Bewerbung auf das Oblomow-Stipendium: „Ich möchte mich stellen“

Die Hamburger Hochschule für bildende Künste hat ein Stipendium für Nichtstun ausgelobt. Unsere Autorin Yevgeniya Shcherbakova bewirbt sich hiermit.

Ein Mann liegt auf eiber Parkbank im Berliner Tiergarten.

Nicht immer einfach: Mensch auf Entzug von der Droge Arbeit Foto: dpa

Liebe Förder*innen des guten Lebens,

man könnte sagen, ich habe auf Ihre Ausschreibung gewartet! Ein 1.600-Euro-Stipendium der Hamburger Hochschule für bildende Künste fürs Nichtstun bietet mir endlich die Gelegenheit, wegzukommen von dieser Droge namens „Allestun“ mit den Begleiterscheinungen „Schneller-“ und „Bessertun.“

Mehrere Versuche sind bereits gescheitert: Yoga, Meditation, Laufen – alles, was mein Chef mir empfohlen hat, blieb erfolglos. Entgegen meiner Erwartung, haben sie mich der Work-Life-Balance nicht näher, sondern dazu gebracht, mehr zu tun.

1.600 Euro sind ein Ansporn, den ich bisher nur für Überstunden kannte

Wie bei meinen vorangegangen Entzügen stehe ich auch jetzt vor der Herausforderung, Nichtstun nicht als Überforderung zu empfinden. Denn je mehr ich daran denke, was ich alles nicht tun könnte, desto größer ist der Zwang, dieses vermeintliche Loch füllen zu müssen; wieder einen Zug zu nehmen, für den trügerischen Kick, der sich Anerkennung nennt, aber ins Burn-out führt.

Allein aus diesem Grund wäre es endlich an der Zeit, mich dem Nichtstun zu stellen. 1.600 Euro sind ein Ansporn, den ich bisher nur für Überstunden kannte. Was würde ich nicht alles nicht für dieses Geld tun, was ich vorher dafür tun musste!

Da ein solcher Entzug in vier Phasen abläuft und Sie mir mit dem Geld bereits die erste abgenommen haben, die Motivation, bleiben nur noch Entgiftung, Entwöhnung und Nachsorge.

Auf 24 Tage gerechnet, im Übrigen auch die maximale Dauer die ich aufbringen kann für dieses persönliche Experiment (mehr Urlaubstage bekomme ich von der Chefetage leider nicht genehmigt), würde ich damit beginnen, nicht immer Ja zu sagen. „Nein zu Drogen!“, würde ich dann auf alle Bitten meiner Vorgesetzten antworten. Vor allem im Urlaub fällt mir das schwer. In diesem Urlaub würde ich sogar aufhören, von Arbeit zu sprechen, sogar das Passivkonsumieren unterlassen, indem ich meine Freunde nicht mehr nach ihrer Arbeit ausfrage. Ich würde stattdessen so was fragen wie: „Und, wie war die Freizeit heute so?“

Beim Lesen würde ich nicht auf die Uhr schauen, mein Handy nicht auf Spaziergänge mitnehmen, ich würde nicht darauf warten, dass man mich auf Arbeit wieder braucht. Ich hätte kein schlechtes Gewissen, weil ich mich am Wochenende nicht zurückgemeldet habe. Ich würde mich nicht mehr über meine Arbeit definieren. Ich wäre mir nicht mehr unsicher, ob ich genug schaffe – oder bin. Ich würde all diese antrainierten Gefühle nicht mehr so stehen lassen.

Allein durch Ihre Ausschreibung haben Sie mich zu einer grausigeren Selbsterkenntnis gebracht als es das Spiegelbild bei Dorian Gray schaffte. Das macht mir aber umso deutlicher, wie wichtig Nachsorge ist: Jeden Monat 1.600 Euro, mindestens. Einfach so! Am besten per Gesetz, und zwar für alle. Das wär’s doch!

In Erwartung einer positiven Antwort

Yevgeniya Shcherbakova

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.