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BerufsunfähigkeitsversicherungUnsolidarische Scheiße

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist unverzichtbar, heißt es. Doch für viele ist es gar nicht so einfach, solch eine abzuschließen.

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung bekommt man nur, wenn man gesund ist Foto: Manuel Geisser/imago

I ch werde bald 30, und um mich angemessen klischeemäßig zu verhalten, habe ich mir einen Punkt auf meiner To-do-Liste vorgenommen, der dort Monate rumgammelte: „Altersvorsorge“. In vielen Recherchen dazu bin ich dann bei einem weiteren Thema gelandet: der Berufsunfähigkeitsversicherung.

So eine hatte ich bisher auch nicht, aber die Verbraucherzentrale machte mir Panik: „Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist unverzichtbar für alle, die von Ihrem Einkommen leben“, steht auf ihrer Homepage. Da ich weder Immobilien vermiete noch ein Start-up gegründet habe, das ich bald verkaufen könnte, sehe ich keine andere Möglichkeit, als auch in Zukunft von meinem Einkommen zu leben.

Also fuhr ich erst mal zu einem Versicherungsvertreter und ließ mir von ihm BU-Angebote (ich war mittlerweile im Slang) geben. Seltsam wurde es, als er mich fragte: „Haben Sie eigentlich chronische Krankheiten? Oder mal, so, äh, Gesprächsstunden gemacht?“ Er meinte eine Psychotherapie. Ich las dann erst recht sehr viele Artikel und telefonierte mit einem Berater der Verbraucherzentrale, bis ich verstand: Diese Versicherung bekommt man nur, wenn man sehr gesund ist. Weil das Geschäftsmodell einer Versicherung eben darauf beruht, dass viele Leute einzahlen, aber nur wenige Geld bekommen. Und wenn die Leute nicht gesund sind, wenn sie die Versicherung abschließen, dann ist die Wahrscheinlichkeit aus Sicht des Versicherers hoch, dass das am Ende teuer wird.

Wer an einer Depression leidet, hat praktisch keine Chance

In meiner Recherche bin ich dann zu zwei Ergebnissen gekommen. Erstens: Auch wenn das sehr viel kostet, schließe ich so eine Versicherung ab. Zweitens: Was bitte ist das für eine unsolidarische Scheiße? Wer zum Beispiel eine Depression hat, und das wird bei Frauen doppelt so oft diagnostiziert wie bei Männern, der hat praktisch keine Chance, eine solche Versicherung zu bekommen. Das ist nicht das einzige Problem: Hausfrauen und Hausmänner können sich zwar auch vor Berufsunfähigkeit schützen, aber für sie gelten oft viele Einschränkungen.

Und: Wer im Büro sitzt, hat einen weniger gefährlichen Job als etwa ein:e Dach­de­cke­r:in und bezahlt deshalb weniger für die Versicherung. Die Beiträge richten sich nicht danach, wieviel wer verdient, sondern wie hoch das Gesundheitsrisiko ist und das ist bei vielen eher schlecht bezahlten Jobs höher.

Es gibt zwar andere Versicherungen, für schwer Erkrankte etwa. Und man kann, wenn man Vorerkrankungen hat, über einen Versicherungsberater eine anonymisierte Anfrage stellen, damit man nicht direkt bei mehreren Versicherungsanbietern rausfliegt, weil die eine gemeinsame „Wagnisdatei“ haben. Aber eine richtige Lösung gibt es nicht. Weshalb ich mittlerweile meinen Versicherungsschein bekommen habe, meine Freun­d:in­nen mit Depression aber wohl nie einen solchen haben werden. Früher gab es übrigens eine staatliche Berufsunfähigkeitsrente. Die wurde zum 31.12.2000 unter Rot-Grün abgeschafft.

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Susan Djahangard
Susan Djahangard arbeitet von Hamburg aus als freie Journalistin. Für die taz schreibt sie vor allem die Kolumne "Sie zahlt" über Feminismus, Geld und Wirtschaft.
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21 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Im Bereich der privaten Versicherungen gilt das Risikoäquivalenzprinzip - nicht das Solidarprinzip (der gesetzlichen Versicherungen)

    • @horsefeathers:

      ...und die vieldiskutierte Frage, ob die Versicherten oder die Aktionäre den Versicherungsunternemen wichtiger sind???



      Beide Gruppen müssen zufriegestellt werden. Die Versicherten dürfen nicht das Gefühl haben das "Schlachtschwein" (möglichst viele versicherte Beitrgszahler, möglichst wenig ausgezahlte Versicherungsleistungen in Form von Schadensregulierung) für die Aktionäre zu sein (Stichwort: Gewinnausschüttung).

      • @Thomas Brunst:

        Nö - so funktioniert das nicht -:)



        Wenn die Schadensregulierungen den Deckungsstock überschreiten, werden die Beiträge/Prämien entsprechend erhöht.



        Die Aktionäre und ihre Gewinnausschüttung wird davon idR nicht tangiert.

        • @horsefeathers:

          "...werden die Beiträge/Prämien entsprechend erhöht.

          Die Aktionäre und ihre Gewinnausschüttung wird davon idR nicht tangiert."

          Kaum anzunehmen. Höhere Prämien bedeuten weniger Verkauf, und das schlägt sich ganz sicher in den Gewinnen nieder.

          Ganz so einfach ist die Welt eben nicht.

      • @Thomas Brunst:

        "Die Versicherten dürfen nicht das Gefühl haben..."

        Das subsumiert allerdings eher unter dem Stichwort "Kundenzufriedenheit", und nicht unter "Solidarität". Letztere ist in einem privatwirtschaftlichen gewinnorientierten Unternehmen eher selten...

  • Diese "Unsolidarische Scheisse" (Berufsunfähigkeitsversicherung, kurz BU) ist noch viel komplizierter als man denkt. Ich möchte nicht Jura studieren (müssen) um rechtssicher eine solche Police abschlissen zu können.



    Es ist kein Zufall, dass diesbezügliche Probleme zu den Gesundheitsangaben ("vorvertragliche Anzeigepflicht") im Antrag seit Jahrzehnten bekannt sind und sich im Schadensfall oftmals negativ für die Versicherten auswirken. Gleiches gilt für Verweisungsklausel z. B. in "BU-Altverträgen".



    Will man hier die Berufstätigen schützen - und nicht den Versicherungsunternehmen die Kassen füllen - braucht es zum Schutz der Versicherten bessere Regeln.



    www.capital.de/gel...berufsunfaehigkeit

  • Als Autorin bekommen Sie relativ leicht eine BU. Aber wann tritt bei Autoren Berufsunfähigkeit ein? Selbst im Rollstuhl und blind und nur mit einem Finger können wir Autoren noch schreiben. Bei psychischen Krankkheiten vermutlich nicht mehr, aber dann gibt es Krankengeld. Sparen Sie das Geld und kaufen lieber davon ETFs. Mit kollegialen Grüßen.

  • Man *kann* eine private BU abschliessen, die Risiken tatsächlich absichert und im Schadensfall auch leistet.



    Die wird dann allerdings derart unglaublich teuer, dass vom Lohn/Gehalt nix übrig bleibt. Statt sein Geld der Versicherung zu geben, damit die am Aktienmarkt Geld verdient von dem man selbst mit größter Sicherheit niemals auch nur einen Cent sehen wird, ist es wesentlich sinnvoller, die eigene Kohle gleich in Aktien zu stecken, und wenn's nur 50 € im Monat sind. Der Dax stand 1991 irgendwo bei 1500 Punkten. Nur mal als Beispiel.

  • Die BU-Versicherung reiht sich nahtlos ein in den Kanon der angeblich ach so wichtigen Versicherungen wie



    - kapitalbildende Lebensversicherung



    - Riesterversicherung



    - Reisegepäckversicherung

    Aber wir sind ja mündige Bürger und wissen ja was wir da unterschreiben - genauso, wie wir wissen, wo das Kreuzchen auf dem Wahlschein hingehört - und wo nicht.

    • @Bolzkopf:

      "Die BU-Versicherung reiht sich nahtlos ein in den Kanon der angeblich ach so wichtigen Versicherungen wie..."

      Eine BU-Versicherung ist wichtig, wenn es zu einer Berufsunfähigkeit kommt. Sonst ist sie total überflüssig.



      Ganz einfach.

  • Zur “Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht“ (Leistungsablehnungsgrund d. Versicherer bei Schadensprüfung) in den Policen von Berufs-/ Dienstunfähigkeitsversicherungen empfahl die Verbraucherzentrale (VZ) Rheinland-Pfalz 1998 folgendes: Der Versicherer wird im Versicherungsantrag vom Versicherungsnehmer (Antragsteller) – vorsorglich - auf die mögliche Unvollständigkeit der Gesundheitsangaben hingewiesen. Zusatzvermerk des Antragstellers: “Die hier gemachten Angaben können unvollständig sein. Bitte fragen sie bei (behandelnde Ärzte/ Mediziner) nach, welche ihnen über meinen Gesundheitszustand Auskunft geben können.“



    Sollte der Versicherer - im Zuge einer Prüfung (Risikoabwägung) - den Policenantrag ablehnen, so ist es wahrscheinlich, dass er den Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers im Schadensfall (im Zuge einer späteren Leistungsprüfung) ebenfalls abgelehnt hätte. Neben der “Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht“ begründen die Versicherer ihre diesbezüglichen Leistungsablehnungen auch mit “arglistiger Täuschung“ (Stichworte: Kausalität & Beweisführung) des Versicherers bei Antragstellung.



    Das der vertragsaufnehmende Versicherungsagent – nach wie vor – als Berater und Verkäufer gleichermaßen auftritt, welcher ein starkes Interesse am Zustandekommen des Versicherungsvertrages hat (nur so fließt Geld für den Versicherungsagenten), sei hier nur am Rande erwähnt. Auch die “Auge & Ohr-Entscheidung“ des BGH dürfte in diesem Zusammenhang interessant sein: Was dem vertragsaufnehmenden Agenten vorgelegt und mitgeteilt wird, ist somit dem Versicherer vorgelegt und mitgeteilt worden. Der Versicherer kann also eine schlechte Beratung, mit gravierenden Folgen für den Versicherten, nicht einfach auf den Agenten abwälzen.



    Es wäre schön wenn die taz diese Problematik in einem gesonderten Artikel aufgreifen würde und die Empfehlung der VZ Rheinland-Pfalz ihren LeserInnen mitteilen würde. Die Artikelüberschrift finde ich sehr zutreffend!

  • Eine private BU ist doch zutiefts solidarisch und die Prüfung von Vorerkrankungen sichert diese Solidarität ab.

    Die Solidarität beschränkt sich halt auf die Gruppe der Versicherten. Ich würde mit meinen Beiträgen nicht die Risikofälle absichern wollen.

    • @DiMa:

      Solidarität nur mit denen, die ihrer nicht bedürfen, ist keine Solidarität.

      • @Stechpalme:

        Solidarität hat nichts mit grundsätzlicher Bedürftigkeit zu tun sondern drückt die Haltung und Verbundenheit einer Gruppe aus, deren Mitglieder sich füreinander einsetzen möchten. Daher kann eine Solidarität auch nicht erzwungen werden.

        Bei der BU zeigt sich die Bedürftigkeit ja gerade erst im Versicherungsfall.

  • Die private BU ist in der Tat eine unsolidarische privatisierte "Scheiße" zu Gunsten der Versicherungswirtschaft.



    Zum einen schließen sie bei Abschluss alles, war auch nur irgendein Risiko sein könnte aus. Zum anderen zeigen viele Beispiele, dass die Versicherungen im Eintrittsfall mit Zähnen und Klauen und dem berühmten Messer zwischen den Zähnen kämpfen, um nichts oder wenigstens so wenig wie auch nur möglich, zahlen zu müssen.

    Die Grünen haben zusammen mit den Roten in Ihrer Zeit der "Sozialreformen" 2000-2005 dieses Risiko den Versicherungskonzernen als Futter gegeben. Maschmeiers Hannover-Connection funktionierte einfach gut.

    Leider traut sich keine Partei dafür zu kämpfen, dass diese "Scheiße" wieder verbessert wird.

  • Viele mit einer Berufs-/ Dienstunfähigkeitsversicherung versicherten Versicherungsnehmer können sich nicht vorstellen, dass der Versicherer im Schadensfall die Leistungen verweigert, weil er z. B. die vorvertragliche Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer verletzt sieht. Die Schadensprüfungen der Versicherer haben auch immer das Ziel um die Leistungen herum zu kommen, diese gänzlich abzulehnen (Stichwort: Verweisungsklausen) - darin sind die Unternehmen sehr kreativ.



    Bereits vor 30 Jahren machte diesbezüglich der Begriff der "toten Verträge" die Runde, für die die Versicherten Beiträge zahlen, die aber im Schadensfall nicht das Papier wert sind, weil bei der Vertragsaufnahme "schlampig gearbeitet" wurde.



    Die Frankfurter Rundschau berichtete bereits häufiger über dieses Thema, welches auch Ulrike Herrmann nicht unbekannt sein dürfte. Mehrjährige Prozesse bei denen oftmals die Versicherten den Unternehmen unterlagen. Fast nie bekommen Versicherte i. V. m. Berufsunfähigkeitsversicherungen die Leistungen, welche ihnen in Hochglanz-Werbungen versprochen wurde.

    • @Thomas Brunst:

      Auf vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung können sich die Versicherer seit einem BGH-Urteil aus 2015 ((Az.: IV ZR 277/14) nur 10 Jahre nach Vertragsabschluss berufen.

    • @Thomas Brunst:

      Wie wahr wie wahr - und das Vertragsdickicht ist ja nicht umsonst ein Dickicht.

      Vllt würdes es etwas helfen wenn die Versicherung im Fall eines "toten Vertrags" alle Beiträge zurückzahlen müsste - den der Vertragsgegenstand war ja offenbar zu keiner Zeit vorhanden.

      Aber solange wir Menschen mit reichlich Dreck am Stecken sogar als Kanzlerkandidaten akzeptieren, müssen wir uns nicht wundern.

    • @Thomas Brunst:

      Genau diese Erfahrungen hat ein Kumpel von mir, er ist Handwerker und sitzt jetzt im Rolli, auch gemacht. Berufsunfähigkeitsversicherungen sind ein riesiger Beschiss. Lieber das Geld selber anlegen. Mein Tipp an die Autorin, SOFORT KÜNDIGEN!!!

  • Ach, nicht auf die Versicherungskonzerne schimpfen. Besser auf die, die hohe Löhne verhindern. .. Wenn sonst noch Schimpf-Potenzial vorhanden ist, dann bitte melden. Mir fallen noch ein paar Adressaten ein.

  • Wenn's nur um die Depression ginge...



    Die Wahrheit ist viel absurder: Wer mal in Therapie war, bekommt nur sehr schwer so eine Versicherung. Wer alles in sich rein frisst, bekommt ohne Probleme eine. Das ist sogar dann total bescheuert, wenn man die Sicht der Versicherer einnimmt. Und verhindert oder verschleppt notwendige Therapien.