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Bericht von SozialverbandArmut erreicht neuen Höchststand

Die Coronafolgen sowie steigende Lebensmittel- und Energiepreise treiben Millionen Menschen in die Armut. Der Paritätische fordert gezielte Hilfen.

Mehr Bedürftige, weniger Lebensmittel: Auch die Tafeln schlagen angesichts der aktuellen Lage Alarm Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin dpa/epd | Die Corona-Pandemie hat die Armut auf einen neuen Höchststand getrieben. Dem Paritätischen Gesamtverband zufolge ist die Armutsquote 2021 auf 16,6 Prozent geklettert, wie aus seinem aktuellen Armutsbericht hervorgeht, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Damit hatten 2021 knapp 14 Millionen Menschen in Deutschland kein sicheres Auskommen. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, sagte, die Armut sei noch nie so rasant gestiegen wie in den beiden Pandemie-Jahren. Das habe auch ihn selbst überrascht.

So nahm die Einkommensarmut dem Bericht zufolge ungewöhnlich stark unter Erwerbstätigen zu. Bei Selbstständigen, die in der Pandemie besonders hohe Einbußen hatten, stieg die Armutsquote von 9 auf 13,1 Prozent. Höchststände wurden auch bei Rentnerinnen und Rentnern mit einer Armutsquote von knapp 18 Prozent und bei Kindern und Jugendlichen mit rund 21 Prozent registriert. Damit sei die Kinderarmut so hoch wie noch nie, sagte Schneider.

Im Jahr 2020 lag die Armutsquote noch bei 16,1 Prozent. Sie war trotz der Pandemie nur leicht gestiegen, was auf die Wirksamkeit der damaligen Corona-Hilfen zurückgeführt wurde. Jetzt hingegen schlügen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und die stark steigenden Lebenshaltungskosten voll durch und träfen die Schwächsten, erklärte Schneider. Er forderte gezielte Hilfen für diese Menschen und kritisierte die Entlastungspakete der Ampel-Regierung als ungerecht.

Er habe kein Verständnis dafür, dass Unterstützung dort geleistet werde, wo sie überhaupt nicht gebraucht werde, sagte Schneider und nannte als Beispiele den Tankrabatt und die Abschaffung der EEG-Umlage, die vor allem jenen zugutekämen, die einen hohen Stromverbrauch im Eigenheim und einen SUV vor der Tür hätten, sagte Schneider. Für diese Haushalte seien die hohen Preise höchstens ärgerlich, stürzten sie aber nicht in Not.

Scharfe Kritik an Hartz-IV-Satz und Entlastungspaket

Demgegenüber werde die völlig unzureichende Einmalzahlung von 200 Euro an Grundsicherungsbezieher von der Inflation aufgefressen sein, noch bevor sie ausgezahlt werde, kritisierte Schneider. Er forderte eine Erhöhung des Regelsatzes um 200 Euro monatlich. Bei einer Inflationsrate von knapp acht Prozent entspreche der Hartz IV-Satz von 449 Euro derzeit noch einer Kaufkraft von 414 Euro im Vergleich zum Vorjahr. 1,6 Millionen Menschen müssten sich inzwischen an den Tafeln mit Lebensmitteln versorgen.

Außerdem forderte Schneider die Koalition auf, das Wohngeld und das Bafög zu erhöhen, um zielgenau zu helfen. Wenn die Regierung nicht handele, drohe Deutschland „am unteren Einkommensende schlicht zu zerbrechen“, warnte er. Tief gespalten zeigt sich dem Armutsbericht mit dem Titel „Zwischen Pandemie und Inflation“ zufolge Deutschland auch regional. Besonders niedrige Armutsquoten haben, mit Bayern auf Platz 1 (12,6 Prozent), Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und neuerdings auch Brandenburg.

Am unteren Ende bewegen sich Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin, sowie abgeschlagen auf dem letzten Platz Bremen mit einer Armutsquote von 28 Prozent. Die Region, in der sich die größte Zahl armutsbetroffener Menschen ballt, bleibt das Ruhrgebiet. Im Länderranking läge es mit einer Armutsquote von 21,1 Prozent auf dem zweitletzten Platz vor Bremen. Die Berechnungen des Verbandes beruhen auf Daten des Statistischen Bundesamts.

Die Armutsquote gibt Auskunft darüber, wie viele Personen mit ihrem gesamten Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland zur Verfügung haben. In der Regel verfügen sie über keine Rücklagen, kommen durch unvorhergesehene Ausgaben in Not und können sich Extras wie Kino, Urlaub oder Hobbys nicht leisten, wodurch sie und ihre Kinder vom normalen Leben abgehängt werden. Dieser relative Armutsbegriff wird EU-weit für statistische Berechnungen der Verbreitung von Armut in den Mitgliedsländern angewendet.

