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Borkenkäfer im HarzDer Weckrufer

Die Forstwirtschaft wertet den Tod von Fichten im Harz als schweren Schaden und bekämpft den Borkenkäfer. Doch das ist ein Fehler.

Unersättlich: Borkenkäfer setzen Fichtenwäldern zu, in diesem Sommer ist es besonders schlimm Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Osnabrück taz | Für den Borkenkäfer ist die Klimakrise ein Geschenk. Im Harz findet der Käfer geradezu ein Paradies vor. Denn die Dürreperioden schwächen die Fichten, die dort in Monokulturen wachsen. Sind die Fichten schwach, bohrt der Käfer in ihnen seine Gänge, legt Eier ab, und der Hunger der Larven gibt den Bäumen den Rest. Zu den Trockenperio­den kommen milde Winter, verfrüht einsetzende Frühjahre und Extremwetterereignisse wie schwere Stürme. Vermehrt der Borkenkäfer sich dann explosionsartig, sehen plötzlich ganze Landstriche aus wie Todeszonen.

Auch im Harz ist das der Fall. Wer im dortigen Nationalpark unterwegs ist, dem Natura 2000-Schutzgebiet rings um den Brocken, in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, sieht die Folgen des Käfer-Kahlfraßes sofort: Seit 2018 hat der 25.000 Hektar große Park mehr als 11.600 Hektar Fichtenwald verloren, allein 2021 sind rund 5.600 Hektar hinzugekommen. Rund 90 Prozent seines Fichtenbestandes sind tot.

Das Problem ist nicht nur das Klima. Hinzu kommt forstwirtschaftlicher Raubbau. Großflächige Monokulturen wurden gepflanzt, an ungeeigneten Standorten. Hauptsache, schneller Ertrag entstand. Der Borkenkäfer, insbesondere der „Buchdrucker“, hatte bei den anfälligen Plantagen leichtes Spiel.

Es gibt Harz-Gäste, die beschweren sich über den unidyllischen Anblick. Aber das ist nur eine Minderheit. „Viele sind geschockt und erstaunt, wenn sie das das erste Mal sehen“, sagt Christin Wohlgemuth der taz, Sprecherin des Harzer Tourismusverbands in Goslar. „Aber zugleich sind sie sehr interessiert an den Gründen, an den Folgen, und die erklären wir ihnen dann.“

Fehler der Vergangenheit

Die Gäste lernen, dass es auch schon vor Jahrhunderten Kahlfrass gab, dass der Käfer zur normalen Waldökologie dazugehört, dass er dazu beiträgt, dass sich standortgerechter, widerstandsfähiger, vielfältiger Mischwald entwickelt. „Das zu beobachten, ist für den Gast natürlich spannend“, sagt Wohlgemuth. Dem Tourismus schade der Käfer nicht: „Bei den Übernachtungszahlen sehen wir keinen Rückgang aufgrund der Waldentwicklung.“

Diese Entwicklung verläuft höchst dynamisch. Zwischen Sterben und Tod wächst rasch neues Leben heran, ein neuer, naturnäherer Wald. Die Borkenkäfer-Zonen des Parks sind also Weckrufe, sie sind Mahnmale für Fehler der Vergangenheit. Die Kahlschläge der umliegenden Wirtschaftswälder sind es erst recht.

Bekämpft wird der Borkenkäfer im Nationalpark seit 2021 nur noch an zwei Stellen: angrenzend an Großprivat- und Kommunalwald, auf einem 500-Meter-Sicherungsstreifen. „In der Kernzone des Schutzgebietes, der Naturdynamikzone, findet keinerlei Bekämpfung statt“, sagt Martin Baumgartner, Sprecher des Nationalparks Harz, der taz. „Hier wird entsprechend des gesetzlichen Auftrags nicht in die natürlichen Prozesse eingegriffen.“

Seit 2008 wandelt der Nationalpark stark sein Gesicht – hin zum Laubwald. Mehr als 6,7 Millionen Laubbäume wurden in seiner Naturentwicklungszone gepflanzt, von der Buche bis zur Erle. Eine natürliche Wiederansiedlung wäre auf große Probleme gestoßen. Durch die Fichtenplantagen fehlten die Mutterbäume der Laubbaumarten. Ohne menschliche Hilfe hätte es notfalls „eine extrem lange Zeit gedauert“, sagt Baumgartner, „vermutlich Jahrhunderte“. Ganz geht die Fichte dem Harz übrigens nicht verloren. In höheren Lagen ist sie heimisch, als Bergfichtenwald. Gesund, mit guten Abwehrkräften gegen den Käfer.

