Böller-Aus und die Folgen: Schon wieder stille Nacht
Verkaufsverbot und Böllerverbotszonen sind für viele Menschen ein Segen. Dass sie der Umwelt dienen, ist eher eine urbane Legende.
Gerade beim Thema Feinstaub gilt: Das private Abbrennen von Pyrotechnik lässt zwar die Immissionen für ein paar Stunden durch die Decke gehen. Danach fallen die Werte aber so schnell wieder ab, dass oft nicht einmal der von der EU festgelegte Tagesgrenzwert überschritten wird.
Ablesen lässt sich das ganz konkret an den Daten des „Luftgütemessnetzes“, das die Senatsverwaltung für Umwelt betreibt. An einem Dutzend Messstellen, die unterschiedliche städtische Umgebungen wie Verkehrsachsen oder Wohnviertel repräsentieren, wird unter anderem stündlich die Menge an PM-10-Feinstaub in der Luft ermittelt. Diese winzigen Partikel mit einem „aerodynamischen Durchmesser“ von weniger als 10 Mikrometern (μm) dringen tief in die Lungen, teilweise sogar in die Blutbahn ein und verursachen oder begünstigen Erkrankungen.
Dabei gelten folgende Grenzwerte: Maximal 35-mal im Jahr darf das Tagesmittel bei mehr als 50 μg pro Kubikmeter Luft liegen, das Jahresmittel muss unter 40 µg/m3 bleiben. Letzterer Wert wird seit Jahren deutschlandweit eingehalten, und eine 35-Tage-Überschreitung gab es in Berlin zuletzt im Jahr 2016. In den Jahren 2019 und 2020 kam keine einzige Messstelle auch nur in die Nähe des kritischen Werts, im laufenden Jahr ist die Neuköllner Silbersteinstraße mit bislang 22 Tagen über 50 μg/m3 Spitzenreiter. Das ist ein Erfolg diverser Luftreinhaltungsmaßnahmen – vor zehn Jahren sah die Bilanz noch ganz anders aus.
An einer „normalen“ Silvesternacht wie 2018/19 macht die PM-10-Emissionskurven um Mitternacht herum einen gewaltigen Satz nach oben – der Feinstaubausstoß von Raketen, Knallern, Feuerrädern und Vulkanen ist so gewaltig, dass die Spitzen die Grafik nach oben durchstoßen und sich gar nicht mehr ablesen lassen. Aus der Datentabelle ergibt sich aber, dass die Werte an Hotspots sich bis um den Faktor 40 vervielfachen. Aber das hält nicht lange an: An der Frankfurter Allee etwa fiel 2018/19 die um 1 Uhr erreichte Feinstaubmenge von 816 μg bis 4 Uhr schon wieder auf 22 μg/m3. Die als besonders gefährlich eingestufte ultrafeine Fraktion („PM 2,5“) verhält sich dabei entsprechend.
Damals war die Frankfurter Allee dann auch die einzige Messstelle, die den 50-μg-Tageswert riss, an allen anderen blieben die Mengen unauffällig. Ein Jahr später meldeten vier Messstellen leichte Überschreitungen, im letzten Jahr dann gar keine. Da lagen die Feinstaub-Stundenspitzen coronabedingt aber auch schon deutlich tiefer und erreichten nirgendwo mehr als 260 μg/m3.
1 x nach Bonn = 20.000 Raketen
Auf solche Zahlen berufen sich natürlich auch die Pyrotechnik-Produzenten. Zudem hat ein Hersteller in Oberfranken anhand von Daten des Umweltbundesamts vorgerechnet, dass auch der CO2-Ausstoß des Silvesterfeuerwerks mit 0,0003 Prozent aller deutschen Kohlendioxidemissionen vernachlässigbar sei. Sein griffiger Vergleich: Bei einer einzigen Autofahrt von Bonn nach Berlin werde so viel CO2 in die Luft gepustet wie beim Abbrennen von 20.000 Raketen.
Der Verband der Pyrotechnischen Industrie (VPI), der die Branche mit 3.000 Beschäftigten in Deutschland jetzt vor dem endgültigen Aus sieht, will im Übrigen auch nicht an eine Überlastung der Krankenhäuser glauben, weil sich Menschen mit Feuerwerk verletzen. „Noch immer fehlen valide Daten, mit denen sich plausibilisieren ließe, dass ein signifikanter Teil der Verletzungen in der Silvesternacht durch zugelassenes Feuerwerk entsteht“, teilt der VPI etwas umständlich mit. „Für den deutschen Markt zugelassenes Silvesterfeuerwerk unterliegt strengen gesetzlichen Vorgaben, wodurch ernsthafte Verletzungen praktisch auszuschließen sind.“
Tatsächlich waren laut dem Vivantes-Konzern beim Jahreswechsel 2019/20 nur rund 5 Prozent der Notfälle in den Berliner Rettungsstellen einer Feuerwerksverletzung geschuldet. Ein weitaus häufigerer Grund, der mit dem Datum zu tun hat, sei der Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen. Für den VPI ist außerdem klar: Darf in Deutschland kein hier zugelassenes Feuerwerk verkauft werden (von kleinen Tischfontänen und Wunderkerzen einmal abgesehen), sickert massenweise Material aus dem benachbarten Ausland ein. Darunter auch Pyrotechnik einer Gefährdungsklasse, die hier gar nicht frei erhältlich wäre und tatsächlich für schlimme Verletzungen sorgen könne.
Theoretisch hat allerdings der Zoll ein Auge auf diesen Pyrotechnik-Import: „Das Verbringen von Feuerwerkskörpern aus anderen Mitgliedstaaten ist grundsätzlich nur zulässig“, wenn sie „von einer nach EU-Recht zugelassenen Prüfstelle konformitätsbewertet“ seien, teilt der Sprecher der Generalzolldirektion, Florian Richter, auf taz-Anfrage mit. Auch dürften „Feuerwerkskörper der Kategorie F3 und F4“ nur mit „besonderer behördlicher Erlaubnis“ eingeführt werden, für den Transport seien auch „gefahrgutrechtliche Vorschriften zu beachten“.
Hände weg von Fälschungen
Zuwiderhandlung sei strafbar, so Richter, auch für den Fall, dass die Kennzeichnung der im guten Glauben erworbenen Knaller gefälscht sei, und ebenfalls beim Bestellen über Onlineshops. Der Zoll unterstütze die Polizei bei der Überwachung der Einfuhr „explosionsgefährlicher Stoffe“. Wie die Berliner Polizei selbst die Lage in puncto Import einschätzt, wollte sie auf taz-Anfrage übrigens nicht mitteilen.
Trotzdem: Für sehr viele Menschen und Tiere ist das Ausbleiben des großen Knallens ein Segen – zumal es in Städten wie Berlin teilweise zur aggressivem Quasisportart geworden ist. Deshalb hat auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) die Bundesregierung aufgefordert, per Änderung der Sprengstoffverordnung „die archaische Böllerei ein für alle Mal zu beenden“. Die DUH setzt sich schon länger für ein grundsätzliches Verkaufsverbot ein. Geschäftsführer Jürgen Resch spricht nun von einer „Chance für neue Bräuche“, ihm schwebt sogar selbst der Verzicht auf organisierte Großfeuerwerke vor: Für die Zeit nach Corona empfehle er den Kommunen „kreative Licht- und Lasershows oder gar eine Drohnenshow“.
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