Berlins Linken-Chefin zur Wegner-Wahl: „Unverantwortlich von CDU und SPD“
Schwarz-Rot sei sehenden Auges ins Debakel gelaufen, sagt Katina Schubert: Allein die Möglichkeit, dass Wegner dank der AfD ins Amt kam, mache den Makel aus.
taz: Frau Schubert, vertrauen Sie der AfD?
Katina Schubert: Überhaupt nicht. Es kann gut sein, dass sie uns die Hucke voll lügen.
Warum glauben Sie dann, dass die AfD – wie sie in einer Erklärung vor dem dritten Wahlgang behauptet hat – Kai Wegner ins Amt des Regierenden Bürgermeisters gewählt hat?
Das Problem ist: Es besteht die Möglichkeit, dass es tatsächlich ihre Stimmen waren, die schließlich Kai Wegner ins Amt gebracht haben. Allein dieser Verdacht, diese Möglichkeit macht es eben schwierig.
Damit gehen Sie doch auf das Spiel der AfD ein.
Die schwarz-rote Koalition hat in den zwei ersten Wahlgängen deutlich die Mehrheit verfehlt, im ersten Wahlgang fehlten sogar mindestens 15 Stimmen aus den eigenen Reihen. Wenn man unter solchen Bedingungen in einen dritten Wahlgang geht, ist es nicht unwahrscheinlich, dass man sich auch Stimmen von Abgeordneten bedient, die nicht zu eigenen Koalition gehören. Allein diese Möglichkeit macht den Makel aus.
Dass die extrem rechte Partei mit Tricks versucht, das demokratische System zu destabilisieren, ist inzwischen bekannt. Springt nicht die Linke mit allen anderen, die jetzt Wegners Wahl als undemokratisch infrage stellen, über das Stöckchen der Partei? Ihre Fraktion hat nach der Wahl Wegners mit dem großen Schriftzug „Schande“ protestiert und das Bild gepostet.
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Es ist nicht das Stöckchen der AfD: Gelegt hat es die schwarz-rote Koalition, weil sie nicht dafür gesorgt haben, dass sie im ersten oder spätestens im zweiten Wahlgang Kai Wegner ins Amt wählt. Es ist unverantwortlich, was CDU und SPD gemacht haben. Sie sind sehenden Auges in eine Situation hineingelaufen, in der sie einfach das Prinzip Hoffnung haben walten lassen. Aber das geht nicht, wenn man eine Nazipartei im Parlament hat, die versucht, mit solchen Tricks die demokratischen Parteien auseinanderzutreiben.
Was wäre die Alternative gewesen?
Katina Schubert, 62, ist seit 2016 Landeschefin der Linkspartei in Berlin. Vor wenigen Tagen hat sie angekündigt, bei der Neuwahl der Parteispitze nicht mehr antreten zu wollen. Sie bleibt aber Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses
Wir hatten vor dem dritten Wahlgang den Antrag gestellt, die Abstimmung zu vertagen. Dann hätten beide Fraktionen Zeit gehabt, sich ihre eigene Mehrheit sicher zu organisieren.
Allerdings war Franziska Giffey zuvor schon als Regierende Bürgermeisterin zurückgetreten. Berlin hätte keine Regierung mehr gehabt. Und der Imageschaden für Wegner wäre massiv gewesen.
Giffey wäre geschäftsführend im Amt geblieben, wenn die Präsidentin des Abgeordnetenhauses sie darum gebeten hätte. Wir wären nicht regierungslos gewesen, sondern höchstens noch eine Woche ohne Kai Wegner. Aber das hätte Berlin verkraftet. Der Imageschaden ist jetzt auch da, der Koalition haftet von Anfang an ein Makel an.
Die CDU brüstet sich damit, mit der neuen Justizsenatorin Felor Badenberg Deutschlands wichtigste AfD-Jägerin als Senatorin aufgestellt haben. Ist diese Interpretation nach dem Wahldebakel infrage gestellt?
Ich zweifle nicht an der Glaubwürdigkeit von Frau Badenberg. Dafür gibt es keinen Anlass. Aber die Führung der CDU hat ein paar Dinge zu klären, und vor allem die der SPD. Diese Partei steht schließlich in einer großen antifaschistischen Tradition.
Wie stabil ist die schwarz-rote Koalition?
Ich habe den gestrigen Tag als wirklich schrecklich empfunden. Was sich da abgespielt hat, zeigt, dass diese Koalition auf tönernen Füßen steht, weil sie zwei instabile Fraktionen als Grundpfeiler hat.
Sie stellen auch die Unterstützung Wegners durch dessen eigene Fraktion infrage? Warum sollte sie das tun?
Laut Medienberichten geht Wegner doch selbst davon aus, dass es auch in seiner eigenen Fraktion Gegenstimmen gab. Daher scheint mir auch diese Fraktion nicht stabil zu sein. Ganz sicher gilt das für die SPD-Fraktion genauso wie für die Partei. Deren Vorsitzende sind nicht mehr in der Lage, die Partei hinter sich zu binden.
Damit ist auch eine Rückkehr zu einem rot-grün-roten Bündnis in den nächsten Monaten oder Jahren bis 2026 ausgeschlossen.
Ich gehe davon aus, dass diese Koalition jetzt vor sich hin wurschtelt und dass in dreieinhalb Jahren neu gewählt wird. Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh hat ja gestern mit Neuwahlen gedroht: Das halte ich für verantwortungslos. Die SPD kann doch nicht die Berliner*innen wählen lassen, bis ihr das Ergebnis passt – abgesehen davon, dass sie wohl kaum davon profitieren würde. Es ist jetzt die Verantwortung dieser Regierung, zusammenzukommen.
Die Regierung werde sich durchwurschteln – was heißt das für die Oppositionsarbeit?
Opposition können wir, das haben wir gelernt und in der Vergangenheit gezeigt. Wir werden jetzt erst mal in den Haushaltsberatungen unsere politischen Alternativen vorstellen und zur Debatte bringen. Und wir werden versuchen, dafür auch im stadtpolitischen Raum Unterstützung zu finden, um den Druck auf die Regierung sowohl außerparlamentarisch wie auch parlamentarisch so hoch wie möglich zu treiben. Wenn sie versucht, zum Beispiel im Bereich der Sozial-, der Arbeitsmarkt-, der Partizipations-, der Antidiskriminierungs-, der Justiz- und der Kulturpolitik wirkliche Errungenschaften von Rot-Grün-Rot zu schleifen, wird das auf Widerstand stoßen, nicht nur bei uns.
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