Bezahlkarte für Asylbewerber: Angeblich gar nicht abschreckend
Der Senat beschließt die Beteiligung an bundesweiter Ausschreibung für eine Asylbewerber-Bezahlkarte. Die Senatorin ist eingeknickt.
Am Dienstag nun beschloss der Senat, sich verbindlich am Vergabeverfahren der Bundesländer zur Einführung einer solchen Karte zu beteiligen. Und Kiziltepe sagt der taz: „Ich bleibe dabei: Den MPK-Beschluss, durch die Einführung einer Bezahlkarte Migrantinnen und Migranten abzuschrecken, habe ich nicht unterstützt und werde ich auch künftig nicht unterstützen.“
Abschreckung ist allerdings genau das, was mit der Karte bezweckt werden soll. Ihre Einführung sowie weitere migrationspolitische Maßnahmen nannte die MPK in ihren Beschluss „klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung“. FDP und CDU/CSU hatten die Karte und das Sachleistungsprinzip zuvor immer wieder als Mittel der Wahl gegen „zu viel“ Migration ins Feld geführt.
Gut für die Verwaltung
Kiziltepe betont nun, „der Senat verfolgt mit der Bezahlkarte nicht das Ziel, Zuwanderung zu steuern“. Man sei sich in der Koalition einig, „dass mit der Bezahlkarte kein Sachleistungsprinzip eingeführt wird, es also weiterhin möglich sein wird, Bargeld zu nutzen“. Zudem solle die Karte stigmatisierungsfrei sein. Zur Frage, was der Senat mit der Karte bezwecke, erklärt Kiziltepe: Wenn sie „die Arbeit der Berliner Verwaltung effektiver macht, unterstütze ich das“. Gemeint ist offenbar, dass das Landesflüchtlingsamt dann nicht mehr monatlich Bargeld an jene Asylbewerber auszahlen müsste, die kein Konto haben.
Wie die Bezahlkarte konkret aussehen soll, ob sie etwa in jedem Geschäft funktioniert wie eine EC-Karte, ob man damit Bargeld bekommt und sie für Überweisungen nutzen kann, ist völlig unklar. Laut MPK-Beschluss „sollte das System entsprechend der Rechtsprechung möglicherweise auch die Option enthalten, über einen klar begrenzten Teil des Leistungssatzes auch bar (Taschengeld) verfügen zu können.“
Nun soll der Informationsdienstleister Dataport die Ausschreibung für eine guthabenbasierte Karte vorbereiten. Laut Senatsbeschluss beteiligen sich mit Berlin bislang 14 Bundesländer an dem Vorhaben. Der Flüchtlingsrat hat die jährlichen Kosten für Berlin auf etwa 10 Millionen Euro geschätzt. Laut Tagesspiegel soll das Geld aus der Integrationsverwaltung kommen.
Dass es allein um Abschreckung geht, ist für Sina Stach vom Flüchtlingsrat offensichtlich. Man unterstelle Asylsuchenden, „wegen monetärer Anreize nach Deutschland zu kommen – das ist absurd“, sagt sie am Dienstag der taz. Niemand lasse sich wegen Bargeld auf eine oft gefährliche und dazu kostspielige Flucht ein. Darum werde die Karte auch nicht für weniger Migration sorgen, „sondern vielmehr zur Entwürdigung der Menschen beitragen“.
Kontrolle durch Beschränkung
Denn auch wenn bislang Details fehlen: Eine solche Karte biete grundsätzlich die technische Möglichkeit, „die Dispositions- und Handlungsfreiheit der Karteninhaber*innen massiv einzuschränken“, so Stach. Tatsächlich gibt es in diese Richtung schon Vorschläge: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwa will den Kauf von Alkohol mit der Karte nicht zulassen.
Dass es trotz Beteuerungen von SPD-Seite schnell in diese Richtung gehen kann, zeigt der Blick in die Vergangenheit. 1998 war Berlin, auch damals regierte Schwarz-Rot, bundesweit vorgeprescht und hatte eine „Chipkarte“ eingeführt. Damit konnten Asylbewerber nur in wenigen beteiligten Geschäften einkaufen, Discounter waren nicht darunter – und nur bestimmte Dinge wie Lebensmittel oder Haushaltswaren erlaubt. Rot-Rot schaffte die Karte 2002 wieder ab, in einzelnen CDU-Bezirken hielt sie sich länger, in Spandau als letztem Bezirk bis 2007.
Dass nun womöglich Ähnliches zurückkommen soll, nennt die für Migrationspolitik zuständige Linken-Abgeordnete Elif Eralp auf taz-Anfrage einen „Skandal“. Solche Karten seien stigmatisierend und mit „massivem bürokratischen Aufwand“ verbunden, weshalb sie Rot-Rot abgeschafft habe. Ihr Kollege Jian Omar von den Grünen sagt, der Senatsbeschluss sei ein „Armutszeugnis für Berlin“, das die Integration erschwere.
„Es ist eine irre Illusion, dass eine schlechte Behandlung dazu führt, dass weniger Menschen kommen“, so Omar zur taz. Die 10 Millionen jährliche Kosten sollten besser in Integrationsmaßnahmen investiert werden, „die das Ankommen von schutzsuchenden Menschen erleichtern und nachhaltig den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.“
Verfassungsrechtlich bedenklich
Andrea Kothen von Pro Asyl weist zudem darauf hin, dass „allein wegen dieses unverhohlenen Motivs der Abschreckung die Bezahlkarte auch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft“. Denn schon 2012 habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Würde des Menschen nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf. Auch für sie ist die Karte „reine Symbolpolitik mit beifallheischendem Blick auf die ressentimentgeladenen Teile der Bevölkerung“.
Allenfalls für die Anfangszeit, wenn Flüchtlinge gerade angekommen sind und noch kein Konto haben, könne eine solche Karte sinnvoll sein, so Kothen. Dazu müsse sie aber diskriminierungsfrei gestaltet, Barauszahlungen und Überweisungen uneingeschränkt möglich sein. So mache es etwa die Stadt Hannover, dort sei es auch möglich, statt der Karte ein Konto zu nutzen, erklärt die Expertin.
SPD-Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey sagte im Anschluss an die Senatssitzung, tatsächlich werde die Bezahlkarte „wie eine normale EC-Karte“ funktionieren. Zudem habe sich der Senat noch nicht verpflichtet, sie einzuführen, man nehme erst mal nur an der Ausschreibung teil. „Das ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, damit ist die SPD fein“, so Giffey.
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