Bedrohtes Machtgefüge in den USA: „Demokratie droht der Todesstoß“
Das Oberste US-Gericht will bald den Fall „Moore v. Harper“ verhandeln. Dessen Ausgang könnte nicht nur für die Wahl 2024 weitreichende Folgen haben.
„Es könnte der Todesstoß für die Demokratie sein“, mahnt die Jura-Professorin Catherine Ross gegenüber der taz. Sie ist an der George Washington University in Washington auf Verfassungsrecht spezialisiert.
Das US-Nachrichtenportal Vox.com titelte sogar, dass der Fall „Moore v. Harper“ die „größte Bedrohung für die US-Demokratie sei“ seit dem Angriff auf das US-Kapitol am 6. Januar des vergangenen Jahres.
Damals stürmten Hunderte zum Teil bewaffnete Anhänger von Präsident Donald Trump das Parlamentsgebäude, um die Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden zu verhindern. Der Grund dafür war die von Trump verbreitete Lüge von einer gestohlenen Wahl.
Supreme Court könnte Gewaltenteilung gefährden
Die Aufarbeitung dieser Ereignisse hat das Vertrauen von vielen Amerikanern in die Demokratie erschüttert. Doch nun könnte auch noch eines der Grundprinzipien der US-Demokratie wegbrechen, sollte die konservative Mehrheit der Richter am Supreme Court das System der Gewaltenteilung infrage stellen.
In dem Fall „Moore v. Harper“ geht es um die Frage, wie viel Freiheiten die einzelnen Bundesstaaten haben, Wahlen zu organisieren. Eine Entscheidung zugunsten der Kläger wäre laut Ross eine absolute Katastrophe für die Demokratie.
„Keine gerichtliche Überprüfung von manipulierten Wahlkreisen, eine Praxis die auch als Gerrymandering bekannt ist. Das hieße, dass Wahlkreise so gestaltet werden können, dass ein Wahlsieg für die an der Macht befindliche Partei praktisch garantiert ist.
Außerdem könnte es den Parlamenten in den Bundesstaaten erlaubt werden, die Stimmen der Wähler bei Präsidentschaftswahlen einfach zu überstimmen. Einige Bundesstaaten arbeiten schon an entsprechenden Gesetzen“, so Ross. Auch könnte die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung unerlaubter Wahleinschränkungen stark begrenzt werden.
Wahlmanipulation durch „Gerrymandering“
In „Moore v. Harper“ geht es im Speziellen um einen durch Gerrymandering manipulierten Wahlkreis in North Carolina. Die Grenzziehung hätte der republikanischen Partei einen „extremen“ Wahlvorteil verschafft und wurde deshalb vom höchsten Gericht North Carolinas für ungültig erklärt.
Das Argument der Gegenseite lautet, dass der Supreme Court in North Carolina gar nicht berechtigt sei, den von Politikern:innen gestalteten Wahlkreis für rechtswidrig zu erklären. Die Basis dafür ist eine Theorie, die auf einer äußerst simplen Auslegung der US-Verfassung basiert.
In der Verfassung steht, dass Zeiten, Orte und Verfahren der Wahl von Senatoren:innen und Abgeordneten:innen von der Legislative in den einzelnen Bundesstaaten bestimmt werden sollen. Das gelte auch für Präsidentschaftswahlen.
Während der letzten 106 Jahre hat der Oberste Gerichtshof diese Deutung der Verfassung, die auch als „Independent State Legislature Doctrine“ bezeichnet wird, mehrfach zurückgewiesen.
Die Richter:innen haben unter anderem argumentiert, dass Gesetze zur Organisation von Wahlen der gleichen Gewaltenteilung unterliegen wie alle anderen Gesetze in einem Bundesstaat auch – Legislative, Exekutive und Judikative.
Ankündigung des Gerichts sorgt für Verunsicherung
Trotzdem hat die Bekanntgabe, dass das höchste Gericht den Fall „Moore v. Harper“ im Oktober verhandeln werde, für Verunsicherung gesorgt. Das liegt vor allem daran, dass sechs der neun Richter und Richterinnen am Supreme Court ideologisch eher konservativ sind. Vier von ihnen haben schon Versionen der „Independent State Legislature Doctrine“ befürwortet.
Richter Neil Gorsuch, der von Trump zum Obersten Gerichtshof berufen wurde, erklärte in einem Fall bezüglich des Stichtags zur Briefwahlabgabe in Wisconsin im Jahr 2020, dass die US-Verfassung die Hauptverantwortung für die Wahlorganisation der Legislative eines Bundesstaats zuschreibt und nicht den Richtern, den Gouverneuren oder anderen Amtsträgern.
Eine Entscheidung zum Fall „Moore v. Harper“ wird im Sommer 2023 erwartet. Sollten die Richter:innen