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Räumung im Bollerwagen Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Besetzung gegen BraunkohleEin Symbol weniger

Lützerath fällt. Seit dem Mittwoch­morgen ist die Polizei dabei, das besetzte Dorf zu entvölkern. Das Ortsschild ist schon verschwunden.

E in Mann hat sich mit einer Schutzbrille vor Augen in ein Autowrack begeben und sich dort angekettet – mit einem neben ihm auf dem Beifahrersitz liegenden Gullydeckel. Acht Polizisten arbeiten an ihm: Einer flext, einer leuchtet, einer sprüht Wasser aus einer Handpumpe, einer versucht mit einem Tuch, den Funkenflug vom Nacken des Angeketteten abzuhalten. Die anderen assistieren. Es dauert eine halbe Stunde, bis der Mann das Auto verlassen muss.

Wenige Meter entfernt werden Demonstranten unter einem Tripod einzeln weggeschleift, eine Frau dabei kopfüber über einen Zaun gehievt. „Keine Gewalt“, skandieren die friedfertig Sitzenden. Und immer wieder: „Du bist nicht allein.“

Seit Wochen war darüber gerätselt worden, wann denn die Räumung des besetzten Weilers Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier durch die Polizei beginnen würde – dort, wo der Energiekonzern RWE die Braunkohle unter dem Ort abbaggern möchte. Noch in dieser Woche, vermuteten die einen. Nein, erst nach der für das nächste Wochenende geplanten Großdemonstration, meinten die anderen.

Doch jetzt, an diesem regnerischen Mittwoch, ist die Polizei plötzlich da, sperrt die Zugänge und beginnt damit, ihrerseits das Dorf Lützerath zu besetzen. Das sind nur ein paar alte Häuser, Baumhütten, eine provisorische Kapelle und einige Hundert Menschen, die sich dort niedergelassen haben. Die wollen ausharren, und zwar so lange wie nur irgend möglich, um den von seinen ursprünglichen Bewohnern verlassenen Ort gegen die riesigen Schaufelradbagger zu verteidigen.

Doch am Ende des ersten Tags der Auseinandersetzung zwischen der Polizei und den Besetzern sieht es nicht danach aus, als könnte ihnen das gelingen. Eine Besetzerin sagt schon am Mittag geschockt: „Wenn das so weitergeht, ist am Samstag zur großen Demonstration alles weg.“

„Verlassen Sie diesen Ort“

Die Polizei ist am frühen Morgen angetreten und hat überraschend schnell die Häuser von Lützerath erreicht. Jetzt, am Mittag, schallen immer wieder ihre Durchsagen über Lautsprecher: „Verlassen Sie diesen Ort, dann hat das keine Konsequenzen“, heißt es da. Doch nur vereinzelt gehen Menschen. Eine kleine Gruppe wird in Marschformation von zwei Dutzend Polizisten umringt hinausgeführt. Die Gruppe marschiert ironisch mit und singt dabei widerständige Lieder.

Die Polizei scheint überall in dem kleinen Ortsgelände präsent zu sein, aber noch ist sie nicht in den Häusern selbst aufgetreten. Alle gut 30 Baumhäuser stehen am Mittag noch. Geräumt werden vorläufig nur die Menschen auf den Straßen und Wegen.

Am Rand von Lützerath am Mittwochmorgen Foto: Andrea Hirtz/imago

Da draußen steht David Dresen von der Gruppe „Alle Dörfer bleiben“. Er sagt: „Die Kohle unter Lützerath brauchen wir erst in sechs Jahren. Die grüne Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, hetzt Menschengruppen gegeneinander auf.“

Mittags hinter der Scheune des ehemaligen Gehöfts von Bauer Heukamp: Großer Jubel schallt von oben, wo Leute auf Scheunendächern und Tripods sitzen: Ein großer Bagger hat sich in einem Graben festgefahren. Er versucht Manöver aller Art, vor und zurück, mit der Baggerschaufel als Hebel – erfolglos.

Anderthalb Stunden dauert es, bis ihn ein noch viel größerer Bagger schiebend befreit. Daneben kommen die ersten polizeilichen Höheninterventionsteams zum Einsatz und arbeiten an einer Vorrichtung eines Bodenholzhauses und einer komplexen Seilkonstruktion. Am Nachmittag fallen die ersten selbst gebauten kleinen Holzhäuser auf Stelzen. Die Arbeit der Beamten wird von Umstehenden mit Schmährufen begleitet.

