Bewegungsforscher über Ostermärsche: „Falsche Freunde im Boot“
Simon Teune erklärt, warum die Ostermärsche nach rechts offen sind, kaum noch eine Rolle spielen und es nicht geschafft haben, sich zu verjüngen.
taz am wochenende: Herr Teune, die Ostermärsche spielen kaum noch eine Rolle. In Frankfurt am Main gingen letztes Jahr rund 2.000, in Berlin gerade mal 1.000 Menschen auf die Straße. Rechnen Sie für dieses Jahr mit mehr TeilnehmerInnen? Schließlich dürfte die diplomatische Krise mit Russland viele beunruhigen.
Simon Teune: Das Thema allein führt nicht unbedingt dazu, dass mehr teilnehmen. Zwar ist das Mobilisierungspotenzial in der Bevölkerung bei friedenspolitischen Themen wie der aktuellen Russlandkrise recht hoch. Viele fühlen sich angesprochen, eine stabile Bevölkerungsmehrheit ist gegen kriegerische Außenpolitik. Zugleich muss man sich aber fragen, mit welchen Slogans, welchem Deutungsangebot man die Leute auf die Straße bringt. Da wird es in Sachen Frieden schnell kompliziert.
Ist Frieden nicht der einfachste Slogan überhaupt?
Natürlich ist niemand gegen Frieden. Aber wenn man genauer hinschaut, kommt man schnell in die Bredouille, sich in komplizierten Konflikten positionieren zu müssen. Die erste Generation, die die Ostermärsche organisierte, hatte selbst noch Kriegserfahrung, da war die Parole „Nie wieder Krieg!“. In den 1980er Jahren stand im Kalten Krieg nicht weniger als die Auslöschung der Menschheit auf der Tagesordnung. Da war es leichter, Stellung zu beziehen. Heute ist die Konfliktlage viel diffuser. Wenn man zum Beispiel sagt: „Kein Krieg gegen Russland“, läuft man Gefahr, die russische Außenpolitik reinzuwaschen.
Im diesjährigen Berliner Aufruf zu den Ostermärschen stehen die Slogans „Russland wird als Bedrohung aufgebaut“ oder „Die Nato steht an den Grenzen Russlands“. Ist das klassisch pazifistisch oder eher unhinterfragt russlandfreundlich?
Das zeigt genau, wie problematisch friedenspolitische Positionierungen geworden sind. Putin ist ja kein Friedensfürst. Die Rolle Russlands in Syrien und der Ukraine oder die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in vielen Ländern rücken aber in den Hintergrund. Friedenspolitische Positionen haben ihre Unschuld verloren: Sie tendieren dazu, sich in einem Konflikt auf eine Seite zu schlagen.
Wie kommt es, dass so viele prorussische AktivistInnen in der Friedensbewegung versammelt sind?
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Das ist eine Frage der Kompatibilität. Der Teil der Friedensbewegung, der die Ostermärsche organisiert, ist stark von einer Generation geprägt, die sich in den 80ern gegen die Politik der Nato positioniert hat. Da war recht klar, wo der Feind steht: Das waren die USA, im Zweifel auch Israel. Viele sind bis heute davon geprägt.
Es ist also eine Generationenfrage?
Mit allen Konsequenzen: Auch online sind die Ostermärsche kaum präsent. Da fehlen sowohl Leute, die das hätten vorantreiben können, als auch Multiplikatoren. Letztlich ist es ja nur ein Strang der Friedensbewegung, der zu den Ostermärschen besonders aktiv ist. Es gibt andere Teile, die zu den Märschen eher Abstand halten. Diejenigen zum Beispiel, für die Kurdistan oder Syrien im Vordergrund stehen, haben eher Probleme, an Ostern auf die Straße zu gehen.
Das Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland, NAV-DEM, ruft dieses Jahr allerdings zum ersten Mal zur Beteiligung an den Ostermärschen auf.
Simon Teune, 41, ist Co-Leiter des Bereichs „Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte“ an der TU Berlin und im Vorstand des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.
Es ist ja auch kein Ausschlusskriterium. Aber wenn es einem um Ghouta geht, ist die Aussicht darauf, dass neben mir einer ein Transparent hochhält, auf dem „Schützt Russland vor der Nato-Aggression“ steht, nicht sehr motivierend, wenn ich gleichzeitig weiß, was Russland so in Syrien treibt.
