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Belarussisch-polnische GrenzeGetrieben von Angst

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die EU will die Flüchtlinge nicht haben und sieht von Kritik an Polen ab. Moralisch richtig wäre es, ein Verteilungsprogramm zu initiieren.

Polnische Soldaten an der Grenze zu Belarus in der Region Grodno Foto: Leonid Scheglov/BelTA/reuters

I n diesen Tagen zeigt sich der Effekt, den die vollständige Sperrung des östlichen Grenzgebiets durch die polnische Regierung hat: Sie allein kontrolliert die Bilder, die dort entstehen. Zu sehen sind Milizionäre, Truppenbesuche von Ministern in Tarnjacken. Es sind Bilder wie aus einem Krieg, und ein Krieg eint nach innen, gegen den äußeren Feind. Das ist der Nutzen, den die im eigenen Land derzeit nicht allzu beliebte Regierungspartei PiS aus dem Konflikt zieht.

Dazu passt, dass Polens Botschafter in Berlin gegenüber der Jungen Freiheit raunt, schon bald könne „der erste Schuss fallen“. Auch Lukaschenko produziert Bilder – von großen Märschen Geflüchteter, als handele es sich tatsächlich um Truppen, um Angreifer, wie von Polen behauptet wird. Die PiS kann dabei gelassen bleiben. Sie profitiert von der Eskalation. Der Druck, den Alexander Lukaschenko und Russland aufbauen, verlagert sich auf den Rest der EU. z

Dass diese mit Flüchtlingen tatsächlich erpressbar ist, hat ein anderer Diktator, nämlich Recep Tayyip Erdoğan, erfolgreich demonstriert. Und die EU bestätigt diese offene Flanke jeden Tag durch die Panik, die Flüchtlinge vor den Grenzen auslösen – und ihre Unfähigkeit, einen Umgang mit diesen zu finden. Von 2015 bis heute hat sie keinen Modus entwickelt, um deren Ankunft halbwegs menschenwürdig zu gestalten und die entstehenden Lasten zu verteilen.

Polen zu kritisieren wagt deshalb niemand – denn niemand will die Flüchtlinge haben. Eine Antwort, die zu den eigenen moralischen Standards und Rechtspflichten passt, gibt es aus der EU nicht. Ihr fiel nichts anderes ein, als die Sanktionen gegen Belarus am Dienstag zu verschärfen. Nichts spricht dafür, dass Lukaschenko einknickt – es läuft viel zu gut für ihn. Was der EU bleibt, ist die Angst: vor der anhaltenden moralischen Bloßstellung und vor der politischen Ausbeutung der Lage durch rechte Populisten.

Die AfD etwa postet derzeit weidlich Bilder aus dem Reich Lukaschenkos und erklärt diese zum Werk der angeblich von Deutschland „2015“ ausgesprochenen Einladung an „die ganze Welt“. Auch die CDU nutzt die Situation aus und warnt die Ampel mit Blick auf Belarus davor, die Bezüge für Flüchtlinge auf Hartz-IV-Niveau anzuheben.

Aus den Reihen der Ampel war am Dienstag „Nein zu Pushbacks“ und „Ja zu Solidarität“ zu hören. Für Deutschland kann das nur heißen, eine Initiative für ein Verteilungsprogramm zu starten, um Polen einen Teil der Ankommenden abzunehmen. Dabei werden derzeit nur wenige Staaten mitziehen. Ob sich die Ampel dies trotzdem traut, ist die große Frage – und ob Polen dies überhaupt zulassen würde, leider auch.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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16 Kommentare

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  • "Moralisch richtig wäre es, ein Verteilungsprogramm zu initiieren." Die Überschrift dreht mir schon den Magen um: Moralisch richtig?

    Durch Menschenrechte und europäisches Recht vorgeschrieben! Asyl in der EU zu beantragen ist kein Verbrechen.

    Es ist schon erstaunlich, wie leicht Lukaschenko die EU zum ideellen Offenbarungseid zwingen kann. Den Menschen, die in dieses tödliche Spiel geraten sind, muss schnellstmöglich geholfen werden.

  • Die EU hätte sich - aus meiner Sicht - längst von Polen trennen müssen. Die Pushbacks durch polnische Schergen sind nur ein weiteres Indiz dafür, dass sich Polen nicht an europäisches Recht hält.

  • Willkommen in einer Phantasiewelt..

    "ein Verteilungsprogramm zu starten, um Polen einen Teil der Ankommenden abzunehmen"

    Polen wird, ausser zu Erpressungzwecken, noch nicht mal ein Teil "behalten".

