Cem Özdemir zum Umbau der Landwirtschaft: „Ich habe harte Gegner“
Sein Einfluss sei begrenzt, sagt Bundesagrarminister Cem Özdemir. Vorzeitig nach Baden-Württemberg wechseln will der Grünenpolitiker trotzdem nicht.
taz: Herr Özdemir, UmweltschützerInnen haben große Hoffnungen in Sie als ersten grünen Bundesagrarminister seit 16 Jahren gesetzt. Jetzt klagen manche: Ein Jahr nach Ihrem Amtsantritt gehe es kaum einem Tier besser, die Klimaneutralität der Landwirtschaft sei noch nicht einmal in Sicht. Stimmt das?
Cem Özdemir: Ich bekomme in diesen Tagen doch viel Lob, angefangen bei strengeren Platzanforderungen für Mastputen über den Umbau der Tierhaltung bis hin zu unserem Wald-Klima-Paket und dem Schutz der Moore, die Treibhausgase speichern. Versäumnisse der letzten 16 Jahre holt man nicht in einem Jahr nach. Den Kritikern sage ich: Der Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland sieht nicht vor, dass der Bundeslandwirtschaftsminister am Parlament, den Koalitionspartnern, dem Bundesrat und der EU-Kommission vorbei das Recht aushebeln kann. Zum Glück. Ich verstehe ja die Ungeduld vieler, die sagen: „Warum ist das Paradies noch nicht ausgebrochen in jedem Stall, auf jedem Acker?“ Glauben Sie mir: Wir arbeiten dran. (lacht)
Sind Sie zu lasch gegenüber der FDP?
Wir Grüne sind fest davon überzeugt, dass wir sehr gute Argumente haben. Wir sollten aber nicht vergessen: Das sind andere Parteien auch. Und da wir nun mal nicht alleine regieren, braucht es eben auch Kompromisse, um zum Ziel zu kommen.
Der Grünen-Politiker ist seit Dezember 2021 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Am Freitag eröffnet der 57-Jährige zum ersten Mal die weltgrößte Agrarmesse „Grüne Woche“ in Berlin.
Die von Ihnen geplanten strengeren Vorschriften betreffen nur wenige Tiere. Was ist zum Beispiel mit den Mastbullen, die so beengt leben, dass sie ihre Nachbarn berühren, wenn sie sich hinlegen?
Wir schließen nach und nach die Lücken im Tierschutzrecht. Das Thema Mindestanforderungen für Rinder ist voraussichtlich 2024 auf der Tagesordnung. Aktuell überarbeiten wir das Tierschutzgesetz.
Ihre geplante verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung soll VerbraucherInnen helfen, Produkte aus besseren Ställen zu erkennen. Aber sie soll nur für unverarbeitetes Schweinefleisch im Einzelhandel, und auch da nur für den letzten Lebensabschnitt der Tiere, die Mast, gelten. Das ist lediglich ein kleiner Teil des Marktes, oder?
Mehr als die Hälfte des Fleischkonsums geht auf Schweinefleisch zurück, die Mast macht den größten Lebenszyklus aus. Deshalb fangen wir damit an. Da wir mit einer verpflichtenden staatlichen Kennzeichnung Neuland betreten, muss Brüssel erst einmal grünes Licht geben. Dann können wir die nächsten Schritte gehen, um weitere Lebensphasen wie etwa die Ferkelproduktion, andere Nutztierarten und vor allem auch verarbeitete Fleischprodukte und Absatzkanäle wie die Gastronomie reinzunehmen. Jetzt geht es darum loszulegen, damit wir am Ziel ankommen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen eine echte Wahl für mehr Tierschutz bekommen. Das geht nur, wenn alle Fleischprodukte gekennzeichnet sind.
Sie wollen während 4 Jahren mit insgesamt 1 Milliarde Euro LandwirtInnen bezuschussen, die ihre Schweine tierfreundlicher halten. Ist das nicht zu wenig, damit alle 16.900 SchweinehalterInnen ihre Ställe umbauen?
Diese Anschubfinanzierung reicht für den Start hin zu einer zukunftsfähigen Tierhaltung. Aber das Geld reicht natürlich nicht, um das Programm auf den gesamten Produktionsprozess und auf alle Tierarten auszuweiten. Darum verhandeln die Koalitionsfraktionen gerade über ein langfristiges Finanzierungsinstrument. Ergebnisse soll es bis Ende März geben, darauf haben wir uns geeinigt.
Die Landwirtinnen und Landwirte brauchen Planungs- und Investitionssicherheit, wenn sie in tiergerechte Ställe und mehr Klima- wie Umweltschutz investieren sollen. Das Schöne an meiner Arbeit ist ja, dass ich die Kritik der Umwelt- und Tierschutzseite selbst zitieren kann, weil ich sie in vielen Fragen teile. Ich bitte nur um Geduld. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Vergessen wir nicht: Wir bauen da gerade ein System grundlegend um.
Warum ist das so schwer?
Ich habe auch harte Gegner, die den Umbau nicht wollen. Die Krise der Tierhaltung in Deutschland trifft ja nicht alle gleichermaßen. Vor allem die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe haut es aus der Kurve. Andere haben sich aber auch sehr gut damit eingerichtet, und die sind sehr wortstark und gut organisiert. Nicht jeder sieht die politische Notwendigkeit, dass auch kleine, familiengeführte Höfe mit tiergerechter Haltung eine Zukunft haben.
Wie wollen Sie erreichen, dass die Landwirtschaft insgesamt umweltfreundlicher wird? Sie trägt ja maßgeblich zum Artensterben bei.
