Bildungssenatorin über Lehrkräftemangel: „Ohne Zusammenrücken geht's nicht“

Für bessere Ganztagsangebote braucht es tausende zusätzliche Fachkräfte. Schwierig, aber machbar, meint Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse.

Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse bei einer Pressekonferenz

Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD): den Ausbau der Ganztagsangebote im Blick Foto: Britta Pedersen/dpa

taz: Frau Busse, in diesem Jahr übernehmen Sie als Berliner Bildungssenatorin den Vorsitz der Kultus­minister*innenkonferenz. Jede Präsidentschaft steht unter einem Motto, Ihres ist die „gute Ganztagsgrundschule“. Gibt es nicht drängendere Probleme – zum Beispiel den bundesweiten Fachkräftemangel?

Astrid-Sabine Busse: Das ist so eine defizitäre Sichtweise, die man hierzulande leider oft antrifft. Selbstverständlich wird es in der KMK weiterhin um Strategien zur Bewältigung des Fachkräftemangels gehen. Mir geht es um konkrete Verbesserungen und darum, Kinder und Familien zu unterstützen. Welches Thema könnte dazu geeigneter sein als der Ganztag?

Prognosen gehen davon aus, dass es bis 2035 75.000 zusätzliche Lehrkräfte braucht, um ein gutes Ganztagsangebot zu schaffen. Ihr Thema ist also doch der Fachkräftemangel!

65 Jahre, ist seit Dezember 2021 in einer rot-grün-roten Koalition Senatorin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin. Die SPD-Politikerin und gebürtige Berlinerin war zuvor langjährige Leiterin einer Neuköllner Grundschule mit Ganztagsbetrieb in sogenannter „herausfordernder Lage“.

Natürlich hängt das miteinander zusammen. In der guten Ganztagsgrundschule arbeiten ja nicht nur Lehrkräfte, da arbeiten auch Erzieherinnen und Erzieher, Schulsozialarbeiter und weitere Fachkräfte. Wir setzen in Berlin ja sehr bewusst auf multiprofessionelle Teams.

auch da gibt es einen Fachkräftemangel.

Also, Sie sagen jetzt: Ich setze mich gar nicht erst rein in den Zug, weil er ja eh nicht ankommt. Das halte ich für die falsche Herangehensweise. Wir werden, was den Fachkräftemangel angeht, noch zehn Jahre durchhalten müssen. Eltern haben ab 2026/27 bundesweit einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule, das haben Bund und Länder in einem breiten Abstimmungsprozess einhellig beschlossen. Daraus muss man jetzt das Beste machen. Kann sein, dass es in einigen Bundesländern erst mal nicht so viele Erzieherinnen und Erzieher gibt wie in Berlin. Aber Fachkräftemangel heißt ja auch: Wir müssen über jedes Elternteil froh sein, das berufstätig sein kann – auch weil es die Ganztagsgrundschule gibt. Zugleich möchte ich als Elternteil meine Kinder natürlich gut betreut wissen.

Der Ganztag als gleichstellungspolitisches Instrument: Kann Berlin da Vorbild sein?

Ja, Berlin kann da Vorbild sein. Ich bin als ehemaliges Mitglied des Ganztagsschulverbands viel durch die Republik gereist. Gerade im Südwesten gibt es noch einiges zu tun – dazu gehört, dass der Ganztag überhaupt als etwas Positives angesehen wird. Vor wenigen Jahren habe ich da noch den Satz gehört: Meine Frau muss nicht arbeiten gehen, unser Kind kommt mittags nach Hause.

In der Berliner Landespolitik gibt es die Forderung nach einem „Staatsvertrag Lehrkräftebildung“: verbindliche Zielzahlen für jedes Bundesland, damit man sich nicht länger gegenseitig die Uni-Absolvent*innen abjagt. Werden Sie den Vertrag vorantreiben?

Wir sind in Sachen Verbindlichkeit schon vorangekommen. Im Jahr 2020 gab es bereits die Ländervereinbarung zu den Ausbildungszielen in der Lehrkräftebildung. Diese müssen wir konsequent umsetzen, das ist mir als KMK-Präsidentin ein zentrales Anliegen. Ein Staatsvertrag wird aber ein sehr langer Prozess. Es sind 16 Länder, das muss durch die jeweiligen Parlamente. Bis dahin ist meine Präsidentschaft und wohl auch die meiner Nachfolgerin definitiv vorbei. Lange Wege und Herausforderungen werden uns aber nicht abhalten, sollte der Staatsvertrag sich als Mittel der Wahl entpuppen. Neben der Verbindlichkeit ist auch Folgendes zu bedenken: Es muss genügend junge Menschen geben, die überhaupt Lehramt studieren wollen.

Ihre Vorgängerin im Amt, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU), hat sich offen dafür ausgesprochen, das föderale Bildungssystem infrage zu stellen: mehr Zentralismus durch den Bund. Wo stehen Sie in der Debatte?

Infrage stellen kann man vieles. Beim Föderalismus halte ich es mit dem Motto „Stark durch Vielfalt“, das war schon mein Motto als Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz. Und es gibt ja durchaus mehr Einigkeit: Die KMK hat sich bereits vor zwei Jahren auf verbindliche Bildungsstandards in Mathematik und Deutsch im Grundschulbereich geeinigt. Die sollen dann von Schleswig-Holstein bis Bayern gelten.

