Bericht zum Betriebsklima erschienen: Der NDR ist ein Bürokratiemonster
Starre Strukturen und Angst vor Veränderung: Ein Bericht hält dem Landesfunkhaus Kiel den Spiegel vor. Besonders für Freie ist die Lage schwierig.
Nein, ein „Klima der Angst“ habe er nicht feststellen können, sagt Stephan Reimers, der vom NDR beauftragte Autor des Berichts. Aber es gebe „Menschen mit Angst und Sorgen“, sagt der ehemalige Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche bei der Bundesrepublik, der in den 1990er Jahren Mitglied im NDR-Rundfunkrat war.
Gründe für die Unsicherheit im Haus sind laut dem Bericht die Transformation vom Radio- und TV-Sender zu einem crossmedialen Haus, Führungskräfte, die an ihren Aufgaben scheitern und intransparente Entscheidungen. Knapp gesagt: Der NDR-Fisch stinkt vom Kopf her.
Besonders für Freie sei die Lage schwierig: Viele berichten von einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“, dabei sind die Nicht-Angestellten in den für das Programm relevanten Bereichen sogar in der Mehrheit. Auf 1.048 feste kommen 1.256 freie Mitarbeiter*innen, heißt es im Bericht. Die Freien verdienen durchaus gut – vor allem gemessen an journalistischen Honoraren im Print- oder Online-Bereich – aber über ihren Köpfen schwebt das „Damoklesschwert“ der Befristung.
Nach 15 Jahren arbeitslos
Denn um zu verhindern, dass sich langjährige Freie auf eine feste Stelle einklagen, müssen selbst beliebte und bewährte Kräfte irgendwann raus. „Nach 15 Jahren werden die Freien rausgekickt. Wir lassen die Leute in die Beschäftigungslosigkeit laufen. Das ist menschlich so schlecht“, sagt ein Angestellter. Wer die 15-Jahres-Grenze erreicht, bekommt zu hören: „Sorry, dein Vertrag ist toxisch.“ Dabei sei die Angst des NDR vor Klagen absurd, betont ein Freier. Die meisten seien sehr zufrieden mit dem Status.
Denn das ist die Kehrseite: Wer den Sprung in die Festanstellung schafft, arbeitet in der Regel nicht mehr journalistisch, sondern verbringt seine Arbeitstage mit Planung und der Abnahme von Beiträgen. „Warum keine Rotation, warum so starre Regeln?“, fragen Beschäftigte.
Weil, das steht an anderer Stelle im Bericht, das Funkhaus eine Art Bürokratiemonster ist, in dem sich eine „immense Binnenkomplexität mit starren Strukturen, bürokratischen Prozessen und vielen Regeln entwickelt“ habe. „Wir haben eine fast aggressive Bewahrungskultur“, lautet ein Zitat.
Eigentlich sei allen klar, dass das Haus und das Programm sich wandeln muss. Doch die Angst vor der Veränderung ist groß, lässt sich aus dem Bericht ablesen – davor, dass sie kommt, und davor, dass sie nicht schnell genug kommt. „Viele Führungskräfte sind mit der Wucht der Veränderungen überfordert“, lautet ein Fazit.
Stefan Endter, DJV
Ein NDR-Freier fasst gegenüber der taz zusammen: „Der Klimabericht bestätigt mich nur in meiner Überzeugung und meinen Beobachtungen der vergangenen Jahre, dass im NDR etwas schiefläuft.“ Es komme nun darauf an, was aus den Ergebnissen gemacht werde.
Vieles, verspricht Intendant Joachim Knuth. Der Bericht habe „einen Spiegel vorgehalten, und es gibt Ansichten, die nicht schön sind“, heißt es auf der Homepage des Senders. Nun gelte es, „blockierende Muster zu verstehen und dann zu ändern“. Dafür soll die Stelle einer „Prozessmanager*in“ geschafften werden.
„Wir haben gehört, dass der Intendant zusammen mit den Mitarbeitenden die Probleme anpacken will“, sagt Stella Peters vom Redaktionsausschuss des NDR. „An dem Versprechen werden wir den Intendanten messen.“ Ähnlich klingt ein Statement des Betriebsrats Thomas Mann-Raudies: „Jetzt muss es darum gehen, vorauszuschauen und den Prozess anzustoßen, damit wir irgendwann wieder zu einem guten Klima im NDR kommen.“
Der NDR sei gut beraten, die Kritik der Mitarbeitenden und die Veränderungsvorschläge des Reimers-Berichtes sehr ernst zu nehmen, heißt es vom Journalistenverband (DJV) Nord. Das gelte auch für die Sorgen der Freien, die ja einen unverzichtbaren Beitrag für das Programm leisteten. „Als DJV werden wir sehr genau verfolgen, wie sich das Klima im NDR entwickelt“, sagt Geschäftsführer Stefan Endter.
Es ist bereits der zweite Bericht über die internen Abläufe und die Stimmung im NDR. Einen ersten hatte im Oktober 2022 die Beratungsfirma Deloitte vorgelegt, die vom Rundfunkrat beauftragt worden war. Das Ergebnis lautete, dass zwar Einzelne versagt hätten, aber keine systematischen oder bewussten Fehler in der journalistischen Arbeit zu finden seien.
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