Bewegungstermine in Berlin: Allianz der Bedrohten gesucht
Die queere Szene streitet über Nahost, während sich faschistische Gewalt normalisiert. Die Antifa fragt sich, wie es nach rechten Erfolgen weitergeht.
E s war zu erwarten: Nachdem rund um den CSD vielerorts die andauernden Kriegsverbrechen der israelischen Armee in Palästina thematisiert wurden, hagelt es Kritik. Hämisch wird über „Queers for Palestine“ hergefallen, weil die Hamas bekanntlich queere Menschen verfolgt und tötet. Vorgeworfen wird den Aktivist:innen „Selbsthass“ (Berliner Zeitung), die Jungle World sprach kürzlich vom „queeren Stockholm-Syndrom“. In der taz wurde zustimmend Benjamin Netanjahu zitiert, der witzelte, „Queers for Palestine“, das sei doch nichts anderes als „Chickens for KFC“.
Es ist leicht, sich über „Queers for Palestine“ lustig zu machen. In Gaza werden Queers verfolgt, in Tel Aviv tanzen sie in Nachtclubs. Aber es stimmt nun mal auch, dass die israelische Armee in Gaza nun im zehnten Monat Palästinenser:innen in all ihrer Diversität tötet und ihre Lebensgrundlagen vernichtet. Man muss schon erschreckend blind für diese Gewalt sein, wenn man nun auf Israel als natürlichen Alliierten palästinensischer Queers verweist.
Offensichtlich setzt auch nur die Chance einer palästinensischen queeren Emanzipation das Ende von Krieg und Besatzung voraus. Sich gegen den Krieg zu engagieren, ist deshalb durchaus folgerichtig. Wenn aber auf den israelischen Staat als Ally der palästinensischen Queers verwiesen wird, suggeriert das, die IDF-Soldat:innen würden palästinensische Queers von ihren barbarischen Mitmenschen befreien. Genau dieses Narrativ kritisieren die „Queers for Palestine“ als Pinkwashing.
Und trotzdem stimmt es, wenn den „Queers for Palestine“ vorgeworfen wird, die antiqueere Gewalt des Islamismus zu vernachlässigen. Dass nicht für die bedingungslose queere Befreiung in allen Richtungen gekämpft wird, ist in der Tat fatal. Denn so wird keine Allianz der Betroffenen gegen jede Form des Faschismus aufgebaut. So werden jüdische Queers, die nicht exakt dieselben Positionen wie die Bewegung vertreten, ausgeschlossen. Das ist schlicht nicht akzeptabel. Doch die propalästinensische Bewegung hat sich derart in einer Radikalisierungsspirale verrannt, dass sie nur noch Freund und Feind kennt.
Winter is coming
In dieser Situation stehen viele Linke am Seitenrand, von der Einseitigkeit beider Seiten abgeschreckt, unfähig, sich irgendwo anzuschließen. Dabei wäre gerade heute eine Allianz aller Betroffenen gegen den Faschismus so wichtig. Auf der CSD-Hauptparade musste die Polizei Neonazis festsetzen, die sonst CSD-Teilnehmer:innen attackiert hätten. Bei Pride-Paraden an vielen anderen Orten gehört das inzwischen einfach dazu. Die faschistische Gewalt normalisiert sich. Sich in dieser Situation über Nahost zu streiten, ist absurd.
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Besser wäre es, es der Antifa gleichzutun und sich auf weitere rechte Landnahmen vorzubereiten. Unter dem Motto „Winter is coming – Linke Praxis unter rechter Macht“ haben „Prisma – IL Leipzig“ und die IL Berlin dazu Aktivist:innen aus Polen, Ungarn, Österreich und Italien eingeladen, die bereits Erfahrungen mit rechten Regierungsübernahmen sammeln mussten. Gemeinsam soll beraten werden, was zu tun ist, wenn das Schlimmste eintritt (Mittwoch, 31. 7., About Blank, Markgrafendamm 24c, 19 Uhr).
Sehr konkret ist diese Gefahr für Menschen in Ostdeutschland. Im September wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt. Die North East Antifa stellt sich in Bezug auf Brandenburg deshalb mit Antifas aus Falkensee, Königs Wusterhausen und Finsterwalde die Frage, was migrantische, linke und queere Strukturen nun zu befürchten haben. Die Strukturen aus Brandenburg stellen dabei ihre Arbeit vor und legen dar, welchen Support sie aus Berlin benötigen (Sonntag, 4. 8., Baiz, Schönhauser Allee 26a, 19 Uhr).
Fest steht: Im Falle einer rechten Regierungsübernahme dürften Repressionen gegen Linke noch zunehmen. Die sind allerdings bereits heute enorm. Beispiel Raum Leipzig: Hier soll es in den letzten 3,5 Jahren 80 Hausdurchsuchungen gegeben haben, zudem wurden Kameras und Observationen aufgedeckt. Eine Infoveranstaltung setzt sich mit dieser Repression am Beispiel des Antifas Benni auseinander, der wegen eines mutmaßlichen Brandsatz-Wurfs bis kürzlich ein halbes Jahr in U-Haft saß. Geplant ist auch eine Diskussion zur Militanz (Samstag, 3. 8., Kalabal!k Reichenberger Str. 63a, 19 Uhr).
Querdenken-Jahrestag
Eine Möglichkeit, die Toten in Gaza zu betrauern, bietet die stille Prozession der Grieving Doves, eine von Poesie, Musik und Kunst geprägte Inszenierung, die Raum für die Namen der Zehntausenden schaffen soll, die auch mit deutschen Waffen getötet wurden. Diese Namen werden auf den Flügeln der Künstler:innen und der riesigen Taube Filistine zu finden sein, die die familienfreundliche Prozession begleitet. Weiße Kleidung, Fahnen und Lichterketten sind willkommen (Samstag, 3. 8., Karl-Marx-Platz, 19 Uhr).
Anschließend findet in der Köpi ein Soli-Punkkonzert für Betroffene der polizeilichen Repressionen gegen Palästinasolidarität statt. Es spielen Zanjeer (Politischer Hardcore Punk, Deutschland), Krayat (Punk/Hardcore, Berlin), Teppebombe (Rawpunk, Oslo) und Molbo (Egg Punk, Oslo). Anschließend legt Dj Moppi Gallopi (Rita Riot) auf (Samstag, 3. 8., Köpenicker Straße 137, 22 Uhr).
Übrigens: Am Samstag (3. 8.) ist für die Querdenken-Bewegung der Jahrestag ihrer ersten großen Demonstration in Berlin 2020, weshalb die Reste der Szene zu einer nostalgischen Zusammenkunft aufrufen. Die Initiative Geradedenken organisiert mit einer Reihe anderer Gruppen eine Gegendemo gegen „Faschismus und sozialkalte Politik“, die um 13:45 Uhr auf der Herkulesbrücke startet. Die Antiverschwurbelte Aktion und die Omas gegen Rechts haben noch weitere Gegenproteste entlang der Route der selbsternannten Querdenker:innen angemeldet – eine Übersicht zum Protestgeschehen gibt es hier.
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