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17 Kommentare

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  • taz: "Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, sagte, die Armut sei noch nie so rasant gestiegen wie in den beiden Pandemie-Jahren. Das habe auch ihn selbst überrascht."

    Der Reichtum der Reichen ist aber auch gestiegen, und dass ist doch schließlich viel wichtiger als die zig-Millionen "Hungerleider" in Deutschland und der Welt. 'Die Corona-Pandemie hat die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht', sagt die Organisation Oxfam und fordert ein Gegensteuern der Regierungen weltweit. Während sich das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre zwischen März 2020 und November 2021 verdoppelt habe, leben mehr als 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut. Oxfam fordert von den Regierungen weltweit, Konzerne und Superreiche zur Finanzierung sozialer Grunddienste stärker zu besteuern, für globale Impfgerechtigkeit zu sorgen und die Wirtschaft am Gemeinwohl auszurichten. Auch in Deutschland sollten Vermögende stärker in die Pflicht genommen werden.

    'Vermögende stärker in die Pflicht nehmen' wird es mit der 11,5-Prozent-Partei-FDP nicht geben. Für arme Menschen gibt es doch schließlich die 956 Tafeln in Deutschland, an denen monatlich 1,65 Millionen arme Menschen anstehen müssen, um nicht hungern zu müssen. So schaut in diesem Land soziale Gerechtigkeit nun einmal aus. Die Reichen werden immer reicher und die Armen dürfen an der Essentafel anstehen. Nun ja, so lange wir gewisse "Volksvertreter" mit dicken Diäten (Abgeordnetenentschädigung) und Ministergehältern durch ihr Leben schleppen, wird sich nichts ändern, denn die sind ja finanziell gut versorgt und müssen sich nicht an eine der 956 Tafeln anstellen.

    • @Ricky-13:

      'Vermögende stärker in die Pflicht nehmen' wird es mit der 11,5-Prozent-Partei-FDP nicht geben" - z.Z. ist die FPD auf 6% abgerutscht.



      www.wahlrecht.de/umfragen/

    • @Ricky-13:

      Die Frage ist nun, wann die Armen anfangen zu wählen bzw aufhören FDP und ihre Freunde zu wählen.

  • Die LINKE hier noch mal ausführlicher:



    "Das LINKE Entlastungspaket "



    www.die-linke.de/s...-entlastungspaket/

  • Hallo, wir wollen jetzt erstmal Krieg führen für unsere Demokratie und Freiheit. Da muss man sich auch mal hinten anstellen mit seiner Gier nach einem halbwegs normalen Leben. Die armen Konzerne wissen schon gar nicht mehr wie sie ihre 2 stelligen Milliardengewinne sonst noch herbeizaubern sollen. Also Leute mal Arsch zusammkneifen und für unsere arme, arme, arme Wirtschaft und speziell Rüstungsindustrie mal bissel weniger essen und trinken. Sie werden es ganz bestimmt irgendwann danken..

    *kannganzleichteSpurenvonSarkasmusenthalten*

  • LINKE fordert Übergewinnsteuer.



    www.linksfraktion....armutsbekaempfung/

    Butterwege wird ausführlicher:



    "Sinnvoll wäre eine Verdopplung des Solidaritätszuschlages für jene zehn Prozent der Steuerpflichtigen, die ihn noch zahlen müssen. Wer als Lediger beispielsweise 86.000 Euro brutto im Jahr verdient, kann statt 500 Euro auch einen »Krisensoli« in Höhe von 1.000 entrichten, ohne Entbehrungen auf sich nehmen zu müssen. Entscheidend ist, dass der Solidaritätszuschlag nicht bloß auf die Einkommensteuer, sondern auch auf die Kapitalertragsteuer und die Körperschaftsteuer großer Unternehmen erhoben wird. Damit neben den Einkommensstarken auch die Vermögenden mehr finanzielle Verantwortung übernehmen, könnte eine Vermögensabgabe eingeführt werden, die zehn Prozent verteilt über fünf Jahre betragen sollte. Hohe Freibeträge für Familienmitglieder wie bei der Erbschaftsteuer – 500.000 Euro für Ehegatten und 400.000 Euro pro Kind – würden verhindern, dass Angehörige der Mittelschicht mehr Steuern zahlen müssten.



    www.jungewelt.de/a...-kasse-bitten.html

    Campact-Petition, initiiert von #IchBinArmutssbetroffen nähert sich 15.000 Unterschriften.



    weact.campact.de/p...n-schafft-armut-ab

  • Was die Armutsqupte, aufgrund ihrer Definition gar nicht abbilden kann sind die höheren Lebenshaltungskosten. Dadurch steigt relative Armut nicht an, dennoch sind absolut gesehen mehr Menschen arm. Also ist das Problem sogar noch gravierender als beschrieben.

