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Chronik der Hambacher-Forst-RäumungDas Schreien im Walde

Seit über einer Woche räumt die Polizei die Baumhäuser im Hambacher Forst. Impressionen und Soundschnipsel aus einem umkämpften Stück Wald.

Noch ist es still: Morgenstimmung im Hambacher Forst Foto: reuters

Am Donnerstag ist es still im Hambacher Forst, zum ersten Mal seit Langem. Das kleine Stück Wald, das im kommenden Jahr gerodet werden soll, um den Hambacher Braunkohletagebau zu erweitern, war eine Woche Schauplatz von Protesten, Polizeieinsätzen, Demonstrationen. Bis am Mittwoch ein Mensch bei einem Unfall ums Leben kam. Nun ruht die Räumung, vorerst. Ein Überblick über das, was war.

Donnerstag, 13. 9.

Die Räumung beginnt im Osten des Hambacher Forsts. Am Waldrand halten die AktivistInnen Blockaden besetzt, Verzögerungsbauten, die den Baumhausdörfern ein wenig weitere Zeit sichern sollen. Auf einem sitzt ein Mann, er zupft Blätter vom Baum. „Der Wald bleibt, der Wald geht“, sagt er, wie beim Liebesabzählreim mit den Gänseblümchen, und lässt das Laub von seiner Hochsitzblockade segeln. „Der Wald bleibt, der Wald geht.“

Es nieselt, und alles blickt zum Räumgerät: BesetzerInnen und PolizistInnen, Protestierende und Sicherheitsleute, Augen und Kameras. Behelmte PolizistInnen bilden Ketten, um den Sicherheitsbereich durchzusetzen, in dem ihre KollegInnen und die – laut Polizei von RWE – beauftragten Sicherheitsleute daran arbeiten, Menschen zu „räumen“. Als Letztes wird eine kleine Gruppe Menschen, größtenteils PfarrerInnen, aus dem Sicherheitsbereich getragen. Kameras klickern.

Am Ende des Tages ist der östliche Zugang geräumt. Draußen auf den Feldern haben sich Hunderte BürgerInnen versammelt, wollen in den Wald, aber dürfen nicht und demonstrieren friedlich. Laut Polizei flogen abends Steine und Stahlkugeln aus Schleudern auf Beamte, außerdem zwei Molotowcocktails auf ein Polizeiauto. Eine weitere derartige Meldung wird es in den weiteren Tagen der Räumung nicht noch einmal geben.

Freitag, 14. 9.

Der Klang des Waldes ist Sägen, Piepen und Rangieren. Sicherheitsleute fällen Bäume und schneiden Äste ab, um Schneisen für die Räumfahrzeuge der Polizei zu schaffen. Als sie sich Oaktown nähern – einem der Baumhausdörfer, in dem die BesetzerInnen zum Teil seit Jahren ausharren –, erklingt aus den Bäumen eine Durchsage: „Durch Ihre Maschinen gefährden Sie Menschen, die sich unter dieser Hütte im Boden befinden.“ BeamtInnen erklimmen die Hütte, unter der der Schacht sein soll, werfen Solarzellen vom Dach, schlagen ein Fenster ein. Schon sind sie drin.

Samstag, 15. 9.

Jetzt ist gewiss: Zwei Menschen befinden sich in einem Schacht unter der Hütte in Oaktown. Ein Sprecher der Feuerwehr Kerpen spricht von „akuter Einsturzgefahr“. Man bemühe sich, die beiden herauszuholen. Über Länge und Verlauf des Schachtes wisse man nichts. Trotzdem wird in der Nähe der Hütte schweres Gerät eingesetzt.

taz am wochenende

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Nachmittags geleiten PolizistInnen eine Gruppe SpaziergängerInnen nach Oaktown, wo sie friedlich demonstriert. Nachts versperrt eine Sitzblockade eine Straße vor dem Wald. „Wir sind friedlich, was seid ihr?“, rufen etwa 100 Menschen. Die Polizei räumt grob. Danach steht man sich gegenüber. „Eu-re Kin-der werden so wie wir!“, schallt über die Felder. Nicht zum letzten Mal.

Sonntag, 16. 9.

Am diesem Morgen kommen die beiden Menschen aus freien Stücken aus dem Schacht, einer aus vier, einer aus elf Metern Tiefe.

An einem „Waldspaziergang“ nehmen laut WDR bis zu 14.000 Menschen teil. Familien sind da mit Kindern, RentnerInnen neben jungen Leuten in HipHop-Kluft und Dreadlocks. Die Leute tragen Transparente, Trompeten, Trommeln, manche auch Bäumchen, die sie pflanzen wollen.

