Bundesanwaltschaft nimmt Neonazi fest: Nazis im Kinderzimmer
Einer der Anführer ist erst 15 Jahre alt: Die Bundesanwaltschaft geht mit Festnahmen gegen die Jungnazi-Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ vor.

Neben der Festnahme von Lenny M. erfolgte eine weitere in Altdöbern, von seinem Freund Jerome M., auch er 15 Jahre alt. Dazu gab es Festnahmen drei weiterer Mitglieder der LVW in Mecklenburg-Vorpommern und Hessen. Drei Neonazis der Gruppe saßen wegen begangener Straftaten bereits in U-Haft. All ihnen, der jüngste 14 Jahre alt, der Älteste 21 Jahre, wird nun die Bildung einer Terrorgruppe vorgeworfen.
Mit den Festnahmen schaltet sich nun die Bundesanwaltschaft in eine rechtsextreme Szene ein, die sich im Frühjahr vor einem Jahr gebildet hatte: Bundesweit tauchten zuerst auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok oder Instagram Gruppen wie „Deutsche Jugend Voran“, „Jung und Stark“, „Der Störtrupp“ oder eben die „Letzte Verteidigungswelle“ auf. Aktiv waren dort sehr junge Rechtsextreme, oft noch Teenager. Auf Fotos posierten sie in Springerstiefeln und Bomberjacken, wie in den Neunzigern. Wenig später standen sie auch auf der Straße, bei Aufmärschen oder Störaktionen gegen CSD-Paraden.
Dann schritten einige von ihnen auch zur Gewalt, griffen am Rande von Aufmärschen oder Gruppentreffen vermeintliche Linke an. Die „Letzte Verteidigungswelle“ um Lenny M. ging einen anderen Weg: Sie setzten auf Anschläge.
Uniform, Stahlhelm, dazu ein AK-47-Gewehr
Die „Letzte Verteidigungswelle“ war erstmals im Frühjahr 2024 aufgetaucht, mit einem Ableger in Mecklenburg-Vorpommern, wo jetzt auch die zwei anderen beschuldigten Anführer festgenommen wurden, Benjamin H. und Jason R. Schnell aber gab es Ableger auch in Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Hessen, die wie im Nationalsozialismus als „Gaue“ firmierten, und mehrere interne Chatgruppen. Sicherheitsbehörden rechnen ihr eine Mitgliederzahl in mittlerer zweistelliger Zahl zu.
Auf Fotos posierte die Gruppe vermummt, mit Pyrofackel und Deutschlandfahne. „Zu jeder Zeit Kampf bereit“, lautete einer ihrer Slogans. Ihr sächsischer „Gauleiter“ Devin K., der nun auch festgenommen wurde, präsentierte sich als Kahlrasierter, einen Schlauchschal mit Totenkopf bis zur Nasenspitze gezogen. Eines seiner Bilder zeigte eine Uniform und Stahlhelm, dazu ein AK-47-Gewehr: „Bald ist es wieder so weit“, schrieb der 21-Jährige dazu. Oder an anderer Stelle: „Geht es ums Sterben, ich bin dabei!“
Die taz war Anfang April mit die erste, die öffentlich auf die Gruppe aufmerksam machte. Und die Gruppe beließ es nicht bei martialischen Ankündigungen. Am 23. Oktober zogen Lenny M. und Jerome M. nachts in Altdöbern los und legten mit Brandbeschleuniger Feuer an einem örtlichen Kulturhaus, dem Kultberg, den angeblich „Zecken“ betreiben würden. Die beiden filmten sich bei der Tat, das Haus brannte nieder, ein Sachschaden von 500.000 Euro entstand.
In dem Gebäudekomplex wohnten auch die Betreiber des Kultberg. Nur durch Zufall seien sie nicht verletzt worden, betont die Bundesanwaltschaft. Für die Tat soll vorab der Hesse Ben-Maxim H., mit 14 Jahren der Gruppenjüngste, eine Rede für ein Video entworfen haben. Mit dem kündigte Lenny M. die Tat an, um andere Mitglieder der „Letzten Verteidigungswelle“ zu Taten zu animieren. Die Betreiber des Kultbergs erklärten nach dem Brand sie seien „in tiefer Trauer“. Ihre „ganze Kraft“ hätten sie in den Begegnungsort gesteckt, in dem sich diverse Vereine trafen.
Versuchter Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft
Und es blieb nicht dabei. Die beiden Thüringer Mitglieder der Gruppe, Claudio S. und Justin W., 18 und 20 Jahre alt, sollen in Schmölln in einer Geflüchtetenunterkunft ein Fenster eingeschlagen und mit einer Feuerwerksbatterie in das Innere des Gebäudes geschossen haben, um einen Brand zu legen. Ein Feuer brach aber nicht aus. An die Unterkunft sprühten die beiden Jungnazis „LVW“, „Ausländer raus“, „Deutschland den Deutschen“, „NS Gebiet“ und Hakenkreuze. Sie selbst sollen bei der Tat den Hitlergruß gezeigt haben. Im Februar konnte die Polizei sie ermitteln und festnehmen – seitdem saßen sie Haft.
