Bundesländer wollen §219a streichen: Vier Länder gegen einen Paragrafen
Paragraf 219a verbietet „Werbung“ für Abtreibungen. Berlin, Brandenburg, Bremen und Hamburg wollen ihn per Bundesratsinitiative kippen.
„Das Problem liegt auf dem Tisch und die Lösung ist greifbar“, sagt der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) der taz. Er berate derzeit mit seinen Kollegen in anderen Bundesländern über den konkreten Inhalt einer Bundesratsinitiative. „Im Vordergrund muss dabei stehen, dass für alle Frauen sachliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche verfügbar sind“, sagt Steffen.
Ähnlich argumentiert der Bremer Justizsenator Martin Günthner (SPD): „Es muss unser Anliegen sein, bestmögliche Patientinnenrechte gerade für Frauen in Notlagen zu gewährleisten“, erklärte er und sagte Bremens Unterstützung für eine etwaige Bundesratsinitiative zu. Aus dem Brandenburger Justizministerium heißt es, Minister Stefan Ludwig (Linke) setze sich „für die ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a StGB ein“ und werde eine Bundesratsinitiative initiieren. Die Regelung verhindere, dass Frauen sich umfassen informieren könnten, sagt Ludwig der taz. „Deswegen geht dieser Paragraf an der Lebenswirklichkeit vorbei.“
Paragraf 219a verbietet die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ und bestraft diese mit Haft bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Er ist allerdings so weit gefasst, dass darunter auch fällt, wenn Ärzt*innen sachlich darüber informieren, dass sie den Eingriff vornehmen. Ende November hatte das Gießener Amtsgericht die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt, weil auf ihrer Webseite das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ steht und man über einen Link zu einem Dokument mit Informationen über den Eingriff gelangt. Radikale Abtreibungsgegner*innen nutzen den Paragrafen zunehmend, um Ärztinnen und Ärzte mit Anzeigen zu überziehen. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland verboten, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei.
Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass es den Ärztinnen und Ärzten möglich sein muss, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen ihre Dienste in Anspruch nehmen können, sagte der Bremer Justizsenator Günthner. Paragraf 219a behindere das Anrecht von Frauen auf sachliche Information und stehe daher einer selbstbestimmten Entscheidungsfindung entgegen. Sein Hamburger Amtskollege Steffen betont, bei Paragraf 219a handle es sich um eine „sehr frauenfeindliche Regelung, die geändert werden muss.“
Verhaltener äußert sich Herbert Mertin (FDP), Justizminister von Rheinland-Pfalz. Eine vollständige Streichung des Paragrafen müsse sorgfältig darauf geprüft werden, ob sie vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand habe, sagte er der taz mit Verweis auf den Schutz des ungeborenen Lebens. Eine Komplettabsage ist das allerdings nicht: „Ob das Land Rheinland-Pfalz entsprechende Initiativen aus anderen Ländern unterstützen wird, werden wir beurteilen, wenn diese in ihrer konkreten Ausgestaltung hier vorliegen.“
Die Bremische Bürgerschaft hatte am Donnerstag einen Antrag von Grünen, SPD, Linken und FDP angenommen, welcher den Senat auffordert, sich „schnellstmöglich auf Bundesebene für die Streichung des Paragrafen 219a StGB einzusetzen“ beziehungsweise dessen Aufhebung im Bundesrat selbst zu beantragen. Ein ähnlicher Antrag der Grünen im bayerischen Landtag war am Donnerstag abgelehnt worden.
Strafrecht ist unnötig
Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt hatte vergangene Woche im Spiegel angekündigt, dem Senat eine Bundesratsinitiative vorschlagen zu wollen. Diese könnte am kommenden Dienstag im Senat beschlossen werden, sagte er der taz. „Wenn alles gut läuft, können wir das Vorhaben dann am Freitag im Bundesrat einbringen.“ Am 15. Dezember tritt der Bundesrat das letzte mal in diesem Jahr zu einer Plenarsitzung zusammen. Sollte beim folgenden Termin im Februar 2018 schon abgestimmt werden, bräuchte es für eine Mehrheit 35 der insgesamt 69 Stimmen. Berlin, Brandenburg, Bremen und Hamburg kommen zusammen auf 16 Stimmen.
„Niemand will reißerische Werbeplakate für Schwangerschaftsabbrüche in U-Bahnen“, sagte Behrendt. „Aber um das zu verhindern, braucht es nicht das Strafrecht.“ Behrendt verweist auf die Berufsordnung der Ärzt*innen in Deutschland sowie Regelungen zum unlauteren Wettbewerb und die Möglichkeit, unangemessene Werbung als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Wie viel Erfolg eine Bundesratsinitiative zu Paragraf 219a haben werde, sei schwer einzuschätzen. „Ich habe aber den Eindruck, dass es aufgrund der aktuellen Debatte gerade viel Rückenwind für das Vorhaben gibt.“
Auch im Bundestag arbeiten SPD, Linke und Grüne derzeit an Gesetzentwürfen zur Streichung des Paragrafen 219a oder haben diese bereits vorgelegt. Auch die FDP sieht Änderungsbedarf an der bestehenden Regelung. „Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, diesen alten Paragrafen im ersten Quartal des Jahres 2018 Geschichte werden zu lassen“, sagt Behrendt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern