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Bildungspolitik am ImbissWürstchen, Worte, Wirklichkeit: Wer ist hier Migrant?

Während Politiker über Migrantenquoten fantasieren, steht unser Autor im Kiez-Imbiss, umgeben von der Realität, die solchen Ideen längst entgleitet.

Ich esse, also sprech ich, also bin ich Foto: imago classic

A m Stehtisch bei meinem Lieblingsimbiss in meinem Kiez, in dem fast zwei Drittel der Menschen einen Migrationshintergrund hat, an einem Brennpunkt­imbiss also, staune ich über das, was ich da aus den Knöpfen im Ohr höre: Eine Migrationsquote sei ein mögliches Modell für Schulen, das habe Bundesbildungsministerin Karin Prien beim Grillen mit dem Chefredakteur der Zeitung Welt gesagt.

Mit dem Holzpieker steche in eine Scheibe Currywurst, schiebe ein paar Fritten mit der unverwechselbaren Mayonnaise nach und frage mich: Seit wann gehen Bundesministerinnen mit Journalisten grillen?

Worüber ich mich nicht wundere, ist, dass ich das Wort Migrantenobergrenze höre, und dieses Wort auch tagelang nach der Currywurst mit Pommes Rot-Weiß für mediale Furore sorgt. Obwohl die Bildungsministerin beim Grillen nicht einen eigenständigen Satz mit diesem Wort formuliert, sondern nur auf einen Grillmeister reagiert hat, der weiß, welche Würstchen sein Publikum am liebsten speist.

Am Stehtisch nebenan gönnt sich ein Mann ohne Migrationshintergrund eine Boulette, oder Köfte, wie man in meinem Kiez auch zu sagen pflegt. Ich bewundere die Verkäuferin, die seine Bestellung auf genuscheltem Berlinerisch auf Anhieb versteht. Dahinter läuft eine türkischstämmige Mutter mit Kindern zielsicher auf das Einkaufszentrum zu, die Kinder quengeln in vorbildhaftem Hochdeutsch.

Von irgendwoher erreicht arabische Musik die Currywurstbude. Kurz frage ich mich, wie mein Brennpunktkiez wohl aussähe, wenn die Migrantenobergrenze tatsächlich käme, vielleicht nicht nur an Schulen, sondern für das ganze Stadtviertel, wie es in Dänemark vorgesehen ist, worauf der kundige Grillmeister im Gespräch mit der Bildungsministerin verwiesen hat.

Dieser Gedanke kommt mir aber schnell vor wie aus einem Science-Fiction-Film, aus einer Fantasiewelt, nicht realisierbar und weit weg in einem Deutschland, in dem mehr als 40 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund hat. Ich denke an die Redewendung „Der Zug ist abgefahren“ und bin stolz auf mich. Weil ich als Migrantenkind zwar mittlerweile durchaus akzeptable Sprachkenntnisse vorweisen kann, das mit den deutschen Redewendungen aber immer noch eine Herausforderung bleibt.

Jan, Pia und Philipp oder Can, Cemile und Aylin

Dann frage ich mich, wen der Grillmeister und all die anderen Experten eigentlich meinen, wenn sie von Migrantenquote sprechen. Kinder, die kürzlich nach Deutschland gekommen sind? Kinder, deren Eltern eingewandert und die selbst in Deutschland geboren worden sind?

Oder doch Kinder, deren Großeltern vor noch viel längerer Zeit nach Deutschland gekommen sind, und die sich von Jan, Pia und Philipp heute nur noch dadurch unterscheiden, dass sie Can, Cemile und Aylin heißen?

Das scheint in dieser Debatte keiner so genau zu wissen. Das scheint in dieser Debatte auch keinen wirklich zu interessieren. Ist ja auch nicht so wichtig. Genauso unwichtig wie Fakten über Kinder ohne Migrationshintergrund, die ebenfalls Probleme mit der deutschen Sprache haben.

Oder der Umstand, dass nicht der Migrationshintergrund den Bildungserfolg eines Kindes bestimmt, sondern die sozialen Verhältnisse, in denen es aufwächst.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Bis April 2025 Redakteur im Ressort taz zwei: Gesellschaft & Medien. Seither Redakteur beim Deutschlandfunk Kultur. Schreibt für die taz die Kolumne "Postprolet".
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7 Kommentare

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  • tja, so einfach wie logisch.



    warum wurden nicht die gleichen logischen argumente von unserer bildungsministerin vorgebracht?

    • @the real günni:

      Sie war wahrscheinlich noch zu hungrig.

  • Ich bin immer ein wenig stolz, wenn ich durch meine Stadt gehe und Menschen aus aller Herren Länder sehe. Ein bunter Mix aus Kleidung, Hautfarben, Frisuren und Sprachen. Aber alle verbindet, dass sie in meiner Stadt leben. In anderen Städten oder auch im ländlichen Bereich bin ich immer etwas verwundert und merke erst später warum. Weil hier fast nur Weißnasen herumlaufen und das Sprachgewirr fehlt.



    Reise ich dann selbst in ein fernes Land, bin ich der Sonderbare. Aber mir fällt das nicht auf. Ob in Kairo oder Accra oder Tokyo, die Szenerie kommt mir nicht komisch vor, sondern seltsam vertraut.



    Ich habe nie verstanden, warum man Menschen nach ihrem Äußeren einteilt, statt nach "nett" und " weniger nett". Als gäbe es da Unterschiede in der Welt. Kann man auch sehr gut auf die sexuellen Präferenzen und cis/trans ausdehnen. Mir doch wurscht, wenn die Person nett ist.



    Warum denken manche Menschen nicht so? Ist mir ein Rätsel...

  • Nett gemeinter Artiekl .... allerdings gibt es in vielen westdeutschen Großstädten auch nicht mehr genügend rein deutschsprachige Kinder, um eine 40% Quote durchzusetzen oder wie soll diese Quote in Neukölln bzw. Moabit funktionieren, ähnlich Duisburg, Essen, Bochum. Sollen die dann alle in Viertel gekarrt werden, wo es mehr rein deutschsprachige Kinder gibt? Oder umgekehrt. Das eigentliche Problem besteht darin, dass es ohne eine deutschsprachige sprachliche Umgebung zu keinem entsprechenden Leseverständnis kommt und damit können in der Folgezeit keine adäquaten Lernergebnisse erzielt werden. Zum Verdeutlichen: als ich 1970 mit 5 Jahren infolge meiner russischsprachigen Mutter ohne jegliche Deutschkenntnisse nach Dresden kam, blieb mir nichts anderes übrig als mich in der rein deutschsprachigen Umgebung zurechtzufinden. Mit 9 hatte ich bereits keinen Akzent mehr. Was wäre wohl gewesen, wenn in meiner Klasse 80 Prozent Kinder gewesen wären, deren Muttersprache Russisch wäre. Deswegen denke ich mir, dass es sich der Autor zu einfach macht. Die sogenannten Brennpunktschulen sind keine Orte, an denen eine zukünftige Intelligenzija gebildet wird.

  • In Berlin hatte die Berliner Currywurst einen Fast-Food-Vorläufer: Die heiße Suppe von Aschinger.



    Suppenküchen stehen heute eher für Armut und Not, etwa im Gazastreifen, wo es sogar an Suppenküchen mangelt. Manch ein Spitzenkoch macht sich dennoch seine Gedanken, wie Suppe auch heute noch als zeitgemäß vollwertige Mahlzeit edel zubereitet werden und durchaus wertig schmecken kann.

    Gegen die Wurst konnte der Döner in Berlin erst nur durch Billigstangebote konkurrieren, mittlerweile gibt es landauf landab mancherorts sogar Dönerangebote "Berliner Art", und die Inflation machte zuletzt jeglichem "Döner-Dumping" den Garaus.

    Wenn aber mitten in Berlin die Currywurstbude "Brennpunktimbiß" sein soll, dann muss die Currywurst da ja ordentlich scharf sein ... ;-)

  • Danke für die klugen Gedanken!

  • Was für eine nette Glosse!

    Und im Grillmillieu zu bleiben:



    Die deutsche Bratwurst ist diesbezüglich wie immer nur halbgar. Da wird auf einem Strohfeuer gebrutzelt und wenn das Feuer erlischt, wird eben woanders gezündelt.



    Der gute Geschmack geht dabei leider verloren.