Budgetkürzung in Belgien: Kulturkampf der Rechten

Die flämische Regierung hat das Budget für Kultur gekürzt, die für eine offene Gesellschaft steht. Die Szene protestiert.

Über ein Meer von Köpfen hinweg sieht man auf die Beursswouwburg in Brüssel

Am 12. November vor der Beursschouwburg in Brüssel: 2000 Künstl*innen protestieren Foto: Stefan Bläske

Am 7. November erschütterte eine Neuigkeit Flandern: Die rechtsliberale Regierung unter dem N-VA-Ministerpräsidenten und Kulturminister Jan Jambon kürzt Anfang des Jahres 2020 das Budget der großen Kulturinstitutionen um 3 bis 6 Prozent, die freie Projektförderung um 60 Prozent. Insgesamt werden 22 Millionen Euro gestrichen. Zum ersten Aktionstag am 12. November, einberufen am multidisziplinären Kunstzentrum Beursschouwburg in Brüssel, erschienen über 2.000 Kulturschaffende aus dem ganzen Land.

Unter der Losung #this­isourculture laufen seither Aktionen aller Art. Fast ungläubig wurde vor diesem Hintergrund vergangenen Freitag, am 15. November, in Flandern die Meldung aufgenommen, dass die deutsche Bundesregierung ihre Ausgaben für Kultur um zusätzliche 54 Millionen steigert, auf insgesamt über 2 Milliarden.

„Die künstlerische Avantgarde belebt den demokratischen Diskurs“, wird die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der Pressemitteilung zitiert. Und: sie hat recht, niemand ist ein so guter Verbündeter für die offene Gesellschaft wie eine freie Kulturszene. Und das weiß auch die flämische Rechte, die die Avantgarde nun loswerden will.

Flanders freie Szene ist berühmt

Denn im Gegensatz zu Deutschland, das über ein enges Netz von Stadttheatern verfügt, liegt die Stärke der flämischen Kunstproduktion in der freien Szene. Es gibt in ganz Flandern nur drei Stadttheater – eines davon ist das NTGent. All die großen Namen (Anne Teresa De Keersmaeker, Alain Platel, Needcompany, Miet Warlop, Luk Perceval) der flämischen Kunst kommen aus der freien Szene.

Milo Rau und Stefan Bläske sind künstlerische Leiter des NTGent. Elisa Liepsch ist Kuratorin am Kunstzentrum Beur­sschouwburg.

Eine radikale Kürzung der freien Projektförderung, einhergehend mit einer Schwächung der festen Institutionen, bedeutet das Ende der Performance-Geschichte in Flandern. Denn beides ist nur das letzte Kapitel einer seit über zehn Jahren anhaltenden Sparwelle im flämischen Kultursektor. Dabei produziert keine andere Branche der belgischen Wirtschaft so viel Mehrwert und sorgt derart kostengünstig für internationale Ausstrahlung.

Internationaler Protest

Ein Brief internationaler Kuratoren von der Tate Modern bis zu den Wiener Festwochen an den Ministerpräsidenten Jambon fasste all diese Argumente zusammen, garniert mit eigentlich rechtsliberalen Trigger-Wörter wie „flämische Emanzipation“ und „internationale Exzellenz“. Was vor 15 Jahren noch keine*r Linken über die Lippen gekommen wäre, ist längst gängige Rhetorik im Kunstsektor.

In Dutzenden von weiteren Statements und offenen Briefen bemühen sich die Künstler*innen, ihre Verbundenheit mit Flandern zu unterstreichen. Aber neoliberale und identitäre Gleichschaltung reicht Rechten nicht mehr. Man will die Avantgarde, auch wenn sie flämisch und ökonomisch exzellent ist, weghaben. Einfach deshalb, weil sie „den demokratischen Diskurs belebt“.

Während ringsum rechte bis faschistische Regierungen die Macht übernehmen – in Ungarn, Brasilien, den USA und neuerdings auch in Bolivien, um nur ein paar Beispiele zu nennen –, verschärft sich nun der Kulturkampf auch in der europäischen Hauptstadt.

Denn es geht bei den Kürzungen um mehr als um „künstlerische Experimente“, wie die rechte, von der Linken unnötigerweise übernommene Propaganda glauben machen will. Es geht um den Erhalt demokratischer Kunst jenseits von Opernhäusern und Kriegsdenkmälern. Wenn wir diesen Kampf nicht gewinnen, sind all unsere anderen Kämpfe um Gleichberechtigung oder Diversität sinnlos.

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