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Coming-Out von Netflix-Star Kit ConnorVerfehlte „Queerbaiting“-​Debatte

Schauspieler Kit Connor hat mit einem vergifteten Coming-Out seine Bisexualität bekannt gegeben. Dazu war er von Fans und Medien gedrängt worden.

Der Schauspieler Kit Connor bei der Präsentation des Films „The Gray Man“ in London im Juli Foto: VianneyLe Caer/Invision/picture alliance

A ls ich vom Dorf in die Großstadt zog, war es vorbei mit dem „Gaydar“. Plötzlich war, wer meiner Meinung nach „schwul aussah“ (sprich: bunte Socken trug), gar nicht mehr unbedingt schwul.

Sekunde, kennen Sie das überhaupt noch: „Gaydar“? Die angebliche Superkraft von Homos, einander zu erkennen? Ziemlich 2000er. Damals hat man aus Oberflächlichkeiten großzügig auf die Person geschlossen. Heute haben wir kapiert: Kleidung, Auftreten, Gestik, Körperhaltung, das ist bloß presentation. Inszenierung. Macht Spaß, hat nichts zu bedeuten.

Aber ich als 2000er-Dorfkind-Babygay wollte wissen, wer wer ist. Von Heteros mit Haarspangen und Hüftschwung fühlte ich mich verarscht. Denn, um ehrlich zu sein: Ich hatte es satt, mich in die Falschen zu verlieben.

Zehn Jahre später gab es für dieses Verarschtwerden ein Wort: „Queerbaiting“. Übersetzt: Ködern mit queerer Oberfläche, ohne wahrhaftige queere Substanz. Eigentlich sollte das Wort die Medienindustrie kritisieren. Die entdeckte in den 2010ern nämlich die LGBTIQ und war sich nicht zu blöd, uns mit bravouröser Geste Häppchen hinzuwerfen. Die „erste schwule Disney-Figur“ im „Schöne und das Biest“-Spielfilm? War 0,2 Sekunden lang zu sehen. Wir fühlten uns verarscht. Gequeerbaitet. Zu Recht.

Was ändert's, ob sie selber queer sind?

Dann aber haben Leute den Begriff auf einzelne Personen angewendet. Auf Promis meist, die queere Ästhetik zu einem Teil ihrer presentation machten, ihrer Inszenierung, obwohl von ihnen kein Outing verzeichnet war. Lady Gaga etwa, Billie Eilish oder Harry Stiles. Mal mehr und mal weniger explizit fordern Fans seither von diesen Personen: Jetzt bitte entweder outen – oder die queere Performance unterlassen! Ich habe nie verstanden, was das Pro-blem ist. Weder Lady Gaga noch Billie Eilish noch Harry Stiles haben uns je enttäuscht. Ihre Inszenierung ist queer, und zwar konsistent. Was ändert's, ob sie's selber sind? Aber gut, wir haben Angst, uns in die Falschen zu verlieben.

Das fiel mir ein, als der britische Schauspieler Kit Connor diese Woche mit einem vergifteten Coming-Out seine Bisexualität bekanntgab. „Glückwunsch dazu, einen 18-Jährigen zu zwingen, sich zu outen“, schrieb er auf Twitter. Connor spielt in der Netflix-Serie „Heartstopper“ einen bisexuellen Jungsschwarm. Er hat mehrfach darum gebeten, seine Sexualität privat und im eigenen Tempo herausfinden zu dürfen. Trotzdem wird er seit Monaten von Fans und Medien bedrängt, sich zu outen – weil er sonst „Queerbaiting“ betreibe. Dabei lässt weder die Serie noch Connors Schauspiel darin irgendetwas zu Wünschen übrig. Vom „Ködern“ ist diese liebevolle bi-schwul-trans-lesbische Geschichte so weit entfernt wie mein Dorf von der Großstadt.

Offenbar hat uns das nicht gereicht. Auf der Suche nach „wahrhaftiger queerer Substanz“ wurde jemand zu einem Outing gedrängt. Und mich beschleicht das Gefühl, dass wir uns damit am Ende selber verarscht haben.

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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10 Kommentare

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  • Das mieseste das man einem queeren Menschen antun kann, ist entweder ihn fremd zu outen oder aber ihn dazu zu zwingen. Zumal sich Sexualität und die bevorzugte Art durchaus einige Male im Leben eines Menschen ändern können. Jeder hat sein eigenes Tempo und jedem ist es selbst überlassen, ein Coming Out zu haben oder nicht

  • "Weder Lady Gaga noch Billie Eilish noch Harry Stiles haben uns je enttäuscht. Ihre Inszenierung ist queer, und zwar konsistent."

    Es sind genau solche Sätze, die zu diesen verfehlten Queerbaiting-Debatten beitragen und damit ist dieser Kommentar selbst Teil der Verfehlung, die er kritisiert.

    Schwul oder Trans zu sein ist eben keine Inszenierung, kein Lifestyle, kein kulturelles Statement in eine bestimmte Richtung. Der Gedanke, die Inszenierung einer Lady Gaga sei queerer als die von anderen Künstlern beruht doch nur auf Klischees, von denen wir in 2022 mal wegkommen sollten.

    Es gibt keine spezifisch queere Kultur, zumindest nicht außerhalb dessen, wo Themen wie sexuelle Orientierung oder Identität thematisiert werden - aber selbst da gilt: Queere Menschen interessieren diese Thematiken in Filmen, Büchern oder Songs nicht unbedingt mehr, als nicht queere Menschen. Das ist schließlich nur ein Teil unserer Identität.