Problem Monokulturen

Die Forstwirtschaft wertet den Massentod der Fichten als schweren Schaden. Sie bekämpft ihn, auch mit Insektizid. Im Nationalpark ist die Natur keiner Wirtschaftlichkeit unterworfen. Auch holzfressende Insekten erfüllen in ihren Lebensräumen wichtige Funktionen, sagt Baumgartner. „Ihr Verhalten und dessen Folgen sind Teil eben jener Naturdynamik, die wir im Nationalpark schützen.“

Die „aktuelle Borkenkäferkalamität“ macht in seinen Augen „auf drastische Weise deutlich, dass es generell problematisch ist, Forstwirtschaft in Form von großflächigen Monokulturen zu betreiben“. Aber es gibt Hoffnung. Auch die Forstwirtschaft habe erkannt, „dass ein Waldumbau hin zu gemischteren Beständen und mehr Laubmischwald sinnvoll ist“.

Wie Wohlgemuth erlebt auch Baumgartner BesucherInnen des Parks, auch Einheimische, „die über den Anblick der toten Bäume entsetzt sind, was wir gut nachvollziehen können“. Ihnen werde dann vermittelt: „Fichten sterben, aber nicht der Wald als Ganzes.“ Die toten Bäume verbleiben übrigens im Park, denn Totholz ist wichtig für das Ökosystem. Und: „Die Beseitigung des Totholzes wäre ein massiver, mit einem enormen, maschinellen Aufwand verbundener und für das Ökosystem sehr nachteiliger Eingriff.“

Und was, wenn es zu Kritik kommt, in Sachen Borkenkäfer und Totholz? „Das ist zu akzeptieren“, sagt Baumgartner. „Wir bemühen uns, bei den Menschen Verständnis für die Belange des Naturschutzes zu erreichen.“

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16 Kommentare

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  • Problem ist: Wir brauchen Stämme. Der Harz wird, wenn man die Natur machen lässt, für 50 Jahre+ minimal Holz liefern. Und damit ist er nicht allein, Thüringer Wald, Rothaargebirge etc. kollabieren gerade. Ja, es gibt einen Weltmarkt für Holz, aber ein so waldreiches (und mit Waldumbau auch in Zukunft) waldreiches Land wie Deutschland sollte den Anspruch haben seinen Holzbedarf selber zu decken. Es sollte schon evaluiert werden ob man nicht bestimmte Nutzholzbereiche mit Pestiziden schützt.

    • @FancyBeard:

      Die Sache mit den Insektiziden wurde schon ausreichend betrachtet. Sehe ich persönlich durch Rechtslage und gute fachliche Praxis äußerst kritisch. Meinem Stand kommen aus guten Gründen Insektizide wie Karate oder Fastac gem. Zulassung ausschließlich an Poltern zum Einsatz. Um es salopp zu sagen: Großflächig Karate in die Monokultur brauchste keinen Mückenschutz mehr weil nicht mehr nötig. Insektizide in ÖkoSYSTEMEN ist etwas anderes als 2 Gram Schneckenkorn im Gemüsegarten.

      Viel wichtiger wäre im Wirtschaftswald eine ordentliche "Verwertung" des Schadholzes. Dieses gilt in D als solches und geht maximal in die Palette, obwohl jeder Holztechniker weiß, dass Käferholz, zeitnah entommen, an Qualität keine Einbuße hat. Da die Preise für Fichte somit im Keller waren/sind, wurde im Harz auch kräftig exportiert. Es gipfelte dann mit der Verladung in Überseecontainer. Finde den Fehler!

