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Bündnis fordert langfristige Investition120 Milliarden für den ÖPNV

Verbände fordern in einem offenen Brief eine konsequente Verkehrswende. Investitionen von 120 Milliarden Euro bis 2030 seien dafür notwendig.

In einer Berliner Straßenbahn Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

BERLIN taz | Ein langfristiges Konjunktur- und Investitionspaket für den ÖPNV mit 120 Milliarden Euro bis 2030 fordert ein Bündnis aus Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Gewerkschaft ver.di, Fridays for Future und dem ökologischen Verkehrsclub (VCD). Während die Bundesregierung für Dienstag einen Autogipfel plant, forderten die Verbände in einem offenen Schreiben an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) einen ÖPNV-Gipfel.

Klimafreundliche Mobilität müsse auch „über Stadt- und Landkreisgrenzen hinaus“ gewährleistet und „nachhaltig von Bund und Ländern“ finanziert werden, sagte Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende. Es sei „verrückt, daran festzuhalten“, dass die Finanzierung des ÖPNV den ohnehin schon unterfinanzierten Kommunen aufgebürdet werde. Außerdem seien alternative Finanzierungskonzepte wie Kostenbeteiligung von Unternehmen denkbar. Eine Verdoppelung der täglichen Fahrgastzahlen bis 2030 sei möglich und nötig und würde 70.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen sowie verbundenen Branchen helfen. Aktuell nutzen in Deutschland täglich 24 Millionen Menschen öffentliche Verkehrsmittel.

Junge Leute sollten den ÖPNV „als Wachstumsbranche“ wahrnehmen können, sagte Philipp Kosok vom VCD. Ohne einen „starken ÖPNV“ sei keine Verkehrswende möglich, die CO2-Emissionen im Verkehr seien seit 1990 nicht gesunken. Anfang Juli hatte der Koalitionsausschuss 680 Millionen Euro Mehrausgaben für den Straßenverkehr beschlossen.

Während über 1.000 neue Fernstraßenprojekte im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen seien, fehle bei den Öffentlichen ein „einheitliches Konzept zwischen Kommunen und Ländern“, so Antje von Broock vom BUND. Es brauche eine „gute Taktung zwischen Nah- und Fernverkehr“, sonst wären Nutzer*innen auf der letzten Meile wieder auf das Auto angewiesen.

Verbände erhöhen öffentlichen Druck

Eine reine „Antriebswende“ reiche nicht aus, sagte Helena Marschall, Sprecherin von Fridays for Future, für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels sei eine „sofortige sozialgerechte Mobilitätswende“ notwendig. Unterfinanzierung und Personaleinsparungen im ÖPNV führten zu Verspätungen, die systemrelevanten Jobs verdienten mehr Anerkennung.

Ihrer Forderung nach einem ÖPNV-Gipfel und einer konsequenten Verkehrswende wollen die Verbände zunehmend öffentlichen Druck verleihen. Für 25. September plant Fridays einen großangelegten Schulstreik, dem sich auch Beschäftigte des ÖPNV anschließen wollen. ver.di befindet sich aktuell in einer Tarifrunde. Die nächste Verkehrsminister*innen-Konferenz ist für den 14. Oktober geplant, bis dahin erhofft sich das Bündnis „eine positive Antwort“.

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9 Kommentare

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  • Wie „nachhaltig“ ist der ÖPNV tatsächlich?

    Erst seit 2015 veröffentlicht das Bundesumweltamt Daten über den CO2-Ausstoß des ÖPNV pro Personenkilometer (Pkm). Bis dahin musste man sich bei dieser zentralen Frage ganz allein auf das persönliches Bauchgefühl verlassen und das täuscht in diesem Fall total, denn: sind Bus oder die Bahn rappelvoll = sehr effizient, dann haben's viele erlebt, sind sie fast leer = minder effizient, dann hat's keiner gesehen.

    Neben dem subjektiven Bauchgefühl jedes Einzelnen geistert seit einem halben Jahrhundert der Begriff „Umweltverbund“ durch die Köpfe. Der Begriff, der Rad-, Fuß-, Bus- und Bahn-Verkehr auf die gleiche Stufe stellt, stammt aus dem Städtebau der 60er und 70er Jahre (siehe auch: de.wikipedia.org/wiki/Umweltverbund ) und zielt in erster Linie auf den enormen Platzverbrauch des MIV, dem damals viele Innenstädte zum Opfer fielen. CO2 galt damals in der Öffentlichkeit noch als mehr oder minder harmlos.

    Man mag sich an dieser Stelle noch die Frage stellen, warum die zuständigen „Experten“ es über Jahrzehnte klaglos hingenommen haben, dass die Umweltdaten des ÖPNV bis 2015 wie ein Staatsgeheimnis behandelt wurden. Und man kann sich nur wundern, dass diese Zahlen, jetzt wo sie endlich veröffentlicht werden, von den gleichen „Experten“ immer noch nicht zur Kenntnis genommen werden.

