CDU sägt am Verbandsklagerecht: Das Geheimnis der Christdemokraten
Die CDU will Umweltverbänden das Recht nehmen, für die Natur vor Gericht zu ziehen und so eine der größten Errungenschaften unserer Justiz abschaffen.
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I m deutschen Rechtssystem gilt grundsätzlich der Individualrechtsschutz. Das heißt, dass nur die Person, die in ihren eigenen Rechten verletzt ist, klagebefugt ist. Wenn Frau Ferdinand es zum Beispiel nicht richtig findet, dass eine Autobahn gebaut wird, weil dafür jahrhundertealte Bäume gefällt werden sollen, kann sie sich dagegen nicht wehren. Wenn jedoch ein Teil ihres Grundstücks dem Bau zum Opfer fallen soll, kann sie dagegen vor Gericht ziehen, weil ihr Individualrecht auf den Schutz ihres Eigentums verletzt sein könnte.
Schon 1973 fragte in den USA der Jurist Christopher D. Stone, ob Bäume klagebefugt sein sollten („Should Trees Have Standing?“) und damit ist ein zentraler Gedanke des Verbandsklagerechts auch schon beschrieben. Es ist der Gedanke, dass die Natur, die Umwelt oder das Klima sich nicht mit Individualrechten an ein Gericht wenden können, sondern nur Menschen oder Menschengruppen für ihre Interessen eintreten können.
Das Verbandsklagerecht kam nicht mit einem Mal nach Deutschland, sondern wurde schrittweise erkämpft. Zunächst ist die Verbandsklage im Naturschutzrecht geschaffen worden. Anerkannte Vereinigungen, die sich dem Schutz der Natur verpflichtet fühlen, können seitdem Klage erheben, auch wenn sie nicht in ihren eigenen Rechten verletzt sind.
Mit der später eingeführten umweltrechtlichen Verbandsklage können Umweltverbände auch gegen Zulassungsentscheidungen von genehmigungsbedürftigen Anlagen und Infrastrukturmaßnahmen klagen. Genau dies möchte die CDU in Zukunft untersagen. In ihrem Wahlprogramm erläutert sie, dass sie sich auf europäischer Ebene für die Abschaffung des Verbandsklagerechts bei Infrastrukturmaßnahmen einsetzen möchte. Zunächst will die CDU jedoch die deutsche Regelung prüfen und an jenen Stellen kürzen, an der sie über die europäische Vorgabe hinausgeht.
Umweltverbände siegen vor Gericht
Der Europäische Gerichtshof hat hierzu aus dem Jahr 2011 eine klare Rechtsprechung, weshalb allein schon vor diesem Hintergrund der Vorstoß der CDU konsequenzenlos bleiben dürfte. Die Trianel Kohlekraftwerk GmbH und Co. KG wollte damals ein Kohlekraftwerk in Lünen errichten. In diesem Gebiet liegen mehrere Naturschutzgebiete. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sah diese Gebiete als gefährdet an und klagte beim Oberverwaltungsgericht Münster. Dieses ersuchte den Europäischen Gerichtshof zu der Frage, ob Umweltverbände gegen Projekte mit Auswirkungen auf die Umwelt klagebefugt seien.
Der Europäische Gerichtshof hielt fest, dass Umweltverbände ein Recht auf Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten. Umweltverbände müssen also die Möglichkeit haben, das Verletzen von Vorschriften vor Gericht geltend zu machen. Dabei ist entscheidend, dass diese Vorschrift aus dem Unionsrecht hervorgeht und den Umweltschutz bezweckt, und es kommt nicht darauf an, ob die Vorschrift nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechte Einzelner schützt.
Beispiele für Verbandsklagen lassen sich viele finden. In Lüneburg hatte zum Beispiel der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen einen Antrag gegen den Bau der Bauschuttdeponie Driftsethe gestellt. Die Genehmigung verstoße gegen Umweltschutzgesetze, die Klimaschutzziele und der Artenschutz seien nicht ausreichend berücksichtigt und die Auswirkungen des Vorhabens auf die CO2-Bilanz nicht umfassend geprüft worden. Das OVG Niedersachsen gab dem Antrag im Mai 2024 statt und stoppte den Bau vorerst.
Daraufhin ruhten die Bauarbeiten, wobei die ausführende Firma weiterhin beabsichtigte, 70.000 Kubikmeter Baumaterial für die Untergrundabdichtungen auf dem Gelände zwischenzulagern. Auch hier wehrte sich der Nabu Niedersachen vor Gericht. Eine solche Zwischenlagerung hätte zwischen 1.200 und 1.400 Lkw-Fahrten zur Konsequenz und führe zu erheblicher Umweltbelastung sowie der Zerstörung von Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Im Dezember 2024 gab das OVG Niedersachsen dem Antrag statt und untersagte die Zwischenlagerung von Baumaterial auf dem Deponiegelände.
In Mecklenburg-Vorpommern ging der NABU-Landesverband gegen Baumaßnahmen auf einer Fläche im Industriepark Schwerin, den sogenannten Göhrener Tannen, vor. Auf dieser Fläche befanden sich über 40 Brutreviere seltener Vogelarten. Es sei verboten, wilde Tiere zu verletzen, zu töten oder ihre Entwicklungsformen zu beschädigen oder zu zerstören. Das Gericht folgte dem Antrag und setzte einen Baustopp für die Baumaßnahmen bis zum Ende der Brutzeit fest.
Nationales Vorgehen bricht EU-Recht
Vor der Einführung des Verbandsklagerechts hätte sich ein Gericht weder mit der Umweltsituation im Zuge des Baus einer Bauschuttdeponie noch mit der Brutsituation verschiedener Vogelarten auseinandersetzen können. Erst das Verbandsklagerecht schuf diese Möglichkeit. Es ist nicht nur in der Durchsetzung klimaschutzrechtlicher Belange, sondern auch bei der Berücksichtigung kollektiver demokratischer Rechte eine Errungenschaft. Genau diese möchte die CDU abschaffen. Was und wer damit angegriffen wird, ist offensichtlich.
Wie die Christdemokraten auf die Idee kommen, dass die Abschaffung des Verbandsklagerechts hinsichtlich großer Infrastrukturprojekte erfolgen kann, ohne einen Verstoß gegen europäisches und internationales Recht zu begründen, bleibt ihr Geheimnis. Offensichtlich wird dadurch jedenfalls, dass sie demokratische Instrumente der Kontrolle und Teilhabe sowie effektiven Umweltschutz beschneiden wollen.
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