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @FancyBeard:

      Apropos Holzbedarf.



      Ein Bedarf kann größer und so strukturiert sein, dass die forstliche Produktion das nicht gesamtökologisch nachhaltig liefern kann.



      Dass hier keine Bilanzierung öffentlich gemacht wird, ist ein Mangel, der zu unzureichender Meinungsbildung bei den Bürgern beiträgt. Holz- und Forstindustrie können derweilen walten.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @FancyBeard:

      Im Artikel geht es um den Nationalpark. Da bestehen gesetzlich abgesicherte Zielsetzungen des Naturschutzes.

      Im Wirtschaftswald sind die Probleme forstgemacht.



      Mit Pestiziden den Borkenkäfervermehrungen in /Koniferenmonokulturen beikommen zu wollen ist vergeblich weil nicht möglich. In standortgerechten Mischwäldern gibt es keine Massenvermehrung.

    • @FancyBeard:

      Ob Deutschland ein waldreiches Land bleibt, ist äußerst fraglich. Dazu hätte man weit eher mit dem "Umbau" beginnen müssen. Über Jahrzehnte bekannt war, dass Monokulturen gefährlich sind, trotzdem wurden weiter (meist) Fichtenschonungen angelegt. Weil: "Wir brauchen (schnell) Stämme". Jetzt sind auch die meisten Laubbaumarten durch Hitze und Dürre geschwächt, - in wenigen Jahren werden wir kaum noch Bäume sehen, die höher als zwei Meter sind. Das bedeutet weniger Schatten, weniger Wurzelwerk, weniger Chancen für die darunter heranwachsenden Jungbäume. Und das alles bei zunehmend ungünstigem Klima. Zudem wird größtenteils noch immer auf schweres Gerät bei der Waldarbeit gesetzt. Viele Böden sind dadurch längst für Jahrzehnte zerstört. Auch das schwächt den Wald, macht ihn anfällig für Schädlinge. Meines Wissens werden weiterhin Pestizide eingesetzt, - für Nutzholz, - sie sind aber eher Teil des Problems, als Teil der Lösung, - weil sie mit dem Wind verteilt oder in den Boden, das Grundwasser gelangen.

  • Die neuste Entwicklung: die Geräusche der Larven beim Fressen ermitteln. Dann gezielt lokale Giftbehandlung, bevor der Käfer den Baum ernsthaft geschädigt hat. Jeden Baum einzeln anhören an mehreren Stellen und ggf mit Gift an der Einbohrstelle behandeln.

    • @Christoph Strebel:

      In der Theorie mag das funktionieren. Die Praxis wird aber eher in Satire enden.



      - der EINE ( :-D ) Käfer sollte schon in annehmbarer Arbeitshöhe knuspern...am brauchts noch Baumkletternde! Und wehe es sind nicht 1er sondern 1000nde...



      -Behandeln mit was? Das sind Bäume, die funktionieren, anders als Herr Wohlleben es glaubhaft zu machen versucht, wirklich ganz anders als Menschen!



      -1 Käfer schädigt den Baum kaum nachweisbar. 100 sicherlich auch noch absolut tolerabel. Und wenns kritisch wird, brauchst auch nix mehr bekämpfen. Das Thema ist dann durch!



      -->Eine Zero Covid Strategie ist NICHT auf die Natur und seine Ökosysteme übertragbar!



      Klingt für mich einfach nach "Juhu, wir speichern den Kohlenstoff untertage, am besten neben dem ganzen Atommüll. Alles ein Abwasch und wir können fleißig weiter verbrennen." Einfach NEIN!



      Entschulden Sie, dass mir diese technokratisch tollen Ideen einfach nur noch tierisch auf die Nerven gehen. Es gilt das Motto: Shit in, shit out. Nichts, einfach gar nichts ersetzt gesunden, resilienten Mischwald. Und nein, ich bin gewiss nicht der Meinung, dass die Natur das zu unseren Gunsten selbst regelt. Ja, macht sie, aber das wird noch länger dauern als dass wir hier CO2 Neutralität haben. Wir müssen da schon ein bisschen nachhelfen. Aber verflucht nochmal, machts gleich richtig. Schaut über den Tellerrand, schaut euch andere Länder, andere Ökosysteme an und habt vielleicht mal den Mut über Fichte Buche Kiefer hinaus zu denken. Stichwort Douglasie, Berg Ahorn, Tulpenbaum usw usf.