Die Ostermärsche werden dieses Jahr 60. Ihre Ursprünge liegen in frühen Atomkraftprotesten in Großbritannien, ihre besten Zeiten in Deutschland hatten sie um 1968 und in den 80ern zu Zeiten des Kalten Kriegs, als bis zu 300.000 Menschen auf die Straße gingen. Viele OrganisatorInnen gehören der ersten oder zweiten Generation an. Warum haben es die Märsche nicht geschafft, sich zu verjüngen?
Die Märsche haben gut funktioniert, als es mit dem Kalten Krieg eine Systemauseinandersetzung gab, die sich über Jahre verfestigt hat. Das Format ist aber ziemlich unflexibel, um aktuelle Ereignisse wie zum Beispiel Afrin auf die Tagesordnung zu setzen. Da muss man von der Bundesregierung von einem Tag auf den anderen eine Position verlangen und kann nicht jedes Jahr bis Ostern warten.
Es liegt an der Form?
Nicht nur. Der Erste Mai hat eine ähnliche Form, funktioniert aber trotzdem. Das ist zumindest in Hamburg und Berlin für viele Jüngere ein Pflichttermin, die Ostermärsche sind das eben nicht mehr. Es hätte mehrfach die Möglichkeit gegeben, die Märsche zu verjüngen: Gegen den zweiten Golfkrieg 1991 und den Irakkrieg 2003 haben viele aus dem Spektrum der Ostermärsche mobilisiert. Viele, die mit auf die Straße gegangen sind, waren SchülerInnen und StudentInnen. Die Konflikte wurden aber nicht innerhalb der Form der Ostermärsche ausgetragen, und es gab keine nachhaltige Integration der Generationen. Jetzt macht sich die demografische Lücke bemerkbar.
Jüngere, die angesprochen wurden, kamen neuerdings auch aus dem neurechten, politesoterischen und verschwörungstheoretischen Spektrum. Vor allem beim sogenannten Friedenswinter 2014/15, als mit Mahnwachen auf die Krimkrise reagiert wurde. Hängt das auch mit der Russlandfreundlichkeit zusammen?
Vom 30. März bis 2. April finden bundesweit Ostermärsche, Fahrradtouren, Wanderungen und Friedensfeste statt. Die Aktionen stehen traditionell in regionaler und lokaler Verantwortung, Das Netzwerk Friedenskooperative stellt eine Übersicht aller Veranstaltungen zur Verfügung unter: www.friedenskooperative.de.
Die alte Friedensbewegung hatte Probleme, sich gegenüber dieser „neuen Friedensbewegung“ zu positionieren. Die einen wollten kooperieren – auch, um sich zu verjüngen –, die anderen wollten gegen nach rechts offene Gruppen eine klare Kante. Diese Ambivalenz liegt auch daran, dass es in weiten Teilen der alten Friedensbewegung ein ungeklärtes Verhältnis zum Antiamerikanismus gibt. Da ist also die Schnittstelle zur Russlandfreundlichkeit, und dann wird’s mit links und rechts schon kompliziert.
Spielen Neurechte dieses Jahr bei den Ostermärschen eine Rolle?
Ich habe nicht gesehen, dass die neue Rechte die Ostermärsche in größerem Stil für sich entdeckt hätte. Um eine harte Auseinandersetzung kommen die OrganisatorInnen also noch mal herum. Aber das Grundproblem bleibt, dass schnell falsche Freunde im Boot sitzen, wenn man sich auf die Seite von Russland schlägt.
Welche Erfolge konnten die Ostermärsche in den 60 Jahren für sich verbuchen? Friedlicher ist die Welt nicht geworden.
60 Jahre Peace
Krieg und Frieden sind keine Themen, die an der Meinung der Bevölkerung ausgerichtet werden. Den Irakkrieg haben auch weltweit Millionen DemonstrantInnen nicht stoppen können. Erfolg kann man eher daran messen, dass Aufmerksamkeit auf bestimmte Konflikte gerichtet wird und Menschen sensibilisiert werden. Für den Einzelnen steht bei diesen Erfolgsaussichten eher eine moralische Frage im Vordergrund: Wenn ich die Möglichkeit habe, mich zu engagieren – tue ich es dann auch?
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