piwik no script img

Bundestag beschließt Holodomor-ResolutionEinordnung als Völkermord

Vor 90 Jahren ließ Stalin in der Ukraine vier Millionen Menschen verhungern. Der Bundestag hat diesen Holodomor nun als Völkermord anerkannt.

Verfolgte die Abstimmung: Ukraines Botschafter Oleksii Makeiev auf der Besuchertribüne des Bundestags Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin dpa/taz | Der Bundestag hat die vor 90 Jahren gezielt herbeigeführte Hungersnot in der Ukraine offiziell als Völkermord anerkannt. Mit großer Mehrheit billigten die Abgeordneten am Mittwochabend einen gemeinsamen Antrag von Ampel-Koalition und Unionsfraktion, in dem von einem „menschenverachtenden Verbrechen“ die Rede ist. Unter der Verantwortung des sowjetischen Diktators Josef Stalin waren dem sogenannten Holodomor („Mord durch Hunger“) in den Jahren 1932 und 1933 allein in der Ukraine bis zu vier Millionen Menschen zum Opfer gefallen.

Das Streben der sowjetischen Führung nach einer Kontrolle der Bauern sei damals mit der Unterdrückung der ukrainischen Lebensweise, Sprache und Kultur verschmolzen, heißt es in der Bundestags-Drucksache. „Damit liegt aus heutiger Perspektive eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe. Der Deutsche Bundestag teilt eine solche Einordnung.“

„Interfraktionell eint uns der Wunsch, zu erinnern, zu gedenken, zu mahnen“, erklärte der Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe, Robin Wagener (Grüne). „Mit unserem Antrag setzen wir uns mit der brutalen Wahrheit stalinistischer Gewalt auseinander – nicht um die deutschen Verbrechen in der Sowjetunion zu relativieren, sondern um aus der historischen Wahrheit zu lernen.“

Auch der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Brand (CDU), erinnerte an die deutsche Rolle im Zweiten Weltkrieg: „Gerade wir Deutschen stehen hier in einer besonderen historischen Schuld und Verantwortung gegenüber der Ukraine.“

AfD und Linke enthalten sich

In der Bundestagsdebatte verurteilten alle Fraktionen den Holodomor, doch die AfD und die Linke enthielten sich bei der Abstimmung über den Antrag. Der AfD-Abgeordnete Marc Jongen sprach von einer „Instrumentalisierung der Geschichte“ und wandte sich gegen eine „historische Gleichsetzung“ mit dem heutigen Ukraine-Krieg.

Gregor Gysi von der Linken warnte zudem vor einer möglichen Gleichsetzung von Adolf Hitler und Josef Stalin: „Stalin war schlimm, sehr schlimm, aber kein Hitler.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Der Grüne Robin Wagener möchte aus der “brutalen Wahrheit stalinistischer Gewalt” lernen. Da ist er aber spät dran. Es waren doch die Maoisten/Stalinisten, die ja sowohl bei den Grünen selbst als auch in staatlichen



    Positionen bis heute starken Einfluss haben, die vor 50 Jahren nicht nur die Vernichtung der Juden verächtlich als “Nebenwiderspruch der Geschichte” bezeichnet, sondern Stalin geradezu verherrlicht haben. Hinweise auf die Verbrechen Stalins wie die Vernichtung der selbständigen Bauern, die Foltermethoden oder die brutalen Straflager wurden ebenso verächtlich als “westliche” Propaganda abgetan. Auch Habermas hat erst sehr spät zugegeben, dass er zu den Verbrechen Stalins aus Furcht vor “Antikommunismus” geschwiegen hat. Zur dummen Kriegspropagandaschau im Bundestag 90 Jahre nach dem Verbrechen kann man der Bundestagspräsidentin und der Bundesregierung nur den Vorschlag machen, vor künftigen Sitzungen das Lied zu singen: “Stumpfsinn, Stumpfsinn, oh mein Vergnügen, Stumpfsinn, Stumpfsinn, oh meine Lust.”

  • Eine solche Staatsgeschichtsschreibung, noch dazu als Propagandamittel eines Kriegs, ist eine Schande für ein demokratisches Land!

    Was ist im Übrigen die Vertreibung von 2 Millionen Russen im Jahr 2014 aus dem Donbass, darunter 1/3 Rentner:innen? - Gehört zufolge der UNO zu den 10 größten Vertreibungen 2014 weltweit. Ist in der Größenordnung vergleichbar mit den Sudetendeutschen.

    Wer derart selektiv den Vorwurf des Völkermords erhebt wie heute der Bundestag, schafft neues Unrecht!

