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Cem Özdemir will nach Baden-Württemberg’S kann losgange

Bundesagrarminister Cem Özdemir gibt seine Kandidatur als Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekannt. Überrascht ist niemand.

Noch ist Cem Özdemir Landwirtschaftsminister – aber er will mehr Foto: Frank Molter/dpa

Um Punkt 12 Uhr veröffentlicht Cem Özdemir sein Instagram-Video: Ein grüner Aufzug, aber dann nimmt der Grüne doch lieber die Treppe. Oben in der Geschäftsstelle der Partei öffnet er ein Päckchen. Darin ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Cem 2Ö26“. „Jetzt kann’s losgange“, sagt der designierte Spitzenkandidat in routiniertem Schwäbisch.

Es ist nicht gerade ein Überraschungspaket, das er da am Freitag auspackt. Dass Cem Özdemir Winfried Kretschmann als Spitzenkandidat der Südwest-Grünen und möglichst auch als Ministerpräsident beerben will, war in den letzten 12 Monaten das schlechtestgehütete Geheimnis bei den Grünen in Bund und Land.

Am Morgen bekamen die grünen Abgeordneten im Stuttgarter Landtag die Einladung zu einer kurzfristigen Videoschalte mit Fraktionschef Andreas Schwarz, in der sie „über eine Personalie“ informiert werden sollten. Wenig später meldete der SWR, dass heute Özdemir seine Kandidatur bekannt gibt. Zeitgleich mit dem Film ging um zwölf Uhr auch ein Brief Özdemirs an die Bürger des Landes raus. Auf seriösem grün-grauen Briefpapier appelliert er an die „Schaffigkeit und den Erfindungsreichtum“ seines Bundeslands, das „heimatverbunden und weltoffen, klar und pragmatisch, tüchtig und manchmal auch eigensinnig“ sei.

Der Neue macht also weiter im gewohnten Kretschmann-Sound. Damit will der Super-Realo Özdemir wie sein Vorgänger bei konservativen Wählern punkten. Er verspricht Sicherheit im öffentlichen Raum und erinnert an das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft.

Taktisch ist der Zeitpunkt für seine Kandidatur nicht gerade ideal. Die Grünen stehen wie im Bund auch in Baden-Württemberg in Umfragen ziemlich zerzaust da. Gerade mal 18 Prozent würden im Südwesten derzeit grün wählen, 34 Prozent dagegen wieder die CDU. Und das, obwohl Winfried Kretschmann immer noch traumhafte persönliche Zustimmungswerte erhält, während den potenziellen Gegenkandidat, CDU-Chef Manuel Hagel, kaum einer kennt.

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Baden-Württemberg könnte auch Özdemirs letzte Chance sein

Und dann ist da noch die Sorge mancher Grüner, dass Baden-Württemberg vielleicht doch weniger weltoffen sein könnte, als es gerne tut. Ausgerechnet ein Parteifreund, der frühere Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon, formuliert die Angst in einem Interview mit dem SWR: Wenn man Cem Özdemir heiße, sei das in Stuttgart und Freiburg heute kein Problem. Aber möglicherweise auf dem Land. „Ich hoffe, dass ich mich im Interesse von Cem täusche“, sagte Salomon. Niemand bei den Grünen fand das sonderlich hilfreich.

Cem Özdemir ist ein Kämpfer, der allerdings nicht immer gewinnt. 1981 tritt er als 16-Jähriger den Grünen bei und gründet in Bad Urach gleich seinen eigenen Ortsverband. Sein politisches Talent wird schnell sichtbar. Özdemir hat eine Street Credibility, die der Akademikerpartei sonst abgeht. Von der Realschule hatte er sich zum studierten Sozialpädagogen hochgearbeitet. 1994 wird er erstmals in den Bundestag gewählt. Doch nach einer Affäre um privat verflogene Bonusmeilen und einem Kredit von einem windigen PR-Berater verlässt er 2002 den Bundestag, zieht sich aus der Politik zurück.

2004 startet Özdemir sein Comeback im Europaparlament. 2008 wird er ein ziemlich glanzloser Parteivorsitzender, scheitert zuvor in Baden-Württemberg beim Kampf um einen sicheren Listenplatz für den Bundestag. Heute ist Özdemir Stimmkönig seiner Partei. In Stuttgart holt er bei der letzten Bundestagswahl das Direktmandat mit fast 40 Prozent.

Aber Baden-Württemberg könnte auch Özdemirs letzte Chance sein, seine Karriere zu krönen. 2018 stand er kurz vor der Erfüllung seines Traums, Außenminister zu werden. Dann verließ die FDP die Jamaika-Verhandlungen. Das wenig ruhmreiche Landwirtschaftsministerium bekam er vier Jahre später eher als Trostpreis.