Wenig später folgte auch die Festnahme des sächsischen „Gauleiters“ Devin K. Ihm wird vorgeworfen, mit Lenny M. und Claudio S. einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg geplant zu haben. In Tschechien hatte sich Devin K. dafür bereits zwei Kugelbomben besorgt. Was er nicht wusste: In seine Gruppe hatte sich da bereits eine Reporterin des Stern undercover eingeschleust und war mit nach Tschechien gefahren – sie warnte die Polizei. Und sie war es auch, die auf ein Video der LVW zum Brandanschlag in Altdöbern hinwies – zuvor waren die Ermittler noch von einem technischen Defekt ausgegangen. Auch Lenny M. und Jerome M. wurden zunächst festgenommen, kurz darauf wegen ihres Alters aber wieder freigelassen. Jetzt sitzen sie wieder ein.
Bei den Festnahmen am Mittwoch nun rückten 220 Polizisten aus. Sie beschlagnahmten Handys, auch mehrere Waffenmagazine, Softairwaffen und auch einen granatenähnlichen Gegenstand. Die Bundesanwaltschaft wirft einigen Mitgliedern wegen Anschläge nun auch versuchten Mord sowie die Verabredung zu einem Mord vor.
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) zeigte sich erschüttert, besonders über das junge Alter der Festgenommenen. „Das ist ein Alarmzeichen und es zeigt: Rechtsextremistischer Terrorismus kennt kein Alter.“ Auch der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern Christian Pegel (SPD) warnte vor einer Szene, die „extrem digital und gewaltbereit“ sei. Sein Brandenburger Kollege Frank Stolper attestierte der Szene ebenso eine „hohe Gewaltbereitschaft“. Er hoffe, dass die Festnahmen „eine abschreckende Wirkung“ hätten. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) dagegen äußerte sich vorerst nicht.
Bundesanwalt hat den Fall an sich gezogen
Das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum, in dem alle Sicherheitsbehörden sitzen, hatte sich aber laut seines Ministeriums seit Mitte September 5 Mal mit der „Letzten Verteidigungswelle“ beschäftigt. Die Ermittlungen führten zunächst Landeskriminalämter, erst vor wenigen Tagen soll nach taz-Informationen die Bundesanwaltschaft den Fall an sich gezogen haben.
Das ist auch ein Zeichen: Denn zuletzt hatten sich schwere Straftaten der jungen Neonazi-Gruppen gehäuft. In Berlin wurden SPD-Lokalpolitiker und Jugendliche angegriffen, die der Antifa zugerechnet wurden. In Sachsen gab es Angriffe auf Linke in Görlitz und den SPD-Mann Matthias Ecke in Dresden. In Gifhorn wurde nach Anti-CSD-Protesten eine junge Frau von Neonazis angegriffen. Erst am Dienstag hatte Dobrindt ein neues Rekordhoch von rechten Gewalttaten verkündet.
Dass sich auch Teenager für Rechtsterror begeistern, ist nicht ganz neu: Schon zuletzt fanden sich einige Jugendliche auch bei Gruppen wie der „Atomwaffen Division“ wieder. Dass diese Kultur nun aber über Tiktok und Instagram eine breite Anhängerschaft findet und einige Jugendliche nun zur Tat schreiten, ist dagegen neu.
Der Soziologe und Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent sprach am Mittwoch von einer „militanten Massenbewegung“ mit Bezugnahme zum Nationalsozialismus: „In den sozialen Netzwerken haben sich terroraffine Strukturen und Gruppen herausgebildet, die Gewalt gutheißen und vorbereiten.“ Quent attestierte den Gruppen auch ideologische Gemeinsamkeiten mit der AfD, etwa ein „völkischer Kulturpessimismus und die paranoide Vorstellung, man müsse Deutschland vor dem vermeintlichen Untergang retten.“ Innerhalb der Bewegung würden die Mittel der AfD teils allerdings nicht als ausreichend angesehen. Angesichts der Zunahme rechter Gewalt und neuen rechtsterroristischen Zusammenschlüssen forderte Quent weniger finanziellen Druck in der Präventionsarbeit und der politischen Bildung.
Social-Media als Türöffner
Die Pädagogin Elisabeth Hell vom Violence Prevention Network, das Rechtsextremen beim Szeneausstieg hilft, erzählte zuletzt der taz, dass es seit der Coronapandemie vermehrt Anfragen zu jungen Menschen gebe. Bei der Radikalisierung spielten vor allem Social-Media-Inhalte eine Rolle als „Door-Opener“ und „erste Berührungspunkte“ mit rechtsextremen Inhalten. „Durch Social Media haben sich die Möglichkeiten, mit rechtsextremen Weltbildern in Kontakt zu kommen, vervielfacht“, sagte Hell.
Wenn man sich als junger Mann beispielsweise für das Militär interessiere, gerate man sehr leicht an Tiktok-Accounts, die von rechtsextremen Akteuren betrieben werden – dort werde man dann in Telegram-Kanäle eingeladen, wo rechtsextreme Vernetzung stattfinde – „es gelingt immer wieder, junge Menschen im Internet für Offline-Aktivitäten zu rekrutieren“, sagt Hell.
Anhaltspunkte für eine solche Online-Radikalisierung finden sich auch bei den nun Festgenommenen. Bei Lenny M. aus Altdöbern fanden sich in selbst erstellten Hundevideos gegen Tierquälerei auch Sprüche wie „Auschwitz fängt da an, wo einer steht und denkt, es sind ja nur Tiere“. Oder: „Hört auf mit Tierversuchen, nehmt Kinderschänder“. Auch das ein Türöffnerthema, das Rechtsextreme gezielt spielen. Was folgte, war offenbar eine Blitzradikalisierung in den Terror. Die führte den 15-Jährigen und seine rechtsextremen Onlinekumpels nun in Haft – und demnächst in einen Terrorprozess.
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