Bremer FDP wirbt für Pyro-Pilotversuch: Gelber Rauch überm Rasen
Weil Verbote eh nicht richtig wirken: Die Bremer FDP schlägt vor, Pyrotechnik im Fußballstadion zu erlauben – kontrolliert und in engen Grenzen.
Neben Begeisterung für das Spiel und die Fankultur steht dahinter auch Pragmatismus: „Wir haben in der Vergangenheit in den Fußballstadien gesehen, dass man es nicht verboten bekommt“, sagt Humpich der taz. „Es wird immer wieder Pyrotechnik gezündet, und durch diese illegale Pyrotechnik werden Personen im Stadion, auch Familien, potenziell gefährdet.“
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ahndet solche Vorfälle mit Geldstrafen, deren Höhe von der Spielklasse abhängt: Das Abbrennen eines Pyros kostet einen Drittligisten 350 Euro, einen Erstligisten 1.000 Euro. Wohlgemerkt: Die eigentlichen Übeltäter:innen sind dabei Stadionbesucher*innen, nicht notwendigerweise auch Mitglieder der haftenden Vereine.
Im März vergangenen Jahres beliefen sich die Pyro-Strafzahlungen in den drei deutschen Profi-Fußballligen zusammen auf immerhin 440.000 Euro – gegenüber 150.000 Euro im März 2019, also vor Corona. Gerade erst, laut Meldung vom 21. Juni, musste der VfL Wolfsburg stolze 63.000 Euro zahlen „wegen drei Fällen eines unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger“. Werder Bremen musste Ende Mai 20.000 Euro entrichten, nachdem im März ein Fan „mindestens 20 pyrotechnische Gegenstände“ abgebrannt hatte.
In Norwegen ist künftig bei einigen Fußballspielen ausgewählte Pyrotechnik erlaubt. Die Ausnahme für Fackeln und Rauchdosen wird für die Spielzeiten 2024 und 2025 in einem Versuchsprojekt gewährt, wie die norwegische Regierung mitteilte.
Fackeln und Rauchdosen sind auf den Tribünen von Norwegens 1. und 2. Liga erlaubt, solange sie ordnungsgemäß verwendet werden.
Der Chef der Fanvereinigung Norsk Supporterallianse, Anders Kjellevold, begrüßte die Entscheidung: „Das ist ein großer Durchbruch! Darauf haben wir viele, viele Jahre lang hingearbeitet. Nach dem, was ich gesehen habe, ist es eine Vereinbarung, die meiner Meinung nach für die Fans bei den Spielen sehr gut funktionieren wird“, sagte er dem norwegischen Sender TV2.
Neben diesen Sanktionen durch die DFB-eigene Sportgerichtsbarkeit können Zündler*innen aber auch vor richtigen Gerichten landen – etwa wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. „Für die Frage der Strafbarkeit“, so die Göttinger Jura-Doktorandin Katharina Reisch unlängst im Magazin „Legal Tribune Online“, „kommt es stark darauf an, welche Art von Pyrotechnik in welchem konkreten Setting wie verwendet wird.“ Auch Ole Humpich sagt, man müsse „unterscheiden zwischen Pyro und Pyro: Was nicht unter das Sprengstoffgesetz fällt, darf genutzt werden – und was darunter fällt, nicht.“
Pilotversuche, wie sie seine Fraktion fordert, ermöglichen in Frankreich und Skandinavien das Abbrennen von Pyrotechnik unter strengen Auflagen. Auch im Hamburger Volksparkstadion ist das ausprobiert worden: 2020 bei einem Zweitliga-Spiel des HSV gegen den Karlsruher SC. In ihrem Antrag verweist die FDP auf das Vorbild Chemnitz: Dort hatten sich der Chemnitzer FC, Fans, Polizei und Ordnungsamt abgestimmt, und beim Einlaufen der Mannschaften wurde vor dem Block der Chemnitzer Ultras Bengalisches Feuer „gemäß den gesetzlichen Vorgaben kontrolliert“ abgebrannt.
Seit der Premiere im Jahr 2010 sei dieser „Chemnitzer Weg“ weiterentwickelt worden, schreiben die FDP-Abgeordneten. Heute sehe das Konzept einen „abgesperrten Bereich“ im Fanblock vor, die feste Zuweisung von Verantwortung, die exklusive Nutzung von Rauchfackeln, die nicht unter das Sprengstoffgesetz fallen, sowie klare Zeitpunkte „vor oder nach dem Spiel“, um dessen Ablauf nicht zu beeinflussen.
„Wenn man den Leuten eine Möglichkeit gibt, Pyrotechnik an bestimmten Stellen vernünftig abzubrennen“, sagt Humpich, „vielleicht auch in bestimmten Zeitfenstern: Dann machen sie mit, weil sie sich dieses Angebot nicht verscherzen wollen.“ Den Bremer Senat fordert die FDP nun dazu auf, „mindestens sechs Pilotaktionen“ nach Chemnitzer Vorbild in Bremens Profi-Stadien zu planen und durchzuführen. Dies solle wissenschaftlich begleitet werden, nach spätestens neun Monaten sollen die Deputationen für Inneres sowie für Sport Bericht erstattet bekommen.
Der DFB erklärt auf taz-Anfrage: „Die von pyrotechnischen Erzeugnissen ausgehenden gesundheitlichen Gefahren sind teilweise nicht ausreichend bekannt. Insbesondere bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung, wie sie leider auch in vollbesetzten Stadionrängen zu sehen ist.“ Bereits gemachte „Erfahrungen mit dem kontrollierten, behördlich genehmigten Abbrand von Pyrotechnik im Fußballkontext zeigen, dass es eines hohen Abstimmungsbedarfes zwischen Veranstalter, involvierten Behörden und Fans bedarf“. Nach einem kategorischen Nein klingt das zumindest nicht.
Der Innensenator ist skeptisch, Werder aufgeschlossen
Skepsis signalisiert derweil das Ressort von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Und Werder Bremens Geschäftsführerin Sport und Nachhaltigkeit, Anne-Kathrin Laufmann, teilt mit: „Grundsätzlich stehen wir Alternativen, Ideen und Projekten aufgeschlossen gegenüber. So ein Pilotprojekt gilt es allerdings im Vorfeld mit allen relevanten Protagonisten abzustimmen und zu prüfen.“
Nun ist die FDP ohnehin in der Opposition, in Bremen regiert eine rot-rot-grüne Koalition – welche Aussicht auf Erfolg rechnet Humpich sich da aus? „Die Jüngeren aus der Regierungskoalition signalisieren uns schon, dass sie sich das gut vorstellen können“, sagt er. „Jetzt müssen wir natürlich schauen, was dabei hinten rauskommt und ob ihm dann tatsächlich zugestimmt wird.“ In der Bürgerschaft beraten werden könnte der Antrag am 21. August – zwei Tage später beginnt die Bundesliga-Saison 2024/25.
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