CDU und CSU zum Anschlag in Berlin: Dirty Horst hat das Wort
Seehofer fordert die „Neujustierung“ der Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik. Prompt tritt der Konflikt zwischen CDU und CSU offen zutage.
Nach einer Sondersitzung des Kabinetts „zur Sicherheits- und Flüchtlingspolitik“ hieß es am Dienstagabend in einer Pressemitteilung: „Unzweifelhaft wird der seit September 2015 stark angestiegene Flüchtlingszustrom, der zeitweise zu einem weitgehenden Kontrollverlust an den deutschen Grenzen geführt hat, von Terroristen missbraucht und zur Einreise nach Deutschland genutzt.“
Bayerns Staatsregierung habe darauf frühzeitig hingewiesen und Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheitslage gemacht, die „leider nur teilweise von der Bundesregierung bzw. dem Bundesgesetzgeber aufgenommen und umgesetzt worden“ seien. Nun werde der Freistaat noch weitergehende Vorschläge erarbeiten. Dazu sei eine Gruppe eingesetzt worden, der drei Minister sowie je zwei Abgeordnete aus Landtag und Bundestag angehörten.
Mit der politischen Instrumentalisierung des Attentats widersetzt sich Seehofer allen Appellen auch in der eigenen Partei, die davor gewarnt hatten, die Parolen der Rechtspopulisten zu übernehmen. So hatten etwa gemäßigtere Christsoziale wie der Europapolitiker Manfred Weber oder Gerda Hasselfeldt, die Landesgruppenchefin im Bundestag, stets einen etwas besonneneren Ton angeschlagen. Aber Horst Seehofer widerspricht auch Horst Seehofer.
Vor gut einem Jahr nämlich hatte sein Finanzminister und Erzfeind Markus Söder, damals noch ein eifriger Twitterer, nach den Anschlägen in Paris per Kurznachrichtendienst verkündet: „#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen.“ Umgehend wurde er dafür von seinem Parteichef zur Ordnung gerufen. Man dürfe auf keinen Fall die Themen Flüchtlinge und Terrorismus vermengen, so Seehofer. Diese Ansage scheint nun nicht mehr zu gelten.
Einfache Antworten
Es sind nichts anderes als die einfachen Antworten, die Seehofer und seine Adjutanten in der Stunde des Schreckens nun zu geben versuchen – also das, was auch die CSU der noch rechteren Konkurrenz stets vorwirft. So springt dem Ministerpräsidenten am Mittwoch auch sein Generalsekretär brav zur Seite. Die Worte seines Chefs hätten „nichts mit Pietätlosigkeit zu tun“, sagt Andreas Scheuer im ZDF. „Wir brauchen jetzt, und das erwartet das Staatsvolk, eine starke Staatsgewalt.“ Man müsse nun „Sicherheit und Zuwanderung in Verbindung bringen“.
Auch Joachim Herrmann fordert eine Überprüfung der Flüchtlingspolitik. Bei den Attentaten von Ansbach und Würzburg seien die Täter „im Rahmen des Flüchtlingsstroms“ nach Deutschland gekommen, so der bayerische Innenminister. „Die Risiken sind offenkundig, und davor dürfen wir doch auch am Ende diesen Jahres nicht die Augen verschließen.“
Für seine Verhältnisse zurückhaltend äußert sich dagegen ausgerechnet der damals so gescholtene Söder. Er beschränkt sich in seinem Appell fürs Erste auf die Sicherheitsfrage: „Der Staat muss seine Handlungshoheit zurückbekommen“, sagt er, „und nicht nur die Kontrolle über seine Grenzen, sondern auch über die Straßen und Plätze des Landes.“ Auf den Straßen und Plätzen des Landes Bayern herrscht indes normaler Alltag. Auch die bayerischen Christkindlmärkte werden gut besucht.
Schieflage innerhalb der Union
Dass der Konflikt zwischen CDU und CSU so offen zutage tritt, zeigt deutlich die Schieflage innerhalb der Union. Zum einen sind da Seehofer und Saarlands wahlkämpfender Innenminister Klaus Bouillon. Ersterer unterläuft Merkels Versuche der Analyse und der Steuerung nach Lust und Laune. Letzterer würde deutsche Innenstädte am liebsten zu Wehranlagen hochrüsten.
Jene, die noch auf dem CDU-Parteitag vor zwei Wochen beim Thema Flüchtlingspolitik gegen Merkel aufmüpfig waren sind jetzt ganz still. Carsten Linnemann von der Mittelstandsvereinigung oder Präsidiumsmitglied Jens Spahn lassen Seehofer den Bad Cop geben.
Julia Klöckner, CDU
Auf der anderen Seite sind da Merkels Leute. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner gibt dem CSU-Chef öffentlich eins mit. Sie, die seit Langem ein Burkaverbot fordert, sagt nun: „Selbst eine Obergrenze gewährleistet doch nicht, dass nur Heilige unter den Flüchtlingen wären.“
Im selben Atemzug nennt sie mit Seehofer auch den Namen des AfD-Politikers Marcus Pretzell, der der Kanzlerin unmittelbare Verantwortung für die Toten vom Breitscheidplatz unterstellt hat. „Wer Angela Merkel persönlich die Schuld für den Anschlag gibt, sie ‚ihre Toten‘ nennt, ist geschmack- und respektlos. Ich habe den Eindruck, die AfD hat nur darauf gewartet, dass etwas in Deutschland passiert, um perfide Kapital daraus zu schlagen.“
Gesetze „Stück für Stück anpassen“
Auch der baden-württembergische CDU-Innenminister Thomas Strobl warnt vor voreiligen Schlüssen und unzulässigen Schuldzuweisungen. Die Debatte über einen Tatverdächtigen, der sich dann nicht als Täter entpuppt habe, sei nicht „besonders klug“ gewesen, sagt Strobl. Man solle doch die Ermittlungsbehörden ihre Arbeit machen lassen und erst dann eine „faktenbasierte Diskussion“ führen. Strobl regt dennoch an, die Gesetze der aktuellen Bedrohungslage weiterhin „Stück für Stück anzupassen“. Dies betreffe etwa das Internet, „da müssen wir Schritt halten“.
Und dann kommt da noch ganz unverhofft Unterstützung für Merkel aus der Opposition. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Bundestag, findet den Streit zwischen CDU und CSU nicht nur pietätlos, sondern „brandgefährlich“. CSU-Parteichef Seehofer, Innenminister Herrmann und CSU-Generalsekretär Scheuer reihten sich mit ihren Verdächtigungen aller Geflüchteten und ihren „unsinnigen Scharfmacher-Forderungen nahtlos in eine Front mit den Hetzern der AfD ein“.
Nur einer hält sich am Mittwoch im politischen Berlin zurück. Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert antwortet in der Regierungspressekonferenz auf die Frage nach dem Zwist seiner Chefin mit Seehofer, er „spreche nicht über Vorstöße aus den Parteien“. Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sei gemeinsam beschlossene Sache. Das ist dann im Ton schon wieder so diplomatisch, dass Horst Seehofer es geflissentlich überhören dürfte.
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