  • Ich fürchte, dass unsere lieben Polits in den exakt 100 zurückliegenden Jahren nichts gelernt haben.

    Die Player sind heute andere - aber die Mechanismen sind exakt die selben.



    Und wenn man dann zehn Jahre weiter nach vorne blickt weiß man, was uns erwartet, falls die Polits nicht endlich wach werden und nicht endlich aufhören den Eliten das Kapital zuzuschaufeln.

    Der Sozialismus / Kommunismus hat versagt - aber der Kapitalismus hat nicht nur versagt sondern er reißt die ganze Welt ins Verderben.

    Und wenn wir nicht in der Lage sind Neues zu erdenken, wird uns das in den Abgrund reißen. Definitiv !

    Ich kann einfach nicht glauben dass es zwischen Raubtierkapitalismus und Spinnereisozialismus keinen Weg geben soll, der eine Zukunft hat.

  • Wie schwer kann es dann sein!!!



    Die Antworten heißen Zusammenhalt, Solidarität und Umverteilung.



    Nur so kommen wir als stabile Gesellschaft auch durch schwierige Zeiten.



    Dass einige sich durch Krieg und Pandemien bereichern während andere davon leiden läuft in eine ganz falsche Richtung und schafft schlechte Laune, schlechte Stimmung und Konflikte.



    Ich denke das ahnt sogar manche FDP- und CDU-WählerInnen.

    • @Nilsson Samuelsson:

      Auch das 100 Mrd-Paket für Aufrüstung setzt den falschen Schwerpunkt.

      Deswegen eine Demo am 02.07.2022 in Berlin, die u.a. fordert.

      "Das Aufrüstungspaket ist gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung weltweit gerichtet. Es geht einher mit gesteigert unsozialer und autoritärer Politik, mit Nationalismus und Chauvinismus. Die ohnehin enorme Ungleichheit wächst weiter. Profiteure sind einzig die Chefetagen von Banken und Rüstungskonzernen. (...).



      Allein mit je 20 Milliarden in die öffentliche Energie- und Verkehrsinfrastruktur, in die Sanierung von Schulen und Hochschulen, in den personellen Ausbau des Gesundheitswesens, in sanktionsfreie soziale Mindestsicherungen und in die Förderung von Museen, Theatern, Kinos und Bücherhallen würde ein notwendiger Schritt zur Lösung der vordringlichsten Probleme der Mehrheit getan."



      zivilezeitenwende.de/

  • Die Definition von Armut als "Einkommensarmut" kaschiert die noch viel größeren Ungleichheiten bzgl der Vermögens. Da sind auf der einen Seite riesige Vermögen von ganz wenigen. Auf der anderen Seite eine breite Masse von Menschen ohne jegliches Vermögen, die von der Hand in den Mund leben muss - ja sogar überschuldete Haushalte. So etwas gehört in einen vollständigen Bericht unbedingt mit rein.

    • @Winnetaz:

      Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung behandelt das Thema Ungleichheit. Im Artikel geht es aber ausschließlich um Armut

  • Und was tut diese Regierung dagegen, null komma garnichts, vorgebliche Sozialdemokraten, grüne Bourgeoisie und wirtschaftsliberale Freidreher werden daran nichts ändern. Politiker wären besser beraten wenn ihre Tätigkeit mit dem Medien-Einkommen vergütet würde - ohne Möglichkeit von Nebeneinkünften, ohne jegliche Pensionsansprüche, denn die sollten sie, frei nach ihrem eignen Vorschlägen, allein davon privat erwerben müssen!

    • @Moe479:

      Srry, fall von falscher Autokorrektur: M_e_d_i_A_n-Einkommen für Politiker, d.h. das was die meisten bekommen. Das ist hier in Deutschland deutlich weniger als der Durchschnitt! Das sollten unsere Politiker sich doch wert sein, damit sie dauerhaft motiviert werden genau diesen Missstand zu beheben!

  • RS
    Ria Sauter

    Interessiert das jemand , politisch gesehen?



    Mit einem Gedächnisverlust bei einem Milliardenverlust wird Mann sogar Kanzler.



    700 im Bundestag müssen ja auch noch bezahlt werden durch Steuergeld.



    Also nicht jammern, schuften!

    • @Ria Sauter:

      Schön, dass dies noch jemand so sieht wie ich.