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Regierungsbildung in BelgienKönig Philippe vor Scherbenhaufen

Fast ein halbes Jahr nach den Wahlen gibt es noch keine Regierung. In Brüssel spekuliert man schon über Neuwahl-Termine.

Hier scheint er optimistisch – aber König Philippe muss nun schwierige Gespräche führen Foto: Dirk Waem/imago

Brüssel taz | Die Belgier kennen sich mit Regierungskrisen aus. Geschlagene 541 Tage dauerte es 2011, bis eine neue Föderalregierung gebildet wurde. Das war damals Weltrekord. Doch nun droht wieder eine Krise. Sie macht sogar König Philippe zu schaffen.

Am Montag hatten zwei Schlichter – die sogenannten Préformateurs – das Handtuch geworfen. Der Sozialist Rudy Demotte aus der Wallonie und der Rechtsliberale Geert Bourgeois aus Flandern hatten sich wochenlang um mögliche Regierungskoalitionen bemüht, vergeblich.

Zwischen den Sozialisten, die in der französischsprachigen Wallonie den Ton angeben, und der N-VA, die im niederländisch geprägten Flandern herrscht, gibt es keine politischen Gemeinsamkeiten mehr. Bei den Wahlen am 26. Mai waren beide Regionen auseinandergedriftet – Flandern nach rechts, die Wallonie nach links.

Nun steht der König vor einem Scherbenhaufen. Das belgische Staatsoberhaupt hatte gehofft, dass Demotte und Bourgeois einen Ausweg aus der völlig verfahrenen Lage weisen würden. Doch 163 Tage nach den Wahlen zeichnet sich keine Lösung ab.

Sondierungen scheitern schon zum zweiten Mal

Es ist bereits das zweite Mal, dass Sondierungen gescheitert sind. Anfang Oktober hatten Didier Reynders, der künftige belgische EU-Kommissar, und Johan Vande Lanotte die Gespräche für gescheitert erklärt. Nun muss sich der König selbst um mögliche Koalitionen bemühen.

Das könnte schwierig werden. Zwar geben sich die Politiker im Königspalast die Klinke in die Hand. Am Dienstag hat der König auch die neue geschäftsführende Regierungschefin Sophie Wilmès empfangen. Doch um die nächste Regierung zu führen, braucht sie eine Mehrheit, und die zeichnet sich nicht ab. Im Gegenteil: Im belgischen Föderalparlament ist Chaos ausgebrochen; wechselnde Mehrheiten haben sogar den Staatshaushalt für 2020 infrage gestellt. Der Schuldenberg wächst, die EU-Kommission ist besorgt.

Ein weiteres Alarmsignal kommt vom neuen Parteichef der wallonischen Sozialisten, Paul Magnette. Nach einem Gespräch mit dem König schloss Magnette ein Bündnis mit der flämischen N-VA aus. Falls die N-VA versuchen sollte, große Teile der Sozialversicherung aus dem föderalen System herauszulösen, seien keine Gespräche möglich.

Die Neu-Flämische Allianz strebt eine weitere Aufspaltung des zerstrittenen Landes und die Regionalisierung immer größerer Teile der bisher föderal geregelten Kompetenzen an. Bei den Wahlen im Mai war neben der N-VA auch der rechtsextreme „Vlaams Belang“ gestärkt worden. Die Zahl seiner nationalen Abgeordneten stieg von drei auf 18.

König will Worst-Case-Szenario der Neuwahlen vermeiden

Vor diesem Hintergrund ist unklar, wie es eine tragfähige Regierungskoalition geben könnte, die in beiden Regionen eine Mehrheit hat. Wenn ein Bündnis zwischen N-VA und Sozialisten ausscheidet, wäre eigentlich nur noch eine Regenbogenkoalition unter Einschluss der Grünen möglich. Auch sie sind aus den Wahlen gestärkt hervorgegangen.

Wenn alle Stricke reißen, könnte es sogar zu Neuwahlen kommen. In Brüssel wird schon über einen möglichen Wahltermin im Februar spekuliert. Allerdings will der König dieses Worst-Case-Szenario vermeiden, denn es dürfte die extreme Rechte in Flandern weiter stärken. Und so gehen die Konsultationen weiter – bis zum Erfolg. Oder bis zur nächsten Absage.

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1 Kommentar

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  • Ohne den König gäbe es kein Belgien. Die Nation ist kulturell schwer zu versöhnen und blockiert sich immerzu selbst.