Dazu braucht es auch den größten Hebel, den wir in der Landwirtschaftspolitik haben. Das ist die Gemeinsame Agrarpolitik, kurz GAP, der Europäischen Union mit ihren milliardenschweren Agrarsubventionen. Ich habe eine GAP geerbt, die noch von der Vorgängerregierung verhandelt war. Aber die nächste GAP muss unsere Handschrift tragen: Wir wollen das System der Direktzahlungen schrittweise auf die Honorierung öffentlicher Leistungen für mehr Nachhaltigkeit umstellen – dafür werbe ich auch in Brüssel.
Bislang gibt es Direktzahlungen, die vor allem den Besitz von Land honorieren – weitgehend unabhängig davon, wie umweltfreundlich Landwirtinnen und Landwirte tatsächlich arbeiten. Wenn es nach mir geht, binden wir spätestens in der Förderperiode ab 2027 Zahlungen an die Kriterien Klima-, Umwelt-, Tier- und Artenschutz. Wir werden aber wo immer möglich auch jetzt schon Anpassungen in der laufenden Förderperiode machen. Brüssel hat uns die Möglichkeit gegeben, jährlich nachzubessern.
Muss Deutschland die Tierhaltung halbieren, um das im Klimaschutzgesetz vorgegebene Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 zu erreichen?
Ich glaube, dass wir einen guten Weg gefunden haben in Deutschland. 8 Prozent der Gesamtemissionen kommen aus der Landwirtschaft. Der größte Teil, über 40 Prozent, sind Emissionen aus der Tierhaltung. Der Fleischkonsum geht kontinuierlich zurück. Jetzt geht es darum, dass wir die Tierzahlen in Einklang bringen mit dem Fleischverzehr – und mit der Fläche. Deshalb wollen wir weniger Tiere, aber die sollen besser gehalten werden. Die Zuschüsse für den Stallumbau soll es entsprechend für landwirtschaftliche Betriebe geben, die höchstens zwei Großvieheinheiten – also zum Beispiel zwei Rinder – pro Hektar Land halten.
Anfang November standen 25 Prozent weniger Schweine als vor zehn Jahren in deutschen Ställen. Wird der Rückgang weitergehen?
Ich fürchte, dass der Absatzmarkt in China für deutsches Schweinefleisch nicht nur vorübergehend weg ist. China baut gerade massive Mastkapazitäten auf. Ich rate allen dazu, sich von der Illusion zu lösen, dass die alten Absatzmärkte wieder zurückkommen. Das Gleiche gilt aber auch für den nationalen Absatzmarkt. Die Konsumgewohnheiten ändern sich nicht vorübergehend, sondern dauerhaft. Man sieht einen langfristigen Trend, dass nicht nur die Zahl der Vegetarier und Veganer, sondern am stärksten die der Flexitarier hochgeht. Das sind Menschen, die weniger, aber dafür bewusst Fleisch essen. Und dieser Trend ist unabhängig davon, ob der Agrarminister Cem Özdemir heißt.
Der Fleischkonsum geht aber nur langsam zurück. Sollte der Bund die Mehrwertsteuer für pflanzliche Lebensmittel streichen, um den Rückgang zu beschleunigen?
Über den Preis ließen sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das wäre zum einen ein Gesundheitssignal: Alle Empfehlungen der Wissenschaft sagen uns, dass wir im Schnitt deutlich zu viel Fleisch essen. Empfohlen werden zwischen 300 und 600 Gramm pro Woche. Die Männer sind im Schnitt bei 1.100 und die Frauen bei 600 Gramm. Dieser Fleischkonsum ist auch weit außerhalb der planetaren Grenzen. Also muss er runter.
Ich hätte auch ein sozialpolitisches Signal, wenn ich für Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte die Mehrwertsteuer auf null setzen würde. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen: Ich habe dafür erkennbar keine Mehrheit. Wir erarbeiten aber gerade auch die Ernährungsstrategie der Bundesregierung, ein wesentliches Ziel ist die Förderung der pflanzenbasierten Ernährung gerade über die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Kantinen und Mensen.
Wegen der Inflation entscheiden sich viele VerbraucherInnen öfter für konventionelle statt für Biolebensmittel. Führt Ihre starke Förderung des Ökolandbaus zu Überproduktion und Preisverfall?
Ich weiß aus Gesprächen mit Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels, dass die ihr Bioangebot ausbauen statt reduzieren wollen. Wir sind fest überzeugt davon, dass Bio sehr, sehr viele Vorteile hat. Man schützt nachgewiesen Klima, Artenvielfalt, Böden und Wasser. Wir werden Bio weiter fördern, etwa indem wir die Nachfrage ankurbeln. Da stellt die Gemeinschaftsverpflegung einen großen Hebel dar. Ein anderer Punkt: Wir werden 30 Prozent unseres Forschungsbudgets dem Ökobereich zugutekommen lassen.
Sie werden als möglicher Nachfolger des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann gehandelt. Wollen Sie wirklich vier Jahre Bundesagrarminister bleiben, wenn die Koalition so lange hält?
Erstens hält die Koalition so lange. Und zum anderen: Ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme. Ich habe immer noch die Stimme meiner Eltern im Ohr: „Vergiss nie: Du heißt nicht Hans, Jost oder Julian, sondern du hast so einen Öztelbrötzelnamen.“ Für mich ist es ein Privileg, dass ich als Bundesminister für unser Land arbeiten darf – und das nehme ich sehr ernst.
Jetzt ist gerade mal ein Jahr um. Ich habe vieles angestoßen, viele Dinge warten aber auch noch drauf, dass sie umgesetzt werden. Ich will erleben, dass sie sich verändern. Deshalb will ich die Legislaturperiode bis zu ihrem Ende nutzen. Und alles Weitere, würde jetzt Winfried Kretschmann sagen, liegt in Gottes Hand.
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