Im Bollerwagen geräumt

Auf der Straße werden Menschen nach draußen getragen oder im Bollerwagen aus Lützerath herausgefahren. Auch ein Mann im Eisbärenkostüm, der an der Mahnwache eben noch Kaffee ausgeschenkt hat, verlässt Lützerath waagerecht. Zwei kräftige Beamte tragen ihn.

Alles laufe „sehr effizient“, sagt die parlamentarische Beobachterin der Linken, die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler, „die Polizei hat offenbar aus Hambach 2018 gelernt“.

Oben bleiben. Aber wie lange? Foto: Oliver Berg/dpa

Noch ist es nur windig, aber frisch und schon jetzt tief vermatscht. Am Donnerstag sollen 40 Liter Regen fallen.

Währenddessen bauen Polizeikräfte an einem Zaun, der den ganzen Ort umschließen soll. Alle Zugangswege sind voller Sicherheitskräfte. Dresen sagt: „Ich bin empört, dass die Presse nicht rein darf. Dann können die ja unbeobachtet machen, was sie wollen.“ Dem ist allerdings nicht ganz so. Denn Hunderte Fotografen, Kameramenschen und Journalisten berichten von vor Ort. Allerdings ist der Zugang nach Lützerath am Mittwochmorgen auch für Vertreter der Presse eher eine Frage des Glücks. An dem einen Checkpoint pochen die Beamten auf ein striktes Zugangsverbot, an einem anderen geht man freundlich lächelnd und grüßend ohne Kontrolle einfach durch.

Eine Gruppe von Sanitätern des Roten Kreuzes berichtet, sie seien am Morgen im Ort gewesen und hätten Platzverweis bekommen. „Wenn es einen Notfall gibt, dann sollen die den Notruf wählen und Polizeikräfte würden sich kümmern. Das geht doch nicht. So was habe ich noch nie erlebt.“

Das Ortsschild fällt

Andrea Gerhards von der Mahnwache in Lützerath steht ratlos am Rand des Geschehens: „Ich bin für das alles zu sensibel“, sagt sie schluchzend, „das macht mich so fertig, überall plötzlich nur noch Polizeihundertschaften, wo du hinguckst.“ Eines hat sie noch vor: das Straßenschild „Weg der Radikalisierung“ hinausschaffen heute Abend. Das Haus der Geschichte NRW in Düsseldorf will das gerne haben.

Am Nachmittag ist auch das vielfach fotografierte Ortsschild von Lützerath mit den vielen Aufklebern rund um das große „Bleibt!“ wegrasiert. Dahinter steigt die erste Hebebühne auf zum Baumhaus an der Ecke.

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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich wohne in der Gegend. Der Kompromiss ist weit mehr als man vor 1-2 Jahren erwartet hätte.

    Die hysterische Aufregung finde ich albern.



    Klar kann man demonstrieren, und es braucht Symbole.

    Beschwerden gegen die Polizei halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für vollkommen unangemessen. Die machen ihren Job, und ich finde, es fallen erstaunlich wenig Späne...

    • @SehendenAuges:

      Es ist keine "hysterische Aufregung". Wie stark wird denn durch den "Kompromiss" an CO2-Emissionen eingespart? Wann und für welche Zwecke würde REW die Kohlemengen unter Lüzerath verstromen? Gibt es für die Energieversorgung Deutschlands dafür überhaupt einen Bedarf?



      Zu Ihrer Rechtfertigung - schließt die auch Polizeigewalt mit ein? - äußerte sich PIRATENPUNK ja bereits. Sehendenauges - vielleicht dann mal besser hinsehen ...

    • @SehendenAuges:

      Wenn uniformierte Hooligans



      - die Pressefreiheit einschränken



      - Menschen bedrohen ("Ich brech dir die Finger")



      - Leute kopfüber irgendwohin tragen



      - Amtshilfe leisten, die dazu führt, dass unser aller Lebensgrundlage weiter gefährdet wird,



      dann ist das nicht nur "die machen ihren Job".

      • @Piratenpunk:

        Sorry, alle Ihre vier Punkte sind, Stand jetzt, ein Witz! Machen Sie sich mal klar wer die Befehle gibt und wer Befehle ausführt. Und wie manchmal wer sich wo befindet und nicht im absolut senkrechten Sitz weggetragen werden kann.

        • @Tom Farmer:

          "Sorry, alle Ihre vier Punkte sind, Stand jetzt, ein Witz! "



          Nein, das sind sie nicht - leider. Zitat aus der TAZ:



          " Ich bin nicht vermummt und beteure, friedlich zu sein. „Ich kann dir auch gleich den Finger brechen!“, ruft einer der Polizisten.



          Nicht mal bei so einer polizeilichen Räumung kann ich aufhören, alles zu kommentieren. „Sie haben gehört, was ihr Kollege da zu mir gesagt hat?“, rufe ich zwei Polizisten draußen entgegen, die jetzt für mich zuständig sind. Das, was ich tue, sei passiver Widerstand, wechselt einer der Polizisten das Thema."[1]



          "Machen Sie sich mal klar wer die Befehle gibt und wer Befehle ausführt."



          Was wollen Sie damit sagen? Es sind Menschen mit autoritären Charakter? Mensch müsse wissen (hinnehmen?), dass die Polizei auch Repressionsfunktion hat?



          [1] taz.de/Tagebuch-au...erath-12/!5905242/

  • Gut gemacht an alle, und inkl. Perspektivwechsel: Auch die Polizisten machen da nur ihre Job!



    Somit: Ein Ereignis kompletten Politikversagens inkl. eines schmutzigen Deals mit RWE.

  • Das ist nicht das Ende.



    Mindestens 1.000 Grüne Mitglieder haben heute einen Offenen Brief an Habeck und Neubaur unterzeichnet: Tenor: Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben.

    Von Scientists for Future gibt es einen offenen Brief mit zahlreichen UnterzeichnerInnen für ein Moratorium gegen die Räumung:



    de.scientists4futu...luetzerath-presse/

    • @Anidni :

      Ein Brief? Ui!! Und dann noch so früh, wow! Ich schätze, die einen Grünen hoffen damit durchzukommen und, dass nicht allzu viel (Kohle)Schmutz an ihnen hängen bleibt und die anderen Grünen können, dann sagen: "ich habe immerhin einen Brief unterzeichnet!"

  • Danke für den Bericht und vor allem Danke an die mutigen Genossen, die das Richtige tun, auch wenn es nicht Rechtens ist. Haltet durch bis Samstag, Verstärkung naht. Die Symbolik und resultierende Bildwucht mit Greta und Gefolge in den Medien ist die Macht an die wir geschundenen uns klammern müssen.

  • "....Lützerath fällt. Seit dem Mittwoch­morgen ist die Polizei dabei, das besetzte Dorf zu entvölkern..... "

    Bei allen lexikalisch-semantischen Zusammensetzungen bzw. Ableitungen mit "Volk" fühle ich mich unwohl...

    entvölkern....



    Das klingt irgendwie befremdlich. Für mich klingt das recht ähnlich, der provozierenden Sprache bestimmter Politikerinnen...

    „Wenn es einen Notfall gibt, dann sollen die den Notruf wählen und Polizeikräfte würden sich kümmern. ..."

    Formal korrekt. Bei Notfall Notruf wählen. Abgesehen davon, hat die Polizei natürlich auch die Pflicht zur ersten Hilfe, ggf. auch ehemalige "Combat medics" ihn ihren Reihen und D-land hat kurze Wege, was die versorgung durch Notfallsanitäterinnen angeht.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Ein Symbol mehr! Polizeieinsätze gegen Klimaprotest kommen schneller voran als Klimaschutz. Juristisch ist alles in Ordnung. Auch Niedergang geht in Deutschland nur mit Einhaltung der Ordnung.

    • @31841 (Profil gelöscht):

      Ja, notfalls werden dafür noch Gesetze beschlossen, damit alles rechtens ist. Für die Kleinbürger*innen, die sich ans bloße Gesetz orientieren, reicht das.

  • Wenigstens zeigt dieser Horroreinsatz vor dem großen Regen in ein paar Tagen, wo die Räumung im Schlamm abgesoffen wäre, eins: Die RWE und die Wirtschaft hat so viel Angst vor der Umweltbewegung, dass sie die konservativen Gewinnler der CDU und die Angsthasen der Grünen dazu gebracht hat, diesen Rieseneinsatz zu organisieren.



    So gesehen ist Lützerath ein Sieg für die Bewegung, wenn auch ein extrem schmerzhafter.

  • Erschütternd. Danke für den Bericht.



    Chapeau allen bis zu letzt ausharrenden.



    Hoffe der 🎻 geht es soweit gut!



    Grüße dich! Bis bald mal wieder.



    &



    Bleib mir senkrecht.



    Mit Harry Rowohlt in memoriam:



    “Der Kampf geht weiter!“