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CDU in Sachsen-Anhalt im SinkflugDie Hochburg bröckelt

Die Altmark, seit Bismarcks Zeiten konservativ, ist CDU-Stammland. Eigentlich. Denn ein Wahlbetrug hat der Partei viel Glaubwürdigkeit gekostet.

Wirklich gute Wahlwerbung? CDU-Kandidat Tobias Krull Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

ALTMARK taz | Am Vorabend kommt die Absage. Er müsse in Quarantäne, bedauert Nico Schulz, der im Norden von Sachsen-Anhalt der CDU ein Direktmandat abknöpfen will. Dann schlägt er einen Verbündeten für das Gespräch vor, sagt, „der hat dasselbe erlebt wie ich“ und empfiehlt, in der Altmark unbedingt Spargel zu essen. Aber wo? Die Gaststätten sind auch am nächsten Tag geschlossen.

Nur ein Café in Stendal trotzt der Pandemie-Verordnung. In Osterburg hat die Stadtkirche geöffnet und in Seehausen steht Rüdiger Kloth am Bahnsteig. Der Verbandsgemeindebürgermeister ist Schulz' Verbündeter. Kaum 10.000 Einwohner verteilen sich auf Dörfer und Vorwerke, in der Mitte liegt Seehausen. Rüdiger Kloth, ein drahtiger Typ, bittet ins Rathaus. Man sieht ihm nicht an, dass er mal Autos repariert hat. Dass er ein Rebell ist, auch nicht.

Kloth trägt am Revers das Gemeindewappen. Die eine Seite ist grün und symbolisiert das Elbtal, die andere zeigt einen roten Adler, Hinweis, dass die Altmark über Jahrhunderte zu Brandenburg gehörte. Kloths Blick ist fest. Sieht so ein „CDU-Rebell“ aus? So hat ihn die Volksstimme genannt. Das war Ende 2018. Acht Monate später hat Kloth die Partei verlassen.

Der Anlass: Kloth wollte zu den Kommunalwahlen antreten, sich aber nicht noch einmal von der CDU aufstellen lassen. „Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“, sagt Kloth und es klingt immer noch entschieden. Mit anderen CDU-Kommunalpolitikern gründet er eine eigene Liste. Ein Affront. Für den damaligen CDU-Landeschef Holger Stahlknecht waren die Abtrünnigen Spießgesellen, die er nach dem vermuteten Anführer als „Nico Schulz und Konsorten“ schmähte.

Der Grund für diesen Bruch liegt weiter zurück. Zur Kommunalwahl 2014 fiel einem Journalisten der Volksstimme auf, dass bei der Auszählung zum Stendaler Stadtrat ein CDU-Kandidat erstaunlich viele Kreuze von Briefwählern erhalten hat, wo er doch in den Wahllokalen kaum überzeugen konnte. Was wundersam begann, entpuppte sich als der größte Wahlbetrug seit dem Ende der DDR. Der CDU-Mann hatte sich illegal Hunderte Briefwahlunterlagen besorgt und für sich votiert.

Die Ermittlungen brachten ans Licht, dass die Manipulationen auch in der CDU-Geschäftsstelle erfolgt sein müssen. CDU-Granden im Kreis beharren, es sei die „Tat eines Einzelnen“. Das Gericht hegte arge Zweifel, konnte aber keine Beweise vorlegen, auch weil der CDU-Kreischef als Zeuge schwieg. Im März 2017 wurde der Fälscher zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Eher konservativ, seltener extrem

„Es gab lange Zeit die Unschuldsvermutung“, versucht Kloth sein Stillhalten zu deuten. Er blickt aus dem Fenster. Die Altmark ist eine Idylle aus Dörfern und Wiesen. Rinderzucht hat Tradition, der Menschenschlag ist konservativ. Ihr berühmtester Vertreter war Otto von Bismarck. Als „Wiege Preußens“ lobte er die Altmark. Und so wählt man seit Kaisers Zeiten eher konservativ, seltener extrem. Anders als im Süden das Landes holte die AfD kein einziges Direktmandat. Sie fielen alle an die CDU. Die Vorstellung, dass es in dieser Partei Kräfte geben könnte, die zur Wahlfälschung fähig sind, erschien abenteuerlich.