    • @Rosmarin:

      Arbeiten Sie mal an ihrer eigenen Geschichtsschreibung. Die dystopischen, gewalttätigen Marionettenregime in den "Volksrepubliken" Donetsk und Lughansk, aus denen die Einwohner nach 2014 massenhaft abgewandert sind, haben die Russen dort installiert. Und mehr als die Hälfte der Flüchtlinge ist von dort in andere ukrainische Regionen abgewandert.

    • @Rosmarin:

      Hätte Russland da keinen Krieg angefangen gäbe es da auch keine Flüchtlinge.

  • Mein Vorschlag für die nächste Anerkennung als Völkermord:



    "Die Massaker in Wolhynien und Ostgalizien stehen im direkten Zusammenhang mit der nationalistischen Politik der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und ihres militärischen Armes, der UPA, welche die Eliminierung der nicht ukrainischen Bevölkerung zugunsten eines zukünftigen rein ukrainischen Staates anstrebte.[3] Die vom 9. Februar 1943[4] bis Kriegsende[5] durchgeführten Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung durch die UPA in den im deutschen Machtbereich liegenden Gebieten Polens und der Ukraine nahmen Formen ethnischer Säuberungen an.[6][7][8][9] Bei den Massakern wurden je nach Quelle 50.000 bis 80.000[10] oder annähernd 100.000 Polen von ukrainischen Nationalisten ermordet"



    de.wikipedia.org/w...en_und_Ostgalizien

  • Ein geschichtspolitischer Anschlag auf die Singularität des Holocaust.

    Besonders die Aussage des CDU-Manns finde ich frech: Man mache das nicht, "um die deutschen Verbrechen in der Sowjetunion zu relativieren."



    Natürlich nicht. Relativiert wird vielmehr die Mitwirkung der ukrainischen Akteure am Judenmord. Sie waren ja Opfer des Sowjetfaschismus, können also nicht selbst Faschisten und schon gar nicht Täter im Holocaust gewesen sein. Das ist die Logik dahinter. Um "historische Wahrheit" geht es da eher nicht, sondern um unhistorische Weißwaschung der OUN-Narrativs der ukrainischen Geschichte.

    • @Günter Picart:

      Oben auf der Tribüne Vize-Außenminister Melnyk.

      》„Es gab Flugblätter, als die Deutschen reingekommen sind in die Ukraine, da hieß es: ‚Volk, das musst du wissen, Moskoviten, Polen, Ungarn und Juden, die sind deine Feinde. Vernichte sie. Das musst du wissen. Deine Führung, dein Führer Stepan Bandera.“ (T.J.) „Was für Flugblätter sind das“, (A.M.). ... „Das ist doch ganz klar, und ich frag mich ...“ (T.J.) „Also ich, ich werde dir heute nicht sagen, dass ich mich davon distanziere ... und das war‘s“ (A.M.) „Das ist ja deine Entscheidung, ich frage mich nur ...“, (T.J.). „Das kannst du nicht verstehen ...“ (A.M.). „Ich verstehe nicht, wie man jemand als Helden bezeichnen kann, der gleichzeitig Massenmörder von Juden und Polen war“, (T.J.). „Bandera war kein Massenmörder. Von Juden und Polen, er war kein Massenmörder“, (A.M.)《 is.gd/3JFWKo (Interview Juni 22)

      Die OUN is.gd/5qEoXh wurde 2015 vom ukrainischen Parlament offiziell zu Unabhängigkeitskämpfern erklärt.

      》In den darauffolgenden Tagen [nach dem Einmarsch Nazi-Deutschlands in Lwiw/Lwow/Lemberg am 30. Juni 1941] trieben Banderas Leute Tausende Juden in die Hände der Einsatzgruppe C der deutschen Sicherheitspolizei, die sie dann ermordeten. [...] Mörder, Verbrecher und Antisemiten zu Helden hochstilisiert [...]《

      is.gd/GFIH1Z

      Diese historische (!) Festlegung "Völkermord" ist seit der Verschärfung des §130 StGB nun obendrein strafrechtlich abgesichert: 》Indem der Bundestag am 20. Oktober den Volksverhetzungsparagraphen dahingehend verschärfte, dass nun bestraft werden kann, wer Kriegsverbrechen „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost“, hat er der Gesinnungsjustiz Tür und Tor geöffnet. Schon die öffentlich gestellte Frage, ob sich ein Kriegsgeschehen so oder anders abgespielt hat, könnte künftig zu einer Verurteilung führen.《

      Gerhard Stratehier is.gd/Wa8i9j

      (hier im Podcast is.gd/t2WWRb ganz ähnlich der Dresdner Staatsanwalt Mike Ulbricht)

      Autoritarismus?