,7 Prozent. Besonders stark fällt der Anstieg unter anderem im 2G-Vorreiter-Land Sachsen aus. Haben sich dort in der ersten Novemberwochen nicht mal 10.000 Bürger*innen erstimpfen lassen, sind es nach der Verschärfung der Regeln zuletzt mehr als 27.000 gewesen.
„Ich habe ja keine andere Wahl mehr“
Ob der Fortschritt bei den Erstimpfungen allein auf die harten Coronamaßnahmen zurückzuführen ist oder ob auch Faktoren wie die dramatische Situation in den Krankenhäusern dazu geführt haben, dass sich mehr Menschen im Freistaat immunisieren lassen, lässt sich nicht sicher sagen. Die Umfrage der taz vor der mobilen Impfstelle im Leipziger Amtsgericht deutet jedoch darauf hin, dass die Einschränkungen für Ungeimpfte eine erhebliche Rolle spielen.
Ein 46 Jahre alter Handwerker sagt, dass er wegen 3G am Arbeitsplatz gekommen sei. „Ich habe keine Lust, mich jeden Tag testen zu lassen“, sagt er. Angst, sich mit Covid-19 zu infizieren und vielleicht auf der Intensivstation zu landen, habe er keine. Er ist wütend, dass die Politik ihn durch die Maßnahmen zur Impfung zwinge. „Ich habe ja keine andere Wahl mehr“, sagt er. Warum er die Corona-Impfung bislang abgelehnt hat, will der Mann nicht erzählen.
Eine 24-jährige Frau mit schwarz gefärbten Haaren und Septum in der Nase hatte bislang „keinen Bock“, sich impfen zu lassen. Sie habe erst mal abwarten wollen, wie andere Menschen die Impfung vertragen. Der Impfstoff sei schließlich erst wenig erforscht, sagt sie. Warum sie sich nun doch impfen lasse? „Ich kann ja sonst nichts mehr machen, nicht in Cafés gehen, nicht auf Konzerte.“
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Wenige Meter weiter steht eine Frau Anfang 30 in der Schlange. Sie wird von zwei Freundinnen begleitet. „Sie leisten mir emotionalen Beistand“, sagt die Leipzigerin. „Ich habe Super-Angst vor Nebenwirkungen, der Impfstoff ist ja noch so neu.“ Eigentlich, erzählt sie, wollte sie auf den Totimpfstoff warten. Nun aber habe sie keine andere Möglichkeit. Sie wolle sich nicht jeden Tag testen lassen, um zur Arbeit gehen oder mit der Straßenbahn fahren zu dürfen.
Niemand, mit dem die taz hier spricht, nennt die Überlastung der Krankenhäuser oder die Angst, andere Menschen anzustecken und damit zu gefährden, als Grund, sich nun doch noch impfen zu lassen. Freizeit, Arbeit, Nahverkehr: Das hat auch bei allen anderen Befragten in der Schlange den Ausschlag gegeben.
Wenn man es denn positiv sehen will: 2G und 3G bewegen offenbar tatsächlich Menschen zur Impfung. Die Impfbereitschaft müsste jedoch weiter sehr an Fahrt aufnehmen, um die Impflücke tatsächlich zu schließen. Beispiel Sachsen, bundesweites Schlusslicht mit einer Quote von nur rund 60 Prozent: Selbst bei dem aktuellen, bereits gestiegenen Impftempo würde es ein Jahr dauern, bis die ganze Bevölkerung durchgeimpft ist. Und das auch nur in der Theorie. Denn 2G hin oder her – Komplettverweigerer gibt es am Ende immer noch.
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