Bei einer baden-württembergweiten Umfrage zur Zufriedenheit mit seiner Arbeit halten sich heute Zustimmung und Ablehnung mit je um die 45 Prozent die Waage. Nicht der schlechteste Wert für einen, dem die Junge Union am Tag seiner Kandidatur das hässliche Label „Ampel-Cem“ an die Jacke kleben will. Özdemirs Hashtag #2Ö26 geht derweil bundesweit viral.

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19 Kommentare

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  • Nix Credibility: Özdemir ist ein aalglatter Aufsteiger, der sich bereits bei den Falschen anwanzte und bei der FDP hätte landen können.



    Und gleichzeitig gibt er doch auch Menschen mit migrantischerem Hintergrund als dem Ermland das positive Gefühl, dass sogar sie eine Chance haben. Sein Hochdeutsch wie Schwäbisch ist klarer als bei vielen anderen aus Urach, Säckingen oder Eppingen.

    Er sollte dabei jetzt in Kretschmanns Kabinett wechseln. Hofreiter gäbe dann dem Bundeskabinett einen nötigen neuen Impuls (und da müsste man den intriganten Sven Lehmann ignorieren).

  • Darauf hat der karrierebewusste Politiker schon hingearbeitet, seit er noch Partei-Co-Sprecher der GRÜNEN war. Er ist der Prototyp eines



    strebsamen Machos. Fragt mal Simone Peter.... Auch der Hofreiter Toni kann ein paar Strophen dieses Liedes mitsingen.

  • Warten wir mal ab, ob die Schwobe und die Badenser das wollen.... bei 15,9% (!!!!) AFD im "das Länd" , mal sehen.

  • Nichts gegen Herrn Özdemir persönlich, aber offensichtlich neigt er zur Selbstüberschätzung.



    In seiner Funktion als Landwirtschaftsminister ist er mir nicht positiv aufgefallen. Es ist zugegebener Maßen auch nicht einfach sich gegen ein pöbelndes Bauernvolk zu behaupten, aber die Leute zu enttäuschen, die eine andere Landwirtschaftspolitik herbeigesehnt haben, ist dann doch zu enttäuschend. Das Pöbelvolk vom Deutschen Bauernverband wird ihn nicht wählen, soviel steht fest.

  • Grüne und schwarze gehen ziemlich pfleglich miteinander um in Stuttgart. Es sollte also kein Problem für ihn sein als juniorpartner ein Amt zu ergattern.

    Die Anomalie eines grünen Ministerpräsidenten wird sich auf Jahre hinaus nicht wiederholen.

  • Bekommt unser Landwirtschaftsminister eine so gute Beurteilung seiner Leistungen als Minister, um nun als Ministerpräsident zu amtieren oder einfach nur weggelobt..



    Ich gebe zu, meine Sympathie für Dauerpolitiker hält sich in Grenzen.



    Ich plädiere dafür, nach 8 - 12 Jahren sollten auch Politiker wieder ins Berufleben - in der freien Wirtschaft integriert werden.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Ja und nein. Warum soll ausgerechnet das Feld Politik von Professionalisierung freibleiben? Würden Sie das auch bei Ingenieuren m/w/d so schreiben?



      Ich habe Sympathien für ein Auslosen, das setzt freilich voraus, dass alle auch hilfreiches Grundwissen und -fähigkeiten erwerben können. Wären Sie für einen entsprechenden Stundenplan zu haben?

      PS: "freie" Wirtschaft ist ein Paradoxon. Der Begriff soll arbeitende Menschen gegeneinander und gegen die nötigen staatlichen Strukturen aufhetzen.

      • @Janix:

        Ingenieure haben ein Studium in ihrem Fachgebiet abgeschlossen.



        Ein Politiker ist oft ganz weit weg von fachlichen Kompetenzen, wie wir schmerzhaft alzu oft erleben müssen.



        Freie Wirtschaft bedeutet auch, sich in einem ständigem Wettbewerb, mit Kompetenz etwas produktives zu leisten und sich auf dem Markt damit behaupten.



        Nicht durch ständiges, unqualifiziertes Phrasen dreschen.

        • @Alex_der_Wunderer:

          @ Alex, zunächst vielen Dank dioe die zwei gehobenen Daumen.

          Aber auch Ingenieure und andere "Mint-Menschen" müssen sich einarbeiten, wenn sie eine neue Stelle haben. Und das tun Politiker, die wenigsten gehen völlig unbeleckt zu Terminen und lächeln nichtssagend in die Kamera.

          Politiker sind sicher oft nicht "vom Fach", das Problem ist aber, dass durch den übergroßen Anteil der Juristen und der Geistes- und Sozialwissenschaftler in den Führungspositionen in der Politik auch da die Kompetenz teilweise fehlt, oder zumindest nicht genügt.