    Nun besagt der sog. IKEA-Effekt, so las ich neulich im Spiegel, dass eine Sache, allein dadurch, dass man sie selbst zusammengeschraubt hat, eine sehr viel höhere persönliche Wertigkeit erlangt. Dies gilt für Möbel wie für Weltbilder. Es würde daher wenig Sinn machen, wenn ich hier jetzt die entsprechenden Zahlen nennen würde, aber den obligatorischen Inbus-Schlüssel will ich gerne noch beifügen: der linienbedingte Umweg im ÖPNV beträgt ca. 20%.

    Die Klimaziele von Paris:



    2030: nur noch 50 %



    2040: nur noch 25 %



    2050: nur noch 12,5 %



    … der CO2-Emissionen von 1990.

    Wie soll das mit den heutigen ÖPNV-Systemen gehen?

    • @H-J Maass:

      1.) Ja, manchmal gibt es einen liniengebundenen Umweg, deswegen man den ÖPNV ausbauen, bessere Flächenpräsenz ergibt weniger Umweg. 2.) zur Effizienz: wirklich leer ist der ÖPNV als Bus auf dem Land, wo im Prinzip nur Schüler mitfahren, außerhalb der Schülerzeiten. Da muss man sich neue Dinge einfallen lassen, wie zB Rufbusse, die man direkt vor der Fahrt bestellen kann, nicht per Telefon zu den Geschäftszeiten 8-14 Uhr, aber bitte drei Tage vorher. 3.) ÖPNV findet seit Jahrzehnten vor allem elektrisch statt, Zug, Straßenbahn, Elektromobilität ganz ohne die bösen Akkus. 3.) physikalisch braucht ein Fahrzeug Energie zum Beschleunigen und danach zur Überwindung der Reibung um die Geschwindigkeit zu halten. Alle Arten, die Elektrisch fahren, können die Bremsenergie wieder zum Beschleunigen verwenden, also ohne Energieverbrauch. Punkt für den ÖPNV, der zum wesentlich größeren Teil elektrisch ist. Zweiter Punkt Reibungsverluste ausgleichen. Rollreibung Eisenbahn: 0,001 bis 0,002. Autoreifen auf Asphalt 0,011 bis 0,015, also ungefähr das Zehnfache. Punkt für den ÖPNV. 4.) Bequemlichkeit: Meiner Erfahrung nach erledigen ÖPNV-Nutzer alle Wege unter 1 bis 2 km zu Fuß, da lohnt es nicht auf die nächste Straßenbahn zu warten. Autofahrer setzen sich auch für 500m zu Bäcker ins Auto, zumindest die Autofahrer in meiner Verwandtschaft. ÖPNV-Nutzer laufen mal eben bis zu 500m bzw 5min ohne Murren zur nächsten Haltestelle, wohingegen meine autofahrenden Nachbarn es eine mittlere Katastrophe finden, schlimmer als Corona und die Abholzung des Regenwaldes zusammen, dass gegenüber unseres Hauses demnächst 60 Wohnungen bezugsfertig saniert werden und sie dann keine Garantie haben, wie bisher direkt vor dem Haus einen Parkplatz zu finden. Der große Parkplatz in 80m (!) Entfernung, der auch dann noch freie Plätze zu jeder Zeit haben wird (kostenlos) ist eine Zumutung, das geht nicht.

      • @Eutritzscher:

        Geben Sie zu: Sie haben sich nicht die Mühe gemacht die amtlichen Zahlen über den ökologischen Fußabdruck des ÖPNV im Netz zu suchen. Statt dessen erzählen Sie hier populistische Märchen:

        zu 1: „manchmal gibt es einen liniengebundenen Umweg“ - FAKT: Ein linienbedingter Umweg ist der Normalfall. Er beträgt im Nahverkehr im Schnitt 20% (im Eisenbahn-Fernverkehr 10%).

        zu 2: „wirklich leer ist der ÖPNV als Bus auf dem Land“ - FAKT: Das Problem ergibt sich auch in der Stadt und auch auf der Schiene, insbesondere: a) in den Nebenzeiten b) zu den Linienenden hin.

        zu 3: „ÖPNV findet seit Jahrzehnten vor allem elektrisch statt“ - FAKT: ÖPNV findet zu über 90% mit Bussen statt.

        ---



        nach meiner Rechnung käme jetzt eigentlich „4“:

        zu „3“: „Rollreibung Eisenbahn“. - Der Vorteil der geringere Rollreibung geht zu einem erheblichen Teil durch das höhere Fahrzeuggewicht wieder verloren. Eisenbahnen sind effizient wenn die Fracht schwer ist, doch menschliche Fracht ist relativ leicht, weil man die Fahrgäste nicht stapeln kann.

