Biologin über Pandemien: „Auslöser sind Umweltveränderungen“
Die Corona-Pandemie wäre ohne den Menschen nicht entstanden, sagt die Biologin Simone Sommer. Naturschutz sei auch für unsere Gesundheit zentral.
taz: Frau Sommer, das weltweit Chaos auslösende Virus Sars-CoV-2 stammt offenbar von Fledermäusen. Diese gelten als besonders virenverseucht – warum?
Simone Sommer: Fledermäuse tragen oft Erreger, ohne selber krank zu werden. Viele Arten leben in Gruppen eng beieinander, sind langlebig und extrem mobil, kommen also mit vielen Krankheitserregern in Kontakt. Die Fledermäuse standen evolutionär unter hohem Selektionsdruck und haben ein sehr effizientes Immunsystem ausgebildet. All das macht sie zu perfekten Viren-Reservoirs.
52,leitet an der Universität Ulm das Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik.
Warum wäre es trotzdem falsch, in Wildtieren die Schuldigen zu suchen – und die aktuelle Pandemie als reines „Naturphänomen“ zu sehen?
Zunächst muss ich eine Lanze für Fledermäuse brechen: Sie sind sehr wichtig für die Ökosysteme und spielen beispielsweise bei der Pflanzenbestäubung eine große Rolle. Man sollte Wildtiere keinesfalls verteufeln. Außerdem wurde diese Übertragung erst durch den Menschen ermöglicht. Auf Märkten wie dem Huanan wet market in Wuhan treffen verschiedenste tote und lebendige Tiere aufeinander, wie es in der Natur nicht passieren würde. Wenn man illegalen Wildtierhandel und Bushmeat, also Fleisch von Tieren aus dem Regenwald oder Savannen, dauerhaft verbieten würde, wäre das ein wesentlicher Schritt.
Spielt auch die industrielle Tierzucht eine Rolle?
Es gibt im Zusammenhang mit der Massentierhaltung immer wieder Probleme mit Schweine- und Vogelgrippe. Bei Covid-19 aber ist es anders – selbst Pangoline, die als mögliche Zwischenwirte diskutiert werden, lassen sich meines Wissens kaum züchten, das sind alles Wildfänge. Die meisten zoonotischen, also zwischen Mensch und Tier übertragbaren Viruserkrankungen wie Ebola, Sars und Mers kommen von Wildtieren. Aber Menschen können auch Wildtiere infizieren, zum Beispiel mit Masern, die bei Menschenaffen meist tödlich verlaufen.
Wie Ihre Untersuchungen zeigen, gibt es einen Zusammenhang zwischen der Zerstörung von Ökosystemen, dem Verlust von Biodiversität und solchen neuartigen Krankheiten.
Ja, wir konnten anhand systematischer Untersuchungen von Fledermäusen und Nagetieren in Panama nachweisen, dass Umweltzerstörung die Infektionswahrscheinlichkeit von Wildtieren mit potenziell auch Menschen gefährdenden Krankheiten fördert. In intakten Ökosystemen leben viele unterschiedlich stark spezialisierte Tiere. Sie reagieren ganz unterschiedlich auf Veränderungen. Werden beispielsweise Wälder abgeholzt, sterben einige Arten aus, die Biodiversität sinkt dann meist. Andere können sich sehr gut anpassen. Derartige Generalisten besetzen frei gewordene Ökosystemnischen und werden häufiger.
Und kränker?
Erreger wie Viren sind zwar ein natürlicher Bestandteil von Ökosystemen – Tiere und Menschen sind in permanentem Kontakt mit ihnen. Sie mutieren ständig und lösen schon immer Erkrankungen aus. Aber sie breiten sich in intakten Lebensräumen nicht so flächendeckend aus, sondern bleiben eher in einer Nische. Man nennt das Verdünnungseffekt – die Krankheit stirbt dann wieder aus. In stark gestörten Ökosystemen mit geringer Biodiversität hingegen wird eine Epidemie wahrscheinlicher – und damit auch eine Mutation, durch die irgendwann mal plötzlich die Artgrenze überschritten wird. Viele Generalisten, also Tiere wie Ratte oder Sperling, kommen zudem gern in die Nähe menschlicher Behausungen – und in Kontakt mit Nutztieren und mit uns.
Menschen und Wildtiere haben doch schon immer Lebensräume geteilt, Wildtiere werden seit Langem gegessen. Was ist nun anders?
Traditionelle Jäger-und-Sammler-Gesellschaften gibt es kaum noch, das ist auch etwas völlig anderes als ein Markt in Wuhan. Bei früheren Übertragungen – über die wir nicht viel wissen – war die Wahrscheinlichkeit viel geringer, andere Gruppen anzustecken. Heute verbreiten sich Krankheiten durch Bevölkerungsdichte und Globalisierung viel schneller – das sieht man momentan. Neben unserer Forschung weisen auch andere Studien darauf hin, dass die Auslöser zunehmend menschengemachte Umweltveränderungen sind.
Intakte Natur und Artenvielfalt sind also ein Schutzpuffer gegen neue Krankheiten wie Covid-19.
Vereinfacht gesagt, ja. Durch den Verlust natürlicher Lebensräume und einhergehender drastischer Abnahmen der Populationen nimmt zudem die genetische Vielfalt ab. Wird eine Tierart selten, sinkt mit dem verringerten Genpool die Immunabwehr. Dabei spielt auch Stress eine Rolle.
Gestresste Wildtiere werden schneller krank?
Wie wir Menschen. Das zeigen unsere Untersuchungen von Nagern in Panama. In gestörten Habitaten gibt es mehr Generalisten, sie sind aggressiver und haben eine höhere Virenbelastung. Selbst die ruhigeren Weibchen beißen und infizieren sich häufiger.
Wie sind Sie bei der Forschung vorgegangen?
Wir haben die Vielfalt der Immungene und Krankheitserreger von Fledermäusen, Nagern und Beutlern aus drei unterschiedlich vom Menschen beeinflussten Landschaftstypen statistisch verglichen. Bei der Virenbestimmung arbeiten wir mit Christian Drosten von der Berliner Charité zusammen, der auch die Bundesregierung berät.
Wie viele gefährliche Viren schlummern noch in der Natur?
Die genaue Zahl weiß keiner, sie dürfte aber hoch sein. Allein an Coronaviren gibt es etliche. Sie existieren schon viel länger auf der Erde als alle höheren Lebewesen. Es werden weitere kommen.
Was können wir tun?
Neben der Vermeidung unnatürlicher Kontakte auf Tiermärkten sollten wir Rückzugsmöglichkeiten von Wildtieren und ihre Ökosysteme erhalten. Hoffen wir, dass bei den ganzen schlimmen Auswirkungen der aktuellen Krise eines klar wird: Arten-, Umwelt- und auch Klimaschutz brauchen einen höheren Stellenwert – auch im Interesse unserer Gesundheit.
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