          Wobei diese Leute keineswegs alle nur faul sind. Die Problematik ist, dass Netzwerke und Seilschaften eine viel größere Rolle spielen, als in der Wirtschaft. Hinzu kommen Kriterien, wie regionale Zugehörigkeit oder Geschlecht.

          Das Beispiel Christine Lambrecht sollte allen pauschalen Befürworterinnen solcher "Quoten" eine Warnung sein.



          Wobei Frauen genauso netzwerken und kungeln, wie die Jungs. Auch da werden Stellen besetzt, nur, weil man "ganz oben" es so will, obwohl die Mitbewerberin kompetenter wäre, sich aber "ganz oben" unbeliebt gemacht hat, weil sie nicht immer "Ich höre, und gehorche!" gesagt hat (Hier konkurrierten zwei Frauen).

        • @Alex_der_Wunderer:

          Das Phrasendreschen ist in der Tat ein Problem, es ist aber eher eine Folge aus dem Wechselspiel zwischen Wahlen (sozialen) Medien und Wahlberechtigten.

          Was soll ein Berufspolitiker Ihrer Meinung nach denn für eine Ausbildung haben?

          Es ist ja auch nicht so, dass Politiker keine Berater haben. Oft ist es leider eine finanzsstarke Lobby , die über Jahrzehnte berät. Die Folgen dieser Beratung von Experten aus der freien Wirtschaft sehen wir ja aktuell in der Automobilindustrie und Landwirtschaft. Gigantische Schieflage.

          • @Manzdi:

            Was für eine Ausbildung ein guter Politiker haben sollte, lässt sich schwer beantworten. Aber was einen guten Politiker ausmachen würde - dazu gibt es bei Welt.de vom 04.03.2009 ein ESSAY von Oswald Metzinger



            " Was ist ein guter Politiker "



            Leider klappt gerade meine Verlinkfunktion nicht - einfach mal , bei Interesse google

          • @Manzdi:

            Bei ca. 4.500 Lobbyisten in Berlin , kommen im Durchschnitt 7 Lobbyisten auf einen Abgeordneten.



            In Brüssel sind es nochmal ca 12.000 Lobbyisten , die sich um ihre Politiker kümmern....



            Sicher informieren sie die Politiker auch über Fakten und Entwicklungen aber die Möglichkeit der Einflussnahme ist schon gegeben.



            Zudem, wie Sie schon schreiben, erarbeiten die externen Beraterunternehmen und Mitarbeiter aus den Ministerien, die Konzepte für die Minister.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Ich weiß nicht, ob er "weggelobt" worden sit. Vielleicht sucht er auch nur die bei in der Polititik Tätigen so beliebte "Anschlußverwendung". Die Chance, dass es nach der nächsten Bundestagswahl wieder einen grünen Landwirtschaftsminister geben wird, stehen im Moment nicht gut.

      Außerdem glaube ich, er fühlt sich schon lange zu Höherem berufen und meint, er sei jetzt "dran". Obwohl ihm das Schicksal der Herren Oettinger und Mappus, die auch glaubten, sie seien jetzt endlich "dran", eine Warnung sein sollte.

      Und wenn sich dann im Landesverband niemand gefunden hat, der ihm sagt: "Cem, wenn einer bestimmt nicht "dran" ist, dann DU!" , dann ist er eben "dran".

      Denn solche Leute sind in allen Parteien äußerst selten, deshalb sind so oft Leute in Führungspositionen, die nicht führen können.

      • @ PeWi:

        👍👍

  • Schon widder a Schwob...

    Aber jedenfalls um längen besser als Strobel.

  • Der Zeitpunkt ist wirklich denkbar schlecht für ihn.

  • Viel Erfolg! Er ist gut genug, qualifiziert und vernünftig!

  • Cem Özdemir gilt als Oberrealo, was immer dies auch genau bedeuten mag. Realist zu sein, erscheint mir in der heutigen Zeit als kein allzugrosser Fehler. Wertkonservativ auch nicht, zumal man, ob in BaWü oder anderswo, keine Mehrheiten allein mit linker Politik erreicht. Ein Mensch mit türkischen Wurzeln als Ministerpräsident, wäre doch mal ein Zeichen mit Signalwirkung. BaWü hat als erstes Bundesland einen grünen Ministerpräsidenten gewählt. Warum sollte es nicht auch als erstes Land einen schwäbischen Türken zum Ministerpräsidenten wählen?

  • Es wäre super, ein wichtiges Zeichen für Deutschland. Und es würde den Grünen zeigen, dass noch viel zu machen und zu schaffen ist. Ich traue ihm auch zu, genug Stimmen zu gewinnen.