    Fußball ist genau so queer oder nicht queer wie der ESC, Abba ist genau so queer oder nicht queer wie Metallica. Das Problem ist nicht Queerbaiting, das Problem sind diese Schubladen, die Idee einer separaten queeren Welt und queeren Kultur.

    • @Ruediger:

      "Fußball ist genau so queer oder nicht queer wie der ESC, Abba ist genau so queer oder nicht queer wie Metallica."



      Ihren humanistischen Universalismus in allen Ehren - aber so stimmt das nicht. Es gibt durchaus Selektionseffekte, von Sport über die Berufswahl bis zu Wahl von Profilfotos. Das lässt sich wissenschaftlich nachweisen.



      Dass die Zusammenhänge dahinter komplex sind, meist nichts direkt mit dem Individuum und seinen Merkmalen zu tun haben, und dass es wünschenswert ist, dass das alles in Zukunft an Bedeutung verliert, steht auf einem anderen Blatt. Nur Wegreden allerdings führt m.E. nicht zum Ziel.

      • @mats:

        "Queere Kultur" ist etwas, das von gewissen Medien und Teilen der queeren Szene herbeigeredet wird, nicht etwas, das man wegreden müsste. Es gibt keine spezifisch queere Kultur, denn der Kulturgeschmack queerer Menschen ist genau so divers, wie das aller anderen. Queere Menschrn sind ganz unterschiedliche Individuen, die außer gewissen Aspekten der Sexualität oder Geschlechtsidentität nichts gemeinsam haben. Wer von queerer Kultur spricht, spricht queeren Menschen ihre Individualität ab. Und es dient eben nicht der Durchsetzung von Akzeptanz, wenn man Menschen in Schubladen steckt, in denen vermeintlich die Akzeptanz höher ist.

        • @Ruediger:

          "die außer gewissen Aspekten der Sexualität oder Geschlechtsidentität nichts gemeinsam haben"



          Auch das stimmt nicht. Es gibt z.B. Gemeinsamkeiten in der sozialen Situation, in der queere Menschen aufwachsen und leben - und welche anders auf sie einwirkt als auf nicht-queere Menschen.



          "Wer von queerer Kultur spricht, spricht queeren Menschen ihre Individualität ab."



          Nein. Wer z.B. von jüdischer Kultur spricht, spricht auch nicht Menschen jüdischen Glaubens ihre Individualität ab.



          Ihre Posts sind durchdrungen von Dogmatismus, es gibt keine Differenzierung, nur Schwarz-Weiß. Dabei verkennen Sie die Realität und Wirksamkeit gesellschaftlich konventionalisierter Kategorien. Darüber, ob eine solche Kategorie herbeigeredet ist, kann man spekulieren. Das ändert aber nichts daran, dass sie von zumindest einem Teil der Gesellschaft genutzt und verstanden wird.

          • @mats:

            Ich käme zu einem Fazit etwa zwischen euren beiden Standpunkten:

            Es gibt eine Kultur, die tatsächlich als queer wahrgenommen wird. Sowohl von denen, die sich in ihr bewegen, als auch von außen aus. Die beispielsweise bestimmte kulturelle Erzeugnisse teilen.

            Aber nicht alle Menschen, die sich im nicht-cis/nicht-hetero-Spektrum ansiedeln, können mit dieser Kultur etwas anfangen.

            Trotzdem teilen diese Menschen oftmals auch Diskriminierungserfahrungen mit denen aus der "queeren Kultur". Weil es eben wiederum (leider) eine Gruppe Menschen gibt, die alles was nicht-cis/nicht-hetero ist, ablehnen (denen entschieden entgegenzutreten ist).

            Ich würde dennoch zwischen beiden Gruppen differenzieren, beziehungsweise sie nicht als Gruppen ansehen, sondern als sowas wie "symbolisch definierte, abgestufte Räume" (so geschwollen das klingt) mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden.

        • @Ruediger:

          "Queere Menschrn sind ganz unterschiedliche Individuen, die außer gewissen Aspekten der Sexualität oder Geschlechtsidentität nichts gemeinsam haben. Wer von queerer Kultur spricht, spricht queeren Menschen ihre Individualität ab."

          Daumen ganz hoch.

          Früher haben die Heteros allen anderen Klischees angeheftet. Jetzt tun das einige aus der "Szene". Dabei wird schnell vergessen, dass die Meisten LGBT völlig unauffällig in der Gesellschaft leben. Und zwar nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen.

  • Mich als Schwulen nervt dieses ganze Coming-Out-Theater nur. Langsam sollte es doch vollkommen egal sein, ob man nun schwul, hetero, divers etc. ist. Der alte Fritz sagte mal: "Jeder soll nach seiner eigenen Facon glücklich werden". Dem ist nichts zuzufügen.

  • Kann man die Menschen nicht einfach ihr Leben leben lassen? Woher kommt der Drang, alles in Schubladen zu stecken?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Stimme voll zu.



      Außerdem:



      Ich dachte immer, Kern der Schauspielerei sei, dass man NICHT unbedingt sein muss, wen man spielt. Man fordert ja auch von keinem Schauspieler, der irre Serienmörder zu sein, den er darstellt. "Fans und Medien" sollten sich vielleicht wieder aufs Wesentliche beziehen: die geleistete Arbeit.