Bommi Baumanns Buch „Wie alles anfing“: Das gehört in den Lesekanon
Der Erfahrungsbericht des Ex-Terroristen Bommi Baumann von 1979 ist ein lausig geschriebenes Buch. Trotzdem bleibt es bis heute hochinteressant.
Die 68er-Revolution war gescheitert, zumindest als Revolution gescheitert – dass sie die bundesdeutsche Gesellschaft in fast allen Belangen grundlegend reformiert, liberalisiert hat, konnte man bei Erscheinen dieses Buches noch gar nicht überblicken.
Michael „Bommi“ Baumann setzt den allgemeinen Auflösungserscheinungen 1979 mit „Wie alles anfing“ einen persönlichen Rechenschaftsbericht entgegen. Baumann beschreibt, wie aus dem frustrierten, an den deutschen Verhältnissen leidenden Betonbauer der Staatsfeind, der gesuchte Bombenleger der Bewegung 2. Juni werden konnte. Angefixt von der amerikanischen Gegenkultur, vor allem vom Rock ’n’ Roll, steigt er aus, treibt sich eine Weile in der „Gammlerszene“ herum, lässt sich die Haare lang wachsen und stellt bald fest, was es in Deutschland heißt, ein Dropout zu sein.
„Die ham uns aus Kneipen rausgeschmissen, auf den Straßen angespuckt, beschimpft und sind hinterhergerannt, also du hast wirklich nur Trouble gehabt.“
Dieser naive, eher unpolitische, durchaus auch hedonistische Renegaten-Impuls bekommt eine Richtung, als er sich dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, anschließt und mit den Protagonisten der Kommune 1 in Berlin anfreundet, und wird forciert durch den Mord an Benno Ohnesorg, durch das Dutschke-Attentat, die Springer-Propaganda und die nun wie geölt laufende repressive Staatsmaschine.
Bei diesem Text handelt es sich um einen leicht angepassten Vorabdruck aus dem Buch „Das wilde Lesen“ von Frank Schäfer. Schäfer entwirft darin einen literarischen Gegenkanon. Neben Bommi Baumann widmet er sich u. a. Heino Jaeger, Jörg Fauser, Rolf Dieter Brinkmann, Silvia Bovenschen, Uli Becker, Bernward Vesper, Jörg Schröder, Ror Wolf, Otto Jägersberg, Harry Rowohlt, Wolfgang Welt, Fanny Müller, Studio Braun. „Das wilde Lesen“ erscheint am 1. Juni. edition kopfkiosk im Verlag Andreas Reiffer. Meine 2023, 240 Seiten, 16 Euro.
Steckbrieflich gesucht
Baumann, der Prolet, für den Gewalt immer schon eine mögliche Lösung war, schließt sich der „Wielandkommune“ an, der „ersten Keimzelle“ für die Stadtguerilla, und engagiert sich stark bei den umherschweifenden Haschrebellen, den deutschen Hippies. Das heißt Demos, Agitation in Undergroundblättern – und eben auch schon bewaffneter Kampf, also Bombenanschläge auf Richter, Staatsanwälte, Gefängnisdirektoren, das Amerikahaus in Berlin, auf Offiziersclubs der Army.
Baumann verteidigt sogar das fehlgeschlagene Attentat auf das jüdische Gemeindehaus durch die „Tupamaros Westberlin“ am 9. November 1969, obwohl er es nachträglich durchaus als taktischen Fehler einstuft: „Dass wieder Deutsche in der jüdischen Synagoge eine Bombe deponieren, das war nicht mehr zu vermitteln.“
Der mittlerweile steckbrieflich Gesuchte wird gefasst und wandert erst einmal für anderthalb Jahre in den Bau. Nach seiner Freilassung hat sich der Widerstand, aber auch die Reaktion der Exekutive weiter radikalisiert, nicht zuletzt durch die Gründung der RAF, der Roten Armee Fraktion.
Er taucht wieder ab und gründet mit Georg von Rauch, Till Meyer, Fritz Teufel, Inge Viett und anderen die Bewegung 2. Juni, die von der RAF bald als die „populistische Fraktion der Guerilla“ denunziert wird. Man verstand sich tatsächlich als eine Art Konkurrenzveranstaltung, als die lumpenproletarische Hippie-Alternative, eine „klandestine Zelle“, die als schnelle Eingreiftruppe die legale linke Basisarbeit unterstützen sollte.
Aber nach und nach kommen Baumann Zweifel, gar nicht mal an der Rechtmäßigkeit, sondern vor allem an der Funktionalität ihres Tuns. Und vor allem zerrt dieses Leben im Untergrund ganz gewaltig an den Nerven. Der Impuls, der seinen langsamen Rückzug aus der aktiven terroristischen Szene einleitet, ist die Reaktion der Genossen auf den Tod seines Freundes Georg von Rauch nach einer Schießerei mit einem Zivilpolizisten.
