Bürgermeister zieht Bilanz: „Wir sind überall zu langsam“

Die Stadt Konstanz war die erste, die den „Klimanotstand“ ausgerufen hat. Was hat sich seitdem klimatechnisch getan am Bodensee?

Ein Paddler auf dem Bodensee.

Wunderschön gelegen: Konstanz am Bodensee. Auch ein Paradies für Stand-up-Paddling Foto: imago

taz: Herr Burchardt, vor zwei Jahren hat Konstanz als erste deutsche Kommune den Klimanotstand ausgerufen. Was hat das gebracht?

Ulrich Burchardt: Den ersten Jahrestag konnten wir wegen Corona nicht begehen, zum zweiten haben wir in diesem Jahr die Stadtwandel-Aktionstage durchgeführt und soeben einen neuen Sachstandsbericht zum Klimaschutz vorgelegt. Wir haben in den zwei Jahren vor allem ein sehr ambitioniertes und sehr konkretes Ziel beschlossen: Konstanz will bis 2035 weitgehend klimaneutral sein. Und zwar ohne Schönrechnen, wie es andere tun, und überprüft und begleitet vom ifeu-Institut in Heidelberg. Wir kennen das Ziel, aber noch nicht den genauen Weg und auch nicht, wie wir ihn finanzieren wollen. Wenn die Fridays for Future gesagt haben: „Wir wollen, dass ihr springt“, haben wir das getan. Kopfüber.

Welche ganz konkreten Maßnahmen haben Sie beschlossen?

Die Liste ist lang, wir haben mehr als 70 Maßnahmen von der Dämmung der Häuser bis zur Förderung des Radverkehrs. Aber wir merken auch, dass alle BürgerInnen beim Ziel dabei sein müssen: Uns gehören als Stadt nur 3 Prozent der Gebäude, die anderen 97 Prozent müssen aber auch mitmachen. Und wir merken, dass es schwierige Themen gibt, wo die Lösung nicht einfach ist. Ein Beispiel: Eigentlich brauchen wir eine zweite Gasanbindung an die Schweiz, um die gesetzlich vorgeschriebene Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Aber die Klimaschützer sagen: Ihr könnt doch nicht ernsthaft eine neue Gasleitung bauen. Beide Positionen sind legitim. Wir haben deshalb ein Institut beauftragt, das noch mal durchzurechnen und Alternativen zu nennen.

ist Unternehmensberater und seit September 2012 Oberbürgermeister der Stadt Konstanz. Er ist Mitglied sowohl der CDU als auch des Aktionsbündnisses Attac.

Wie sehr haben Sie die Emissionen reduziert?

Wir haben viel getan: Häuser gedämmt, ein neues Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen, das für 100 bezahlbare Wohnungen gebaut wurde und nun 600 Haushalte effizient mitversorgt. Da sinken die Emissionen um 40 Prozent, das ist nicht klimaneutral, aber ein großer Schritt. Wir haben ein Jugendhaus energetisch saniert und den Energieverbrauch um das Dreizehnfache verbessert. Der 7er-BMW als Dienstwagen für den OB ist abgeschafft, ich fahre jetzt E-Bike, der Fuhrpark wird nach und nach auf E-Autos umgestellt. Wir bauen einen klimapositiven Stadtteil mit 3.500 Wohnungen auf 60 Hektar, das ist richtig groß für Konstanz. Und wir diskutieren darüber, einen Klimabürgermeister einzuführen.

Das sind Einzelmaßnahmen. Aber können Sie sagen, wir waren vor zwei Jahren bei X und jetzt bei X minus soundso viel Prozent?

Nein, das können wir nicht, weil wir das X nicht kennen. Wir müssen erst mal berechnen, wie hoch unser CO2-Ausstoß als Stadt oder bei den Stadtwerken überhaupt ist. Diese Messbarkeit ist sehr wichtig. Wir wollen eine Statistik aufstellen: Wie hoch sind die Emissionen, wie schnell gehen sie runter, welche Maßnahmen bringen wie viel. Das wird verknüpft mit einem Klimafonds, in den die Bürgerschaft einzahlen kann, um Maßnahmen zu finanzieren.

Das klingt bisher nur wie ambitionierte Klimapolitik. Welchen Unterschied macht da der Notstand?

Der Druck auf uns ist enorm. Alle schauen auf uns, gefühlt, und sagen: Was macht ihr jetzt? Es war Zufall, dass wir die erste Stadt waren, und wir merken, dass wir viele Pionierentscheidungen treffen.