Eigentlich ist Rüdiger Kloth ein Christdemokrat, wie man ihn sich im Berliner Adenauer-Haus wünscht – bodenständig, solider Beruf, hat Familie, Kinder, dazu die Vita eines Kommunalpolitikers: Ehrenamtlicher Bürgermeister, Verwaltungsamtschef, Kreistagsmitglied, Partei- und Vereinsarbeit. Solche Leute sind das Rückgrat der „Sachsen-Anhalt-Partei“, in der viel von Heimat die Rede ist. Ihre Kandidaten präsentieren sich vor Kirchtürmen, Windmühlen und rapsgelben Feldern. Heimeligkeit soll sich einstellen, bei dem die Erinnerung an die Wahlfälschung wie von selbst verdunstet.

Dem stehen Leute wie Rüdiger Kloth im Weg. Der Hinweis auf das Gewissen ist bei ihm biografisch begründet. Es hat mit Moral zu tun, dass er in die Politik gegangen ist. Sein Dorf, erzählt er, lag im DDR-Sperrgebiet vor der innerdeutschen Grenze mit all den Repressalien. Kloth, Jahrgang 1965, wuchs damit auf. Ausgerechnet dort hatte ein ehemaliger Offizier der Grenztruppen 1994 beste Chancen, Bürgermeister zu werden. „Das konnte ich nicht zulassen,“ sagt Kloth. Und so kandidierte der parteilose Autoschlosser und gewann. Erst 1998 trat er in die CDU ein. „Eine Woche vor Kohls Sturz bei der Bundestagswahl.“ Eine Überzeugungstat. Kloth lacht.

Rüdiger Kloth in Seehausen Foto: Thomas Gerlach

Es waren Rüdiger Kloth, Nico Schulz und andere CDU-Mitglieder, die nach dem Urteil Aufklärung forderten. Wie will man sonst vor die Wähler treten? Schulz kandidiert beim anstehenden Kreisparteitag als Parteichef, er selbst will Schatzmeister werden. Was dann folgt, beschreibt Kloth als Farce. Die beiden fallen durch. Ein CDU-Silberrücken, durch die Wahlfälschung angeschlagen, schimpft über „Schweinejournalismus“ und präsentiert einen neuen Stern, der als Kreischef auf den Schild gehoben wird.

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„CDU-Rebellen“

Und aus innerparteilichen Kritikern werden „CDU-Rebellen“. Kloth und Schulz stellen zur Kommunalwahl 2019 ihre Liste „Pro Altmark“ auf, die hinter einem nahezu halbierten CDU-Ergebnis mit 17 Prozent das zweitbeste Resultat einfährt. Die gerupfte Kreis-CDU schickt den Sektierern saftige Nachforderungen für zu wenig gezahlte Parteigelder. Was folgt, ist die Trennung.

Rüdiger Kloth ist ins Auto gestiegen. Die Sache mit den Parteibeiträgen sei nichts als eine Retourkutsche. Den Beitrag habe vor Jahren der Kreischef festgelegt, der vor Gericht so schweigsam blieb. Über seine alte politische Heimat will er noch was loswerden. Es ist nicht die gesamte CDU, mit der er gebrochen habe. Es sind regionale Funktionäre, die eine Region in eine Domäne verwandelt haben und nach Gutsherrenart herrschen. Der Skandal von 2014 ist nur der Schlusspunkt. Bereits 2009, so stellte sich nach Prüfung heraus, waren Briefwahlergebnisse auffällig.

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Aiwanger in Sachsen-Anhalt

Kloth steuert durch die alte Hansestadt mit ihrer Kirche, dazu kommt ein Kranz aus Dörfern bis nach Niedersachsen – seine Welt. Mit Begeisterung erzählt er von der Sanierung des Waldbads, und dass eine Berliner Juristin samt Familie ihr neues Zuhause in seiner Gemeinde fand, hat ihn selbst am meisten überrascht.