Das ist ein Detail.

Nein, das ist ein ganz wichtiger Schritt hin zu mehr Verbindlichkeit und Vergleichbarkeit im deutschen Bildungswesen! Und als KMK sind wir dabei, so etwas auch für die Sekundarstufe I und das Abitur zu entwickeln. Natürlich will ich jetzt keine Wolkenkuckucksheime bauen. Das bringt uns nicht weiter. Mit dem Lehrkräftemangel werden wir uns auch noch gut zehn Jahre konfrontiert sehen, und wir müssen intensiv prüfen, welche Optio­nen wir haben, um mehr Menschen ins System zu holen: von Pensionären, die man weiterbeschäftigt, bis zur vereinfachten Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen, wie wir sie in Berlin gerade umgesetzt haben.

Das Gremium Die Ständige Konferenz der Kultusminister*innen, kurz KMK, ist ein freiwilliger Zusammenschluss der Bil­dungs­mi­nis­te­r*in­nen der Länder. Die KMK trifft sich mehrmals im Jahr. Ihre Beschlüsse sind nicht bindend. Sie müssen von den jeweiligen Ländern in Rechtsbeschlüsse übersetzt werden.

Der Vorsitz Die Präsidentschaft wechselt turnusmäßig jedes Jahr zwischen den Ländern. Berlin übernimmt am 16. Januar. Busses Schwerpunktthema ist die „Qualitative Weiterentwicklung der Ganztagsschule in der Primarstufe“. Weitere Schwerpunkte sollen die Pandemie und die Herausforderungen des Ukraine­kriegs für das Schulsystem sein. (akl)

Letzteres wäre noch ein wichtiges Detail, das man bundeseinheitlich regeln könnte.

Ja, das wäre wichtig. Wir haben aus der Ukraine einige Lehrkräfte eingestellt, die jetzt in den Willkommensklassen arbeiten, teilweise als Seiten- und Quereinsteigerinnen. Die müssen nun sinnvoll weiterqualifiziert werden.

Der Krieg könnte noch lange dauern. Da geht es nicht nur um Willkommensklassen, sondern um langfristige Integration. Was ist mit einem Sondertopf im Bund für die Schulen – ähnlich wie beim Programm „Stark trotz Corona“?

An der Stelle kurz mal stopp, bitte. Bevor wir wieder darüber reden, wo wir überall hinwollen: Es ist eine wahnsinnige Leistung der Länder gewesen, die ukrainischen Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, ohne dass es groß geknirscht hätte. Allein in Berlin sind bisher über 7.200 Kinder in die Schulen integriert worden, einfach so, ohne Gemurre. Diese unglaubliche Solidarität, die wird gar nicht so richtig gesehen. Klar ist aber auch: Ohne Einschränkungen, ohne Zusammenrücken wird es nicht gehen. Es wird halt enger.

Ist die Pandemie aus Schulsicht abgehakt?

Gerade was die psychosozialen Folgen angeht, sind wir mit den Erkenntnissen noch ganz am Anfang. Unter anderem deshalb wird es mit dem Startchancen-Programm des Bundes ein großes Investitionsvorhaben geben, das insbesondere denjenigen Schülerinnen und Schülern zugutekommen soll, bei denen die Pandemie große Lücken hinterlassen hat. Und 95 Prozent der Mittel aus unserem „Stark trotz Corona“-Programm zur Lernförderung sind bereits gebunden oder verausgabt. Das sollte schon wirken.

Bundesmittel auszugeben ist oft schwierig, weil bürokratisch. Bräuchte es nicht eine grundsätzliche Lösung, wie eine Investitionsquote für Bildung?

Vieles ist möglich. Aber ich glaube, ich habe bereits viel mit dem zu tun, was ich mir vorgenommen habe. Man darf sich da ja auch nicht verzetteln.

Dann noch mal konkret: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem schlechten Abschneiden der vierten Klassen in Deutsch und Mathe bei der IQB-Länderstudie im Herbst? Einige Ex­per­t*in­nen sprachen von einem zweiten Pisa-Schock.

Die Ergebnisse haben mich überhaupt nicht überrascht. Ich sage: Die frühkindliche Bildung ist das A und O. Ob ich erfolgreich in Mathe bin, entscheidet sich schon in der Kita. Vorlesen ist wichtig, übrigens in jeder Sprache, das muss nicht auf Deutsch passieren. Eltern und Erziehungsberechtigte sind da unsere wichtigsten Partner.

Wie erreicht man die Kinder, die vor der Einschulung gar nicht erst in der Kita oder einer Sprachförderung ankommen?

Da könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass wir in den Ländern ein gemeinsames Vorgehen verabreden. Dass man sagt: Wenn die Kinder mit drei Jahren bei der Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt auffällig sind beim Spracherwerb, ist eine besondere Sprachförderung zum Beispiel in der Kita wichtig. Und mit viereinhalb Jahren schaut man dann noch mal bei einem verbindlichen Sprachtest genauer hin. Dann ist nämlich immer noch Zeit bis zur Einschulung. Die Sprachstandsfeststellung ist ein wichtiges Element zur Sicherung der sprachlichen Grundbildung.

Haben Sie Rückhalt für diese Idee in der KMK?

Ich denke, meine Kolleginnen und Kollegen stehen dem aufgeschlossen gegenüber.

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