Buch über Elite in Großbritannien: „Thatcherismus“ als Common Sense
Owen Jones beschreibt, wie dreist die Mächtigen Großbritanniens ihre Interessen durchsetzen – auf Kosten derer, die nichts haben.
„Das Establishment ist entkleidet und ohne Vorwarnung nackt auf die Bühne geschubst worden“, beginnt Owen Jones seine Analyse der Elite in Großbritannien, die Politik, Industrie, Medien und Bürokratie dominiert und diese Sphären der Macht für sich zu nutzen weiß.
Gerade die vergangenen Jahre, so Jones, hätten gezeigt, wie dreist Mächtige in Großbritannien agierten: von der selbstverständlichen Forderung von Bankern, dass der Staat für ihre Krise zahlen müsse bis hin zu dem Abhörskandal bei News of the World, der offenbarte, wie eng Medien und Politik verwoben sind.
Es geht um Politiker, die später direkt in gut bezahlte Jobs zu Großkonzernen wechseln, Regierungsvertreter, die Banker um deren Gehälter beneiden, und Journalisten, die sich trotz sechsstelliger Jahresgehälter für „middle class“ halten.
Jones, der zuletzt das erfolgreiche „Chavs“ über die Diskriminierung der Arbeiterklasse veröffentlichte, zeichnet in „The Establishment“ nach, wie es so weit kommen konnte. Das Establishment beschreibt er als eine gut vernetzte Gruppe von Wohlhabenden, die nicht durch Verschwörung, aber durch „soziale Beziehungen“ für ihren Machterhalt sorgen.
Owen Jones: „The Establishment. And how they get away with it“. Allen Lane/Penguin, London 2014, 368 Seiten, 18,95 Euro.
Mindestens Armutslohn
Noch in den 1960er Jahren habe das Establishment ganz anders ausgesehen. Der politische Konsens sei ein linker gewesen, die Labour-Partei fest im Sattel, die Gewerkschaften mächtig und das rechte Lager über die eigene Niederlage entmutigt. Doch mit den Krisen in den 1970ern – dem Ende des Goldstandards, dem Vietnamkrieg und einer Reihe von Streiks wegen Inflation – habe es eine koordinierte Kampagne von rechten Ideologen und Thinktanks gegeben, die den politischen Konsens weit nach rechts rückten.
Mit Margaret Thatcher sei dieser Rechtsruck in konkrete Politik gegossen worden. So sehr, dass auch spätere Labour-Regierungen nicht aus ihm ausbrechen konnten: Als Tony Blair 1997 die Wahl gewann, versprach er, die Steuern nicht zu erhöhen. Unter „New Labour“ gingen Privatisierungen weiter, der eingeführte Mindestlohn blieb – dank Lobbyisten – ein „Armutslohn“. Gerade weil die Labour-Regierungen unter Blair und Gordon Brown den Thatcherismus nicht infrage gestellt hatten, sei dieser zum neuen „common sense“ geworden, argumentiert Jones.
Jones’ Analyse hat ihre Schwächen: Seine These der Komplizenschaft der Medien konzentriert sich fast ausschließlich auf die konservative News Corporation und ist häufig durch Zeitungsartikel belegt – so schlimm kann es um die Medien also nicht bestellt sein. Seine Beschreibung der Polizei als Lakaien ist oft anekdotisch. Stringenter wird es, wenn er zeigt, wie die Privatisierung von Altersheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen zu hohen Profiten und schlechten Ergebnissen führt oder wie systematisch Buchhaltungsfirmen Steuergesetze beeinflussen, um später ihren Kunden bei der Steuervermeidung zu helfen.
Kann man ein antielitäres Buch schreiben, ohne ins Rechtspopulistische abzudriften? Jones zeigt, dass man das kann. Offensiv setzt er sich mit der rechten Partei Ukip auseinander, die zugleich antielitär, aber „Establishment pur“ ist: Steuern runter, weniger Geld für Arbeitslose und Einschränkungen bei der Einwanderung. Jones fordert stattdessen eine „demokratische Revolution“, die die Sphären der Macht öffnet und die Umverteilung von Wohlstand zum Kern hat.
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