Neulich war Hubert Aiwanger zu Besuch, berichtet Kloth. Söders Wirtschaftsminister in Bismarcks Ur-Preußen? Der Bundesvorsitzende der Freien Wähler (FW) ist derzeit in Sachsen-Anhalt unterwegs. Seine Partei wächst und speist sich besonders aus einer Quelle: Die Spitzenkandidatin, eine Hallenserin, war früher stellvertretende Vorsitzende der Frauen-Union.

Mit ihr sind sieben weitere CDU-Mitglieder gewechselt. Und das Zugpferd im Norden ist einer, der schon dreimal souverän ein Direktmandat geholt hat – Nico Schulz aus Osterburg. Von 2002 bis 2011 war er für die CDU im Landtag.

Größter Gegner nicht immer die AfD

Die FW präsentieren sich als die bessere CDU – bodenständig und sauber. Eine Gefahr? „Die Freie Wähler sind ein Sammelbecken von gefrusteten Parteimitgliedern aus verschiedenen Parteien“, eröffnet Chris Schulenburg, CDU-Kreischef, Landtagsabgeordneter und nun an direkter Kontrahent von Nico Schulz. Als er auf seine einstigen Parteifreunde zu sprechen kommt, räsoniert er über ihre zu niedrigen Parteibeiträge. „Ich mache mich als Polizeibeamter strafbar, wenn ich die Beiträge nicht erhebe.“ Drei Mahnungen habe er verschickt. Nein, bügelt Schulenburg ab, es gehe beim Zerwürfnis weniger um Wahlfälschung, vielmehr um diese Außenstände, kurzum „Frust“.

Schulenburg präsentiert sich im Videotelefonat vor digitalem Panorama mit Raps, Kirchturm und Sonnenlicht. Die Ansicht seiner Heimatstadt, erzählt er. Das Motiv verwendet er auch auf Plakaten, wo er mit Gel im Haar und gefrorenem Lächeln für sich wirbt. Der Vierzigjährige hat in seinem politischen Leben bisher nur CDU-geführte Regierungen in Magdeburg erlebt. Die Erfahrung, dass es auch mal anders kommen könnte, steht noch aus.

Es ist unwahrscheinlich, dass es die Freien Wähler schaffen. 2016 erreichten sie 2,2 Prozent, diesmal dürfte es mehr sein, fünf Prozent allerdings sind unrealistisch. Sie werden der CDU aber Stimmen entziehen, vielleicht die entscheidenden. Der größte Gegner der CDU ist hierzulande nicht immer die AfD. Manchmal sind es eigene Leute.

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3 Kommentare

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  • Irgendwie wiedersprechen sich der Artikel und die eingebettete Wahlumfrage doch deutlich...

    • @Samvim:

      Kloth hat anscheinend gegenüber dem Betrug mit Briefwahlstimmen klare Haltung bewiesen, was innerhalb eines Parteiklüngels und an Orten, wo sich jeder kennt, für ihn spricht.



      Wenn das alles so stimmt, müsste er wesentlich mehr und nicht weniger Stimmen als der CDU-Kandidat erhalten.



      Aber eine Demokratie, die vom Informationsniveau und der Kritikfähigkeit der Wähler abhängt, ist verwundbar. Siehe die USA. Dort verbieten gewählte republikanische Folksvertreter inzwischen einen objektiven Geschichtsunterricht, der nicht allein auf Weiße zugeschnitten ist, oder nicht 100prozentig zustimmt, dass die USA nicht "the greatest country on earth" sei. Habe das heute am Radio gehört, einem Medium, das bald Journalist*en "freisetzen" muss, weil die Vollpfosten in Sachsen-Anhalt einer Mini-Erhöhung des Rundfunkbeitrags widersprochen haben.

      • @Ataraxia:

        Es geht wohl weniger um die "Mini-Erhöhung", sondern eher darum, dass schon jetzt mit den aktuell eingezogenen Milliarden zu wenig anständiges Programm geboten wird. Stichworte: überzählige Dritte Programme, viel zu viele Radiosender, die sich außer durch Lokalnachrichten kaum unterscheiden, zu viele Spartensender für zu wenige Zuschauer oder -hörer. Einige wollen halt, dass erstmal eingespart und zusammengelegt wird.