Bürgergeld und Lohnabstand: Nicht auf Kosten der Armen
Wer arbeitet, sollte deutlich mehr Geld bekommen. Aber statt denen, die es nicht tun, das Bürgergeld zu kürzen, sollte der Mindestlohn erhöht werden.
![Ein Bäcker hält einen Brötchen-Röhling in den Händen Ein Bäcker hält einen Brötchen-Röhling in den Händen](https://taz.de/picture/6649239/14/Mindestlohn-Buergergeld-Kommentar-1.jpeg)
W er in den 1990er Jahren interne Debatten einiger Sozialexpert:innen über die Sozialhilfe verfolgte, dürfte sich über den aktuellen CDU-Vorstoß, das Bürgergeld abzuschaffen, nicht gewundert haben. Damals verwiesen die Analyst:innen auf die USA, wo Sozialhilfe nur insgesamt fünf Jahre gezahlt wird, verteilt über die gesamte Lebenszeit. Und maximal zwei Jahre ohne Unterbrechung. Das wird, so warnten die Expert:innen, auch irgendwann in Deutschland so kommen.
Nun ist die Debatte um staatliche Leistungen für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht arbeiten – über die Stufen Sozialhilfe, Hartz IV, Bürgergeld – genau da angekommen, wo die USA schon vor 25 Jahren standen. Bekanntermaßen ist Amerika das „reichste Armenhaus“ der Welt – und mitnichten Vorbild für das deutsche Sozialsystem. Und trotzdem trifft CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einen Punkt, wenn er fordert, es brauche mehr „Anreize für die Jobaufnahme“.
So weist das Institut für Weltwirtschaft in Kiel nach, dass manche Arbeitnehmer:innen mit einem relativ normalen Einkommen durchschnittlich 2,30 Euro in der Stunde mehr verdienen als Bürgergeldempfänger:innen. Dieser Lohnabstand ist tatsächlich zu gering. Wer als Bäcker:in um 3 Uhr in der Früh aufsteht, damit um 7 Uhr warme Brötchen in der Auslage liegen, wer als Pfleger:in ab 6 Uhr morgens in einem Altenheim reihenweise bettlägerige Menschen umdreht und wäscht, wer als Reinigungskraft nachts Büros schrubbt, hat mehr verdient als nur ein paar Euro mehr.
Das Ziel darf jedoch nicht sein, das Bürgergeld abzusenken, sondern vielmehr die Löhne anzuheben. Insofern birgt die Linnemann-Idee beim Bürgergeld ein Verhetzungspotenzial, das den sozialen Frieden erheblich stören kann. Ungeachtet dessen hat aber jede Lohnerhöhung Folgen – Brot, Pflege, Restaurantessen, solche Dinge werden teurer werden – und zwingt sicher manches Kleinunternehmen dichtzumachen, weil es seine Angestellten nicht mehr bezahlen kann. Um Lohngerechtigkeit herzustellen, braucht es bessere Vorschläge als die der CDU.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
+++ Nachrichten zur Ukraine +++
Gespräche bei der Sicherheitskonferenz
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris