Bernie Sanders schmeißt Kandidatur hin: Ein winziger Trost
Sanders hat es nicht vermocht, die AfroamerikanerInnen zu gewinnen. Aber er hat die Debatten verändert.
B ernie Sanders ist einfach zu gut für das Weiße Haus. Er war der ehrlichste, der unabhängigste, der mutigste Kandidat. Er war der einzige, der mit einem Programm antrat, an dem er sein ganzes Leben gearbeitet hat und dem er immer treu geblieben ist.
Der demokratische Sozialist war wie geschaffen für diesen Moment in der Geschichte des Imperiums. Er hat den Finger in die Wunden eines tief gespaltenen Landes voller Ungerechtigkeiten und Gewalt im Inneren und Äußeren gehalten. Und er hat realistische Auswege angeboten.
Neben Sanders wirken alle anderen PolitikerInnen der USA gleich. Während DemokratInnen und RepublikanerInnen immer weiter am Mythos arbeiten, die USA seien das beste aller Länder, ein Vorbild für den Rest des Planeten und ein Paradies des vertikalen Aufstiegs, in dem jedeR Teil der Middle Class werden könne, hält Sanders seinen Landsleuten den Spiegel vor.
Im scharfen Kontrast zu den jahrzehntelangen ideologischen Verblendungen hat Sanders die extremen Klassengegensätze in den USA zurück auf die Tagesordnung gebracht. Er hat eine Realität beschrieben, die das Leben der Mehrheit der US-AmerikanerInnen bestimmt und behindert: von stagnierenden Reallöhnen über Obdachlosigkeit, mangelnde medizinische Versorgung und unbezahlbar teuren Universitäten bis hin zu erdrückenden privaten Schuldenlasten. Und er hat die Ungerechtigkeit angeprangert, wonach eine winzige Gruppe von Reichen nicht nur ihre eigenen Geschäfte, sondern auch die politischen Geschicke des Landes bestimmen. Für die große Menge hat Sanders den Begriff der „99 Prozent“ geprägt. Die Minderheit der Mächtigen hat er „die Ein-Prozenter“ und „die Milliardärsklasse“ genannt.
Auch in der Außenpolitik, der Verortung der USA im internationalen Vergleich, ist Sanders anders. Er hat sich gegen die nationale Borniertheit und das Einheitsdenken von Jahrzehnten gestemmt und hat Fenster geöffnet. Er wagte es, die Sozialpolitik des kleinen Dänemark zu loben, an die von Washington organisierten militärischen Umstürze und Einmischungen zu erinnern und eine Stärkung der Diplomatie zu verlangen. Er war auch der einzige Kandidat, der von Israel Respekt für die Rechte der Palästinenser als Gegenleistung für die US-amerikanische Militärhilfe verlangte.
Sanders Sprache ist auf eine typisch US-amerikanische Art populistisch. Aber seine Politikvorschläge stammen aus dem Arsenal der Sozialdemokratie. Dazu gehören Löhne, von denen Beschäftigte leben können, Rechte am Arbeitsplatz, soziale Absicherungen und Krankenversicherungen für alle und ein Infrastrukturprogramm für eine neue Klimapolitik. Und natürlich forderte er auch eine Rückkehr der USA in internationale Verträge und Organisationen und eine Stärkung der UNO.
Mit einem Präsidenten Sanders hätte es Hoffnung auf Veränderung in den USA gegeben. Und ein paar Vorwahlen lang sah es tatsächlich so als, als wäre er der Favorit der Basis. Die Wende kam, als sich Anfang März das Establishment der Demokratischen Partei zusammenschloss, um den demokratischen Sozialisten zu verhindern. In einer Hauruckaktion Anfang März setzte die Partei Joe Biden als Kandidaten durch – einen Mann des Apparats, der alle Fehler der US-Politik der vergangenen Jahrzehnte mitgetragen hat.
Sanders hat es nicht geschafft, die afroamerikanische Basis zu gewinnen. Und er ist auch daran gescheitert, den älteren DemokratInnen die Angst vor einem demokratischen Sozialismus zu nehmen. Aber er hat es geschafft, die politische Debatte nachhaltig zu verändern und Joe Biden zu zwingen, zumindest Teile seines Programms zu übernehmen. Sanders hat zudem mehrere Gruppen von jungen Leuten, von Latinos und von GroßstädterInnen in die Politik geholt. Seine Präsidentschaftskandidatur ist gescheitert. Aber seine Bewegung lebt und wird weiter versuchen, die Politik zu verändern. Angesichts einer verpassten historischen Chance ist das ist immerhin ein kleiner Trost.
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