Was sind die großen Brocken?

Der Absenkpfad für unsere Emissionen geht ab jetzt steil nach unten. Wir sehen: So weit müssen wir nächstes und übernächstes Jahr sein, das ist heftig, wenn man sich das konkret ansieht. Wir sind ja auch alleiniger Eigentümer der Stadtwerke und haben 2020 mehr als 1 Million kWh Erdgas geliefert. Das muss also ersetzt werden, da laufen wir auf ganz schwierige Entscheidungen zu. Und wenn wir Parkplätze streichen wollen, geht die Diskussion manchmal auch kräftig los.

Notstand hieß ja auch, jede Entscheidung zu überprüfen, was sie klimapolitisch bedeutet. Was hat das bewirkt?

Jede Vorlage im Gemeinderat wird untersucht: Ist die Entscheidung klimarelevant? Wenn ja, muss das dargelegt und kann öffentlich diskutiert werden. Also wenn beispielsweise das Schulamt sagt, wir brauchen Luftfilter in den Klassenräumen, müssen wir das bewerten.

Luftfilter heben den Stromverbrauch.

Ja, die haben einen großen Strom- und Ressourcenverbrauch. Wir können das dann erst mal nur feststellen. Und wir sehen: Wir produzieren viel zu wenig Strom selbst. Wir sind ja eingeschränkt, weil wir in Konstanz zu wenig Flächen haben: Wir sind begrenzt durch den Bodensee und die Schweiz, und auf unserer kleinen Gemarkung gibt es viele Naturschutzgebiete. Dann kommt noch der Denkmalschutz.

Wieso der Denkmalschutz?

Eines der großen Probleme bei der Klimaneutralität, Stichwort Dämmung, Stichwort Photovoltaik: Die Konstanzer Uni macht Photovoltaik zum Beispiel nur in homöopathischen Dosen, weil der Denkmalschutz dagegen ist. Auch auf den riesigen Kirchendächern geht bisher gar nichts. Aber so funktioniert das nicht. Da müssen wir ganz neue Wege gehen.

Welche Auswirkungen der Klimaänderungen sehen Sie in Konstanz?

Beim Beschluss des Klimanotstands hatten wir gerade den Dürresommer 2018 hinter uns. Im stadteigenen Lorettowald haben wir stellenweise Kahlschlag an riesigen uralten Buchen machen müssen, die waren nicht zu retten wegen der Trockenschäden. 2018 wurde auf dem Rhein die Schifffahrt eingestellt, zu wenig Wasser. Und das Wasser war so warm, dass viele Fische gestorben sind, das war richtig krass, die trieben tot durch den Rhein. Selbst der tiefere Obersee stand kurz vor einem Fischsterben. Es hieß, ein halbes Grad mehr und das ist für viele Fische das Ende. Dann kamen zum Glück ein paar große Gewitter, die alles umgerührt haben. Man konnte es auch fühlen: Der See war einfach viel zu warm.

Hatten Sie Probleme mit Starkregen wie bei der Flutkatastrophe im Westen?

Wir haben große Niederschläge, aber wir sind nicht so bedroht wie an der Ahr. Wir haben wenige Zuflüsse und eine riesige Oberfläche. Der Bodensee ist gutmütig und hat riesige Ausweichflächen. Selbst wenn das Wasser steigt, heißt das bei uns: Morgen wird vielleicht eine Warnmarke erreicht, dann können wir übermorgen die Sandsäcke füllen.

Es wird diskutiert, ob Klimaschutz eine Pflichtaufgabe der Kommunen werden soll. Was ist Ihre Meinung?

Das ist denkbar, muss aber finanziert werden. Man kann nicht einfach sagen, die Kommunen sollen mal machen. Aber vielleicht würde uns so eine Regelung mit der richtigen Finanzierung endlich zu Fortschritten beim Windausbau, den Radwegen, Tempo 30 oder dem Bauen mit Holz bringen. Bisher steckt da vieles fest, nichts geht wirklich gut voran.

Hilft die grün geführte Landesregierung da?

Baden-Württemberg muss zugestehen, dass wir im Klimaschutz nicht wesentlich weiter sind als andere Länder. Wir sind überall zu langsam, das ist zum Verrücktwerden. Auch wenn es hart klingt: Unsere Landesregierung ist auch nur eine normale Landesregierung.

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