Bürgerkrieg in Syrien: Kritik an Aleppo-Evakuierungsplänen
UNO und Rotes Kreuz bemängeln die Evakuierung Aleppos durch die Regierung und Russland. Die Opposition spricht von Zwangsumsiedlung.
Der Syriengesandte der UNO, Staffan de Mistura, rief Russland auf, der UNO und Hilfsorganisationen die Aufsicht über die Korridore zu überlassen. „Das ist unsere Aufgabe“, betonte de Mistura in Genf. Zwar unterstütze er „im Prinzip“ die von Russland vorgeschlagene Einrichtung humanitärer Korridore als Ausweg für Zivilisten und Kämpfer, erklärte der UNO-Vermittler. Das müsse „aber unter den richtigen Bedingungen geschehen“.
Angesichts der anhaltenden Bodenkämpfe in Aleppo sowie der syrischen und russischen Luftangriffe auch nach dem Evakuierungsaufuf vom Donnerstag fragte de Mistura: „Wie soll man von Leuten – Tausenden von ihnen – erwarten, durch einen Korridor zu gehen, wenn geschossen, gebombt, gekämpft wird?“ Es sei wichtig, dass jeder, der Aleppo verlasse, sich frei bewegen könne und nicht nur in Regierungsgebieten. Auch das IKRK in Genf betonte, eine Einigung auf humanitäre Korridore müsse „von allen Parteien mitgetragen werden“. Das sei „bisher in Aleppo aber offensichtlich nicht der Fall“, kritisierte der für den Nahen Osten zuständige IKRK-Direktor Robert Mardini.
Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Anatoli Antonow reagierte auf die Kritik von UNO und IKRK mit der Erklärung, seine Regierung sei „bereit zu einer engen und konstruktiven Kooperation mit internationalen Organisationen und natürlich auch mit dem UNO-Gesandten de Mistura“.
Opposition spricht von Kriegsverbrechen
Bei der Opposition stieß der Evakuierungsplan auf scharfe Kritik. „Die vorgeschlagenen Korridore sind ein Euphemismus für Russlands Bestrebungen, die Demografie Aleppos zu verändern. Beabsichtigt wird die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung nach einer schrecklichen Belagerung und Bombardierung“, erklärte der Chef des Oppositionsbündnisses „Hoher Verhandlungsrat“, Riyad Hidschab, ein einem Brief an UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Die „zwangsweise Umsiedlung der Bevölkerung Aleppos“ sei „ein Kriegsverbrechen des syrischen Regimes und Russlands“, schrieb Hidschab.
Das russische Militär teilte mit, seit Öffnung der Korridore hätten 169 Zivilisten Aleppo verlassen. 69 Rebellen hätten die Waffen niedergelegt und sich ergeben. An den zunächst drei Fluchtkorridoren habe die syrische Regierung Lager aufgebaut, um bis zu 3.000 Menschen zu versorgen. Ähnliche Meldungen verbreitete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana.
Ein Sprecher der Opposition in Aleppo wies diese Berichte als falsch zurück. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London konnte bislang auch nicht bestätigen, dass Anwohner aus Aleppo geflohen seien. Lediglich am Freitag hätten zwölf Personen die Viertel verlassen, bevor Rebellengruppen Straßensperren errichtet hätten. Bewohner der abgeschnittenen Viertel bestätigten gegenüber dpa, dass Rebellen am Samstag flüchtende Menschen zurückgewiesen hätten. Als Begründung hätten sie angegeben, die Korridore seien nicht sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Nach dem Sturz von Assad in Syrien
Türkei verkündet Erfolg gegen syrische Kurden
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Proteste gegen LNG-Gipfel in Berlin
Partycrasher am Luxushotel