        Rückgewinnung der Bremsenergie bei Schienenfahrzeugen „ohne Energieverbrauch“: - FAKT: dieser Umstand ist in den amtlichen Statistiken selbstverständlich berücksichtigt. Die Verluste betragen übrigens ca. 40%.

        zu „4“: „Bequemlichkeit“ - Genau darin steckt ein weiteres Problem des kollektiven ÖPNV, das Sie hier zwar lauthals beklagen, für das Sie aber keine Lösung anbieten. Immerhin schreiben Sie (in Punkt 2): „Da muss man sich neue Dinge einfallen lassen.“ - Das muss man in der Tat! Und zwar bevor man 120.000.000.000 Euro für den Ausbau einer Technik fordert, die das Klima nicht rettet sondern zerstört.

        FAZIT: Ihr Leserbrief bestätigt eindrucksvoll meine These, wonach sich Eisenbahn-Fanatiker selbst dann noch weigern, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen, wenn man sie direkt darauf anspricht.

        Auch haben Sie meine Frage nicht beantwortet: Wie wollen Sie mit den heutigen ÖPNV-Systemen auch nur die Klimaziele für 2030 erreichen?

  • Das Automobil ist Dreckschleuder, Fetisch und Statussymbol. Zur Fortbewegung aber extrem ineffektiv. Für eine Stunde Fahrzeit muss man vorher ca. ein bis zwei Stunden arbeiten, um Sprit, Abschreibung, Versicherung, Reparatur etc. zu bezahlen (Umweltschäden und Entsorgung noch gar nicht inklusive). Rechnet man die für die Betriebskosten anfallende Arbeitszeit zur Fahrzeit hinzu, sinkt die Geschwindigkeit stark und das Fahrrad ist am Ende schneller.



    ÖPNV sollte übrigens kostenlos sein.

    • @kommentomat:

      Habs für mich durchgerechnet. Auto hat gewonnen. Allerdings auch deshalb, weil Zeit für mich ein sehr kostbares Gut ist. Die tägliche Stunde Zeit, die ich durch die Verwendung des Autos statt des ÖPNVs bekomme, ist daheim sehr gut investiert.



      Zum kostenlosen ÖPNV: es ist bekannt, dass die meisten Zusatzfahrgäste dann Ex-Radfahrer und Ex-Fußgänger sein werden. Zumal muss der irgendwie finanziert werden. Auch da sollte Kostenwahrheit herrschen.

  • Nur so geht das.

    Vielleicht sollte eine verbindliche Quote eingeführt werden: für jedes Euro, das in den automobilen Individualverkehr fliesst (von Infrastruktur bis hin zu Subventionen, auch Kurzarbeit, etc. -- auch Flächenverbrauchchskosten sollen da rein) sollten zwei in das ÖPNV gehen -- zumindest bis die Strukturen etwas ausgewogener sind.

    • @tomás zerolo:

      Mal zu den Fakten: Die Autofahrer spülen jedes Jahr über 60 Mrd € in die Staatskasse. Das gesamte BMVI hat ein Budget von gerade einmal 37 Mrd € (inklusive Schiene und Internet). In die Bundesfernstraßen gehen 12 Mrd €, während Bundeseisenbahnvermögen + Bundesschienenwege zusammen 18 Mrd € bekommen. Dazu kommen noch die 8 Mrd € Regionalisierungsmittel für den ÖPNV. So gesehen ist die von Ihnen vorgschlagene Quote schon übererfüllt. Trotzdem schafft der ÖV in D gerade mal einen Verkehrswegeanteil von 16%. Irgendwas macht doch da stutzig...



      www.bundeshaushalt...einzelplan/12.html

  • Ich finde, daß das bei uns in Deutschland genau verkehrtherum läuft. Eigentlich müßte es so sein, daß Kommunen oder wer auch immer, einen bestimmten, genau ausgeklügelten Plan vorlegen, aus dem genau hervorgeht, was sie wann mit welchen Mitteln wie erreichen wollen und was das genau kostet. Dann -und erst dann- kann man entscheiden, ob und überhaupt das Projekt sinnvoll, wünschenswert, machbar und bezahlbar ist.



    Es scheint allerdings zumindest oft genauso andersherum zu sein, daß man einen bestimmten Millionenbetrag (unter dem macht man ja gar nichts mehr) verballern, sorry, investieren will und dann die entsprechenden Empfänger darum bittet, ein wie auch immer geartetes Konzept mit Öko, Bio & Co. zu machen. Das führt sicher eines Tages dazu, daß unsere (natürlich elektrisch fahrenden) Busse mit Teppichboden (aus Naturfaser) ausgelegt sind und jeder (ergonomisch gestaltete) Sitzplatz über freies WLAN und einen Farbbildflachfernseher verfügt. Vielleicht jetzt etwas überspitzt dargestellt, aber oft genug hört man es doch, daß "Mittel" (Knete) nicht "abgerufen" werden "konnte", weil man, Ironie an: Keinen weiteren Weg gefunden hat, noch übriggebliebene Kohle völlig restlos zu verdonnern. Bin ich auf dem Holzweg?

    • @Thomas Schöffel:

      Das endet dann so, dass ein mit zwei Fahrgästen besetzter Bus durch die Gegend fährt. Ökonomischer und ökologischer Schwachsinn. Genauso wie eine Geisterbahn.