Berliner Justiz gegen Letzte Generation: Im Schnellverfahren
Klimaaktivisten sollen nun im beschleunigten Verfahren abgeurteilt werden. Dabei ist die Sachlage kompliziert. Kritiker befürchten „Sonderjustiz“.
Besetzt sind vorerst zwei Abteilungen – mit zwei jungen Richtern auf Probe. Bei Bedarf werden weitere Richter:innen abgeordnet. Dem Beschluss des Amtsgerichtspräsidiums vorausgegangen war eine Entscheidung der Berliner Staatsanwaltschaft, Klimaaktivist:innen im beschleunigten Verfahren anzuklagen.
Die Einrichtung von Richterstellen für beschleunigte Verfahren am Strafgericht ist neu. Üblich sind solch abgekürzten Verfahren bislang nur auf Antrag der Amtsanwaltschaft, die die Aufgaben eines Staatsanwalts in minder schweren Delikten wahrnimmt, etwa bei kleinen Diebstählen oder Beförderungserschleichung.
Davon abgesehen sind beschleunigte Verfahren unüblich, aber laut Strafprozessordnung möglich, „wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“. Durch vereinfachte Beweisregelungen soll damit eine schnelle Aburteilung ermöglicht werden.
Zwischen einer Straßenblockade und einer Gerichtsverhandlung könnten zukünftig also nur noch wenige Tage oder Wochen vergehen. Dafür müssten die Akten im Tagesrhythmus von der Polizei an die Staatsanwaltschaft und von dieser ans Gericht weitergeleitet werden. Die nun zuständigen Richter, bei denen alle neuen Fälle im Zusammenhang mit der Letzten Generation landen werden, entscheiden im Einzelfall, ob sie den Weg des beschleunigten Verfahrens wählen oder in einem normalen Strafverfahren verhandeln.
Form der „Sonderjustiz“
Die Rechtsprechung, für die bislang dutzende verschiedene Amtsrichter:innen zuständig waren – und entsprechend unterschiedliche Urteile sprachen –, wird sich damit auf zunächst zwei Richter verengen. Scharfe Kritik daran kommt vom Republikanischen Anwältinnenverein (RAV). Dessen Geschäftsführer Lukas Theune spricht von „einer Art Sondertribunal“ und einer „Form von Sonderjustiz“, die damit geschaffen werde. Theune weist daraufhin, dass das deutsche Grundgesetz aus historischen Gründen Ausnahmegerichte verbietet: „Nun werden solche aber in Berlin nur für die Fälle der Letzten Generation eingeführt.“
Dass es sich trotz der bei Straßenblockaden wiederkehrenden gleichen Vorwürfe um rechtlich schwierige Sachverhalte handelt, zeigen zwei jüngste Urteile höherer Berliner Gerichte. So hat das Landgericht den Vorwurf der Nötigung von Autofahrer:innen abgelehnt, da für sie „ein Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Einplanen von mehr Zeit (…) generell möglich“ sei. Die Letzte Generation kommentierte das Urteil in einer Pressemitteilung: „Die höhere Instanz hat geurteilt, dass unsere Straßenblockade gerechtfertigt ist. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Regierung sich mit uns an einen Tisch setzen sollte.“
Ebenso hatte das Kammergericht in einer Revision eine Verurteilung des Amtsgerichts wegen Nötigung aufgehoben und an eine andere Abteilung des Landgerichts zurücküberwiesen. Der Grund: die nicht ausreichende Beweisführung des Amtsgerichts. Das Geständnis des Angeklagten, sich an einer Blockade beteiligt zu haben, hebe nicht die Notwendigkeit für die Strafgerichte auf, „von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen“, heißt es in dem Beschluss. Dem erstinstanzlichen Urteil sei nicht zu entnehmen, auf welcher Beweisführung die Feststellung beruhte, dass die Blockade zu einem „Rückstau zahlreicher Fahrzeuge“ geführt habe.
Das Kammergericht stellt zudem grundsätzlich klar: Blockaden sind nicht generell als Nötigung zu werten, stattdessen müsse die „konkrete Ausprägung im Einzelfall festgestellt“ werden. Ob dies in Schnellverfahren passieren kann, muss dagegen bezweifelt werden. Rechtsanwalt Theune fehlt angesichts dieser Urteile von Land- und Kammergericht das Verständnis, die Verfahren nun mit maximalem Tempo durchzupeitschen. Dies sei eine „krasse Missachtung der obergerichtlichen Rechtsprechung“, sagt er. „Jeder Einzelfall erfordert eine genaue Aufklärung und Abwägung der widerstreitenden Grundrechte. Es sind offensichtlich keine Fälle, die sich für Schnellverfahren eignen.“
Frage nach politischer Einflussnahme
Die Berliner Staatsanwaltschaft antworte am Donnerstag nicht auf eine Anfrage der taz, wieso man glaube, künftig zu diesem Instrument greifen zu können. Auch die Justizverwaltung von Senatorin Felor Badenberg (parteilos) gab zunächst keine Stellungnahme ab. Unklar ist demnach vorerst auch, inwiefern die Staatsanwaltschaft in Absprache mit der Justizverwaltung gehandelt hat. Noch im September vergangenen Jahres hatte der Leiter der Staatsanwaltschaft Jörg Raupach im Rechtsausschuss dargelegt, warum bei den Aktionen der Letzten Generation die gesetzlichen Voraussetzungen für solche Verfahren gerade nicht vorliegen.
Scharfe Kritik kam vom rechtspolitischen Sprecher der Linksfraktion Sebastian Schlüsselburg: „Wenn jetzt beschleunigte Verfahren nach § 417 StPO gegen Demonstranten der Letzten Generation durchgeführt werden, stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft politisch instrumentalisiert wird“, sagte er. Schlüsselburg kündigte an, Akteneinsicht zu nehmen, um nachzuvollziehen, wie es zu dieser „Kehrtwende“ gekommen ist: „Ich hoffe sehr, dass es hier keine politische Einflussnahme gegeben hat.“
Auch von der rechtspolitischen Sprecherin der Grünen, Petra Vandrey, kam Kritik. Bei den Klimaprotesten handele es sich um „komplexe Sachverhalte und eine schwierige Beweislage“, sagte sie. Schnellverfahren eigneten sich dafür gerade nicht. Damit wäre eine Aushöhlung des Rechtsschutzes für die Betroffenen zu befürchten. Dies hält Vandrey für „rechtsstaatlich bedenklich“. Vandrey sagte weiter: „Der Rechtsstaat darf mögliche Straftaten im Zusammenhang mit Klimaprotesten nicht anders behandeln als andere Straftaten. Der Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass vor den Gerichten alle gleich behandelt werden.“
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