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Bundestag ändert das EisenbahngesetzAlte Gleise, neue Wohnungen

Stillgelegte Schienen sollen in Zukunft leichter anders genutzt und bebaut werden können. In einer Stadt ist das besonders brisant.

Nach Abschluss des Projekts Stuttgart 21 sollen hier Wohnungen und das neue Rosensteinquartier entstehen. Doch der Plan wankt Foto: Arnulf Hettrich/imagebroker/imago

Stuttgart taz | Der Bundestag hat in der Nacht auf Freitag entschieden, dass stillgelegte Bahn-Grundstücke leichter bebaut werden können. Im nun geänderten Eisenbahngesetz wird klargestellt, dass der Erhalt eines Gleises oder einer sonstigen Bahnbetriebsanlage nicht von „überragendem öffentlichem Interesse“ ist, wenn zu erwarten ist, dass die Infrastruktur auch langfristig nicht mehr genutzt wird.

„Mit unserem Gesetzentwurf schaffen wir eine dringend benötigte Erleichterung für Städte und Gemeinden“, erklärte der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Björn Simon (CDU).

Das Gesetz wurde vor allem mit Blick auf die Bebauung des Stuttgarter Rosensteingeländes diskutiert. Hier sollte durch die Verlegung des Hauptbahnhofs unter die Erde Platz für 5.000 Wohnungen geschaffen werden. Bisher hätte dieses Gelände, wie es im Bahnsprech heißt, nicht „entwidmet“, also nicht als Wohnfläche genutzt werden können.

Der Versuch, das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) im Januar noch zu novellieren, war in den Verhandlungen der damaligen Minderheitsregierung mit der CDU gescheitert. Unter der Ampelregierung war das AEG noch verschärft worden. Ein grüner Gesetzentwurf, der nach Aussage des Bahnpolitikers Matthias Gastel (Grüne) einen Ausgleich zwischen den Baubedürfnissen der Städte und der Entwicklung der Bahn gesucht hat, fand jetzt keine Mehrheit.

VCD: „Herber Rückschlag für die Verkehrswende“

Ist damit auch der Weg frei für die Bebauung der ehemaligen Gleisflächen am Stuttgarter Hauptbahnhof – den sinnvollen Teil des als Ganzes absurden Milliarden-Projekts Stuttgart 21?

Fahrgastverbände und Umweltschützer sehen größere Freiheit bei der Geländeumwidmung kritisch. Gerade mit der Reaktivierung von Gleisen lassen sich die Kapazität der Bahn leichter erhöhen und so die Fahrgastzahlen steigern. Die Gesetzänderung sei „ein unnötiger und herber Rückschlag für die Verkehrswende“, sagt etwa der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Entwidmungen seien so wieder hauptsächlich an das Ermessen des Eisenbahnbundesamts geknüpft.

Ziel der Ampel war es, die Verkehrsleistung im Personenverkehr zu verdoppeln. Mit der Änderung des AEG Ende 2023 wollte der Bund verhindern, dass Gleisflächen bebaut werden und dies zulasten des Bahnverkehrs geht.

Durch die bisherige gesetzliche Regelung wurden nach Angaben des Deutschen Städtetags bundesweit mehr als 170 kommunale Projekte blockiert, bei denen Wohnraum entstehen soll. Im Frühjahr war zuletzt in der Ampelkoalition ein Kompromiss gescheitert.

5.700 Wohnungen auf dem Rosensteingelände

Das sogenannte Rosensteingelände dürfte das größte bisher vom Eisenbahngesetz ausgebremste Projekt sein. Ende 2026 liegt der Stuttgarter Bahnhof laut der aktuellen Planung unter der Erde. Auf dem Grundstück darüber, im Herzen der Landeshauptstadt, sollen 5.700 Wohnungen für 10.000 Menschen entstehen.

Noch während der Bund über die Änderung des AEG verhandelte, hatte die Stadt Stuttgart eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die gesetzliche Blockade aufzuweichen. Zudem hat in dieser Woche der Stuttgarter Gemeinderat die Stadt aufgefordert, endlich ein Bebauungskonzept für das Viertel vorzulegen.

Die komplette Bebauung des Areals liegt allerdings auch nach der Gesetzesänderung in ferner Zukunft. Mit der Eröffnung des Tiefbahnhofs im Winter 2026 sind noch nicht alle Gleise unter der Erde. Die sogenannte Gäubahn, die Verbindung von Stuttgart nach Zürich, wird noch bis zum Bau des Pfaffensteigtunnels, voraussichtlich Ende 2032, oberirdisch geführt.

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Für die Gegner des Tunnelprojekts sollte das am besten auch so bleiben. Das Gleisgelände schütze die Stadt vor Überhitzung, postulieren die Bahnhofsgegner. Und: Nur ein wenigstens teilweise oberirdisch geführter Bahnhof sei leistungsfähig genug.

Zudem würden auf diese Weise 2,7 Milliarden Euro Baukosten gespart. Die Kombination aus Tief- und oberirdischem Kopfbahnhof war 2010 schon eine Variante, an der der Schlichter des Stuttgart-21-Streits, Heiner Geißler, festhielt. Allerdings bliebe mit dieser Variante dann auch ein großer Teil der neuen Wohnungen im Stuttgarter Zentrum ungebaut.

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