Die menschliche Seite
Hier scheint er erstmals zu bemerken, in was für einen illoyalen, emotional verbogenen Haufen sich seine Genossen verwandelt haben. „Du siehst dann, da wird der Tod von deinem Brother genauso hingenommen, wie ihn die Springer-Presse hinstellt. Niemand geht da noch von der menschlichen Seite heran, wie es in so einer Situation angebracht wäre. Höchstens, dass sie sagen, die Schweine, da müssen wir Rache üben, mehr ist nicht […] Das war die erste Geschichte, wo ich darüber nachgedacht habe, dass das Ganze langsam Formen annimmt, die nichts mehr mit den ursprünglichen Geschichten zu tun haben, weder etwas mit den Kommunegeschichten noch mit unseren Dropouts in den 60er Jahren noch mit dem Blues und den Haschrebellen, nichts mit den Drogenerfahrungen noch mit unseren sexuellen Erfahrungen, nichts mit der neuen Sensibilität und Zärtlichkeit und einem Verstehen, einem Eingehen auf den anderen, damit hat das alles nichts mehr zu tun.“
Baumann fehlt einfach der Spaß an der Sache, das durchgeknallte Hippietum, das die subversiven Anfänge ausgemacht hat. Unter dem Druck der Illegalität, noch einmal verstärkt durch die Fahndungserfolge der Polizei, setzt sich der gleiche Bierernst durch, dem er damals eigentlich entkommen wollte, die Kontakte untereinander waren nur mehr sachbezogen und instrumentalisiert, und nicht zuletzt leidet er mehr und mehr an der Trennung von der Basis, an der zunehmenden Verkapselung und Weltferne der Stadtguerilla.
Dieser proletarische Pragmatiker wusste mit den ideologischen Verstiegenheiten der studentischen Bürgerkinder ohnehin wenig anzufangen, deshalb kann er dieser Entwicklung vom solidarischen, miteinander kiffenden, vögelnden, debattierenden und manchmal auch mal bombenden Freundeskreis aus „Freak Brothers“ zu einer funktionalistischen Terrorfirma nichts abgewinnen.
„Wir haben es nie geschafft, die Sensibilität innerhalb der Gruppe zu halten, weil der Druck von außen dann doch so groß ist, daß er dich einholt. Darin liegt das ganze Scheitern der Guerilla in den Metropolen, weil man die neue Qualität nicht bewahren kann, als Gegner genauso wird wie der Apparat selber.“
Rückzug ins Private
Er konzediert das alles und erklärt es aus den besonderen Umständen der Untergrundarbeit. Gegenüber seinen Leuten bleibt er loyal. Sogar den Verrätern, seiner Freundin Hella etwa, die im Verhör zusammenbricht und ein paar Kombattanten ans Messer liefert, bringt er noch Sympathie und Verständnis entgegen. Das macht den Charme dieser Erinnerungen aus. Ein bisschen sollte das aber wohl auch die Reaktion auf den eigenen Rückzug moderieren, den die verbliebenen Guerilleros, das war Baumann klar, ebenfalls als Verrat deuten würden.
Baumann geht den Weg, den viele in der ersten Hälfte der 70er Jahre gehen, als sich die Stimmung wandelte, als sogar die linksliberalen Medien, die zunächst wohlwollend über die APO-Aktivitäten berichtet hatten, sich distanzierten und dementsprechend auch die Akzeptanz in der Öffentlichkeit mehr und mehr schwand. Es war die Phase der Desillusionierung, der depressiven Verhärtung, der Parzellierung, des K-Gruppen-Sektierertums und des Rückzugs – nach Poona, auf den Bauernhof, in die bürgerliche Karriere, ins Privatleben.
Auch Baumann zieht sich zurück ins Private, das auf einmal eminent politisch sein sollte und es ja tatsächlich immer schon war – man hatte es einfach nur aus den Augen verloren –, und setzte auf eine langfristige gesellschaftliche Reformation anstelle des revolutionären Umsturzes.
Pfund Haschisch aus Indien
„Wenn die Leute wegen der Umweltprobleme aufs Land gehen und da neue Sachen austüfteln oder auch die Leute, die nach Indien gehen und sich da mal mit so einem Guru ein halbes Jahr unter die Palme setzen, die bringen auch gute Sachen mit rüber, andere Prozesse […] Man muß es als gesamte Geschichte sehen … Jeder, der Erfahrungen macht und die umsetzt, leistet seinen Beitrag, auf welchem Level auch immer. Ob der eine im Kinderladen arbeitet, der andere mit der Knarre auf der Barrikade steht, der dritte ein Pfund Haschisch aus Indien mitbringt oder irgendein Mick Jagger so wild auf der Bühne tanzt, dass unten alle abfahren; alle sind an diesem Prozeß beteiligt.“
„Wie alles anfing“ hat keinen Stil. Das Buch ist lausig geschrieben und voller syntaktischer, orthografischer Fehler. Eine Interpunktion findet nicht statt. Baumann beherrscht nur einen Tonfall, diese quasi-mündliche, mit den damals kurrenten Phrasen und Theorieversatzstücken aufgebrezelte Berichtsdiktion. Es taugt – anders etwa als Bernward Vespers großer Romanessay „Die Reise“ – somit einzig und allein als Dokument einer Zeit, einer bestimmten zeitgemäßen Denkungsart. Und in ein paar Jahren – vielleicht heute schon? – wird man dieses Buch nur noch mit einem Fußnotenapparat und einem den Kontext erläuternden Vorwort verstehen können.
Es ist eine unordentliche, manchmal redundante, bisweilen verwirrte, aber hochinteressante und ganz einzigartige Beschreibung der Sozialisation eines Terroristen – und schließlich seiner Abkehr.
„Wie alles anfing“ war auch deshalb so einflussreich, weil die Kritik hier von einem verdienten Veteranen kommt. Und so aufschlussreich, weil hier nicht das unzufriedene, studierte Bürgersöhnchen seine Hinwendung zum Terrorismus bilanziert, sondern der arme, gebeutelte, unwissende, theoretisch ungebildete Prolet, der wirklich unter den repressiven kapitalistischen Bedingungen gelitten hatte, die alle anderen nur vom Hörensagen kannten. Es ist ein Buch, das man – wenn es mit rechten Dingen zuginge – längst als kleines gelbes Reclam-Heftchen kaufen könnte.
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