  • Die Diskussion ist beinahe identisch zur der, die Mitte der 1990er um den Bayerischen Wald, besonders das Lusengebiet, geführt wurde.



    Ebenso was gemacht wird:



    Totholz stehen lassen, Schutzstreifen zwischen Wald und Baumplantagen. Sieht ein paar Jahre furchtbar aus, aber funktioniert.

    • @Limonadengrundstoff:

      Ja, ist "witzig", dass die Erkenntnisse aus dem Bayerischen Wald offenbar im Harz keine Effekte haben. Seltsam auch deshalb, weil ja die Uni Göttingen ihre Ökosystemforschung nicht zuletzt im Harz betreibt.

  • Man kann das auch anders sehen weil der Borkenkäfer auch sehr künstlerisch begabt ist. Nur haben das



    die Menschen noch nicht begriffen. Es wäre ein Hype wenn Möbel mit Borkenkäferfrass zum Trend wird.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @HAHABerlin:

      Nur mal freundlich so angemerkt: Borkenkäfer leben im Bast zwischen Holz und Borke. Nicht zu verwechseln mit Holzböcken, die im Holz knabbern.



      Der Bas ist die Leitungsbahn für den Saft aus der Krone zum Stamm, er leitet die Assimilate von den Nadeln/Blättern in die Wachstumszone, wo das Holz nach innen und die Rinde/Borke nach außen gebildet werden. Da legt die Käferin die Eier ab, die Larven/Maden schlüpfen und fressen sich durch den veganen Speck. Die Frassgänge verursachen Unterbrechungen in den Saftleitungsbahnen und der Baum verhungert ....

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Nachtrag: Genauer fressen rindenbrütende Käfer knapp oberhalb des Splints, dh. ziehen sie ihre Bahnen auch oberflächlich durch den Holzkörper. Sehr schöne Fraßbilder findet man nicht nur an Fichte sondern auch häufig an Esche.



        Da jedoch im Möbel und Holzbau idR der Splint nicht geeignet ist, ist fraglich ob sich solche Möbel im großen Stil durchsetzen. Die einzelne Manufaktur würde da eher Akzente setzen können.

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Dann, mit Verlaub, bitte richtig anmerken: Im Grunde richtig, jedoch ist nach neueren Erkenntnissen nicht von einem "verhungern" des Baumes durch zerstörtes Phloem auszugehen. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass rindenbrütende Käfer Pilze in den Splint einbringen und dieser gemäß seinem üblichen Mechanismus reagiert, nämlich mit Vertüpfelung, sprich dem Verschluss von Leitungsbahnen. Der Baum vertrocknet innerhalb kürzester Zeit.

  • Ein winziger Hoffnungsschimmer. Aber anderswo will man die Regeln für Nationalparks längst abschwächen, um diese Waldgebiete wieder mehr "nutzen" zu können. Angefeuert - im wahrsten Sinne - auch von denen, die sie der "thermischen Verwertung" zuführen wollen. Auch auf das Totholz richten sich nach wie vor begehrliche Blicke. Als wäre alles, was der Mensch nicht aktiv nutzt, verschwendet. Wie im Garten nebenan, begreifen erst Wenige, dass der Segen oft nicht im Handeln, sondern im Unterlassen liegt. Die Natur bräuchte vor allem eines: Ruhe vor den Menschen.

  • Interessanter Artikel, so habe ich das noch nicht gesehen. Mit dieser Darstellung kann ich mich sehr einverstanden erklären.

    • @Leningrad:

      Das freut mich sehr! Wenn man im Harz für Verständnis wirbt oder erklärt was da passiert, stößt man leider nicht zu selten auf taube Ohren was dann mit einem fusseligen Mund endet...