    Und Lukashenkov wird auch dann nicht stoppen, wenn diese paar Tausend aufgenommen werden. Es ist für ihn einfach, jeden Tag Tausend einfliegen zu lassen und dabei noch abzukassieren. Das sind dann mindestens 300 k / Jahr und da dürfte dann auch in Kommunen in D die Grenze erreicht sein.

    • @fly:

      Hallo Fly,



      ich teile die Ansicht, dass es sogar schwierig sein dürfte, Polen dazu zu bringen, die Menschen auch nur durchreisen zu lassen - selbst wenn D oder andere EU-Staaten die Prüfung des Asylanspruchs im Rahmen einer (in Recht umgesetzten) Übereinkunft an sich ziehen und Polen garantieren, die Verantwortung zu übernehmen. Denn die PiS ist viel zu sehr daran interessiert, sich gegenüber Flüchtlingen und der EU als "harter Hund" darzustellen. Leider.



      Versuchen müsste man es aber erst einmal, um sagen zu können, dass es nicht funktioniert, oder nicht?



      Dann zum von Ihnen angeführten "Sog-Effekt": es wird häufig geäußert, dass bei Aufnahme einiger nur noch mehr Menschen die gefährliche Reise auf sich nähmen. Die Argumentation erscheint mir aber arg pauschal. Klar, hier kann man weniger ausprobieren, schließlich experimentierte man dann mit dem Schicksal ebendieser Menschen, die sich möglicherweise hoffnungsvoll auf den Weg begäben.



      Ich bin mir aber nicht sicher, ob diese Argumentation bei der aktuellen Situation greift. Wie viele Menschen kann Lukaschenko überhaupt schleusen (die Menschen brauchen auch das Geld, um sich etwa Flugtickets leisten zu können, das können nicht alle Flüchtenden oder Migrationswilligen, der einzige internationale Flughafen: Minsk), wie viele, bevor die ohnehin aufgebrachte belarussische Bevölkerung ihm (noch mehr) aufs Dach steigt? Die von Ihnen angeführten 300.000 Personen jährlich scheinen mir aus der Luft gegriffen, oder haben sie eine seriöse Schätzung, welche Kapazitäten Lukaschenko hätte? Eine solche wäre sehr hilfreich.



      Notfalls ließe sich die Aufnahme auch mit etwas "Vorwarnzeit" beenden.



      Abgesehen davon sind 300.000 Menschen vielleicht nicht so viele, wenn man einige aufnahmewillige EU-Staaten findet. Ich erinnere mich daran, dass man für D mal 200.000 Menschen (aus Nicht-EU-Staaten) pro Jahr als "Obergrenze" der verträglichen Einwanderung ausgemacht hatte.

      LG



      Fratercula

  • Die EU darf sich nicht von einem Diktator erpressen lassen. Es ist bitter, dass die Flüchtlinge darunter leiden müssen. Aber die einzige sinnvolle Lösung, dass die Leute über ihr Heimatland emigrieren dürfen.

    Wir sollten uns aber auch endlich eingestehen, dass wir nicht alle, die nach Norden wollen, aufnehmen können.



    Wichtig wäre eine Unterstützung des armen Süden, damit die Leute eine bessere Perspektive zuhause bekommen. zB große Investitionen in Afrika, damit die Staaten grünen Wasserstoff produzieren/ exportieren können

  • Auch hier vermeidet der Autor eine unbequeme Wahrheit. Die Verteilung der Flüchtlinge/Migranten auf europäische Länder ist von den Flüchtlingen gar nicht gewollt. Von unseren europäischen Partnern erst recht nicht. Wie kann das also funktionieren?

    Darüber schweigen sich sämtliche Kommentatoren der Zeitungen, aber auch Politiker aus die eine europäische Lösung fordern.

  • Moralisch richtig und nachhaltig wäre es , den Staatslenkern aus denen diese Flüchtlinge kommen, ein menschenwürdige Politik abzuverlangen. Die Flüchtlinge kommen zu uns, weil wir die Guten sind.

    • @Elfi:

      "Die Flüchtlinge kommen zu uns, weil wir die Guten sind"



      Da bin ich mir nicht so ganz sicher, ob wir wirklich die Guten sind. Was wir allerdings sind, wir exportieren Waffen in die Länder, die von Diktatoren beherrscht werden.