„Wir hoffen auf ein deutliches Zeichen dafür, dass es viele Menschen gibt, die diese Art des Wirtschaftens nicht mehr mittragen“, sagt einer der Pfarrer, die am Donnerstag geräumt wurden. Eine Frau mit Familie sagt: „Ich bin hier für die Zukunft meiner Kinder.“

Eine wohl vierstellige Zahl Menschen verlässt die offizielle Demoroute, steht vor dem Wald einer Unterzahl an PolizistInnen gegenüber. „Wir warten darauf, dass so viele gleichzeitig losgehen, dass die Polizei uns nicht aufhalten kann“, sagt eine Frau mit Kindern. Aber das passiert nicht. Trotzdem gelangen Hunderte in den Wald. „Ham-bi bleibt! Ham-bi bleibt!“, dröhnt es aus allen Richtungen wie in einem Fußballstadion.

Viele versuchen, in den Sicherheitsbereich nach Oaktown zu kommen. Die PolizistInnen haben Schlagstöcke gezückt und Pfefferspray, schauen gestresst auf die vielen Kinder in der Menge. Im Nachhinein berichten viele BesucherInnen der friedlichen Demo von Polizeigewalt, auch die der offiziellen Route.

Montag, 17. 9.

Routine kehrt ein. Die Polizei ist wieder in der Überzahl. Im Baumhausdorf Gallien beginnt sägend das Lied der Räumung, genau wie auch in Cosytown, hier zum Cellospiel einer Musikerin. Wieder sind BürgerInnen unterwegs; wieder schaffen es nur wenige in den Wald. Am Ende des Tages: Halbzeit. 28 von etwa 50 Baumhausstrukturen sind geräumt.

Dienstag, 18. 9.

Nachdem in Oaktown der letzte Besetzer aufgegeben hat, erzählt in Beechtown ein anderer, wegen der Räumung habe „halb Oaktown“ hier „Asyl“ gefunden. Ein Journalist wird am nächsten Tag erklären, dass Beechtown für so viele Menschen eigentlich nicht ausgelegt sei.

Im Baumhausdorf Gallien kommt es am späten Nachmittag fast zur Eskalation. Ein junger Mann harrt in einer Baumkrone aus, die Menschen am Boden sind außer sich.

Sie seien gebeten worden, sich wegen Suizidgefahr leise zu verhalten, doch währenddessen wird in unmittelbarer Nähe ein Baumhaus ab­gerissen, es knallt und rattert, Planken fallen. „Dass RWE das seit einer halben Stunde weiter­gehen lässt, während Polizei und ­Feuerwehr um das Leben ­dieses Menschen kämpfen, finde ich unfassbar“, sagt eine Frau.

Die Polizei habe versucht, das zu unterbinden, sagt ein Mann. Trotzdem schreien Chöre die PolizistInnen an: „Schämt euch, schämt euch, schämt euch!“ Ein Anwohner, der die Besetzung unterstützt, sagt: „Die Polizisten müssen auslöffeln, was die Politik ihnen eingebrockt hat. Die stehen in einem wahnsinnigen Spagat.“

Als der Besetzer sicher am Boden ist, klatscht niemand. Doch stundenlang, bis tief in die Nacht, stehen BürgerInnen und PolizistInnen am Absperrband zusammen und reden.

Mittwoch, 19. 9.

In Beechtown beginnt die Räumung zum Klang von Violine und Querflöte. Das erste Baumhaus ist geräumt, als um 15.46 Uhr der Journalist Steffen Meyn durch eine Holzbrücke bricht und 15 bis 20 Meter tief stürzt. Sanitäter sind binnen Sekunden da, kämpfen um sein Leben. Doch er überlebt nicht.

Minuten nach dem Sturz nähert sich eine Menschenmenge dem Sicherheitsbereich. Die Polizei bildet eine Kette. Die Menschenmenge schreit: „Mörder!“ Einige BeamtInnen wirken, als würden ihnen gleich die Tränen kommen. Als klar wird, dass der Absturz nicht direkt von der Polizei verursacht worden sei, sinken die AktivistInnen zu Boden. In der Stille klingt jedes Schluchzen wie ein Schuss.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) gibt später bekannt, die Räumung sei ausgesetzt, vorerst.

Donnerstag, 20. 9.

Für 15.45 Uhr ist eine Schweigeminute für Steffen Meyn angesetzt. Die Polizei lässt Menschen frei in den Wald, unter Angabe der Personalien. Hunderte kommen. Doch die Schweigeminute muss warten: In Beechtown wird eine Besetzerin abgeführt, die – laut mehreren ZeugInnen – heruntergekommen war, um sich zu beteiligen.

Sie bettelt, fleht und weint, aber vergebens: Die Polizei nimmt ihre Personalien auf und erteilt ihr einen Platzverweis. Ihr Klettergurt wird konfisziert. Das sei Routine, sagt ein Polizeisprecher. Eine Bürgerin gibt der Polizei die Schuld, dass in den Bäumen so viele ungesichert seien.

Freitag, 21. 9.

Nur zwei Tage nach dem Tod von Steffen Meyn ist die Polizei wieder mit Räummaschinen in der Nähe von BesetzerInnen im Einsatz, beseitigt Barrikaden, geht gegen AktivistInnen vor.

Für Sonntag ist ein Wald­spaziergang zum Gedenken an­gesetzt.

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