      Nicht vergessen, unsere Demokratie Exprimente, die wir dort betrieben haben. Das sind die Ursachen, unter den die Menschen leiden bzw. weg wollen. Ich weiß, das ist ein altes Lied, aber so ist das mindestens ein Teil der Wahrheit.

  • Und Polen wird die EU mit den Flüchtlingen bald erpressen oder tut es bereits. Entweder ihr akzeptiert die Entscheidungen der polnischen Regierung - auch wenn sie gegen die Gesetze der EU verstößt -, oder wir lassen die Flüchtlinge aus Weißrussland nach DE und woanders weiterziehen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Ich kann dieses ständige gerade von Verteilubg nicht mehr hören, weder wollen das andere EU Staaten, noch wollen das die grenzstaaten (weil dann immer mehr kommen),noch wollen es die Menschen die da kommen die wollen nicht nach Rumänien oder Lettland die wollen nach Deutschland und Schweden. Man sollte hier offen argumentieren Deutschland müsste alle aufnehmen und alle die sich danach auf den Weg machen weil die Route über Belorussland führt ja scheinbar nach Deutschland.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Richtig! alle aufnehmen! Warum haben andere kein Recht auf ein Leben, das so gut ist, wie unseres und wer sind wir, das zu entscheiden?

  • „Für Deutschland kann das nur heißen, eine Initiative für ein Verteilungsprogramm zu starten, um Polen einen Teil der Ankommenden abzunehmen“



    Genauso stellt sich das wohl auch Lukaschenko vor: ER legt die Spielregeln fest, D. und die EU mögen sich gefälligst um das Verteilungsprogramm kümmern. Und ER sorgt immer für genügend „Nachschub“ und ER wird sich selbst am Ende einen Orden anheften. Weil er den „Westen“ gezwungen hat, das vom „Westen“ verursachte Flüchtlingsproblem zu lösen. Vielleicht wird er der EU auch noch die Kosten aufdrücken, die Belarus mit den Flüchtlingen hatte (einschl. Flugtransfers)!

  • Es ist zum Heulen. Von Putin über Lukaschenko und der PiS via der widerlichen völkisch-Konservativen aller Couleur in der EU zu den klassisch-konservativen à la CDUCSU, EVP usw, eine grosse zynische Allianz gegen die Menschlichkeit (und letzlich gegen die Demokratie selbst).

    Wir finanzieren das über grosszügige Gasimporte aus... naja, Ihr wisst schon. Damit kann Putin sich nämlich leisten, seinen armen gedrängten Bruder Lukaschenko unter die Arme zu greifen, dem so langsam die Kohle ausgeht, seine netten OMON zu finanzieren.

    Die "Last", noch ein paar Flüchtlinge in der EU aufzunehmen wäre verschwindend gering im Vergleich zu dem, was uns diese schmutzigen Deals kosten.

    Ich sehe nur eine Chance: bei der Verteilung der Flüchtlinge auf die EU die Nationalstaaten zu



    umgehen. Die Kommunen (die ja schliesslich die Integrationsarbeit leisten) entscheiden selbst und bekommen direkt die Zuwendungen von der EU.

    Käme billiger als Frontex, Stacheldraht, Milliarden an Erdoǧan hier, Zugeständnisse an die PiS da.

    So wie es jetzt ist, mit diesem verkacktem (sorry) Dublin, wird der ganze Mist nur für nationalistische Rhetorik missbraucht. Und da ziehen Putin, Lukaschenko, Erdoǧan, Orbán, Kaczyński, Salvini, Zemmour, Höcke, und schliesslich (leider!) auch Schäuble und Seehofer an einem Strang.

    Oh, und Bannon und Trump. Bestimmt habe ich noch ein Paar vergessen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Moralisch richtig wäre es, sich nicht mit Diktatoren ins Bett zu legen und Staaten mit demokratischen Strukturen zu unterstützen. Dann gäbe es kaum ein Flüchtlingsproblem.



    Aber nein, es mussten ja von der Linken Putin, Xi, Chavez und Ortega unterstützt werden. Von der Rechten die Taliban, Pinochet und die ganzen afrikanischen Diktatoren.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Hm, wir haben genau das getan, was Sie sagen.



      Regime-Change in Lybien, Syrien, Irak.



      Und genau DAS hat die Flüchtlingskrisen provoziert.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Kartöfellchen:

        Wir haben in Syrien nichts substantiellen gemacht, in Libyen auch nicht und beim Irak baute es auf Lügen auf.



        Assad, Gaddafi und Hussein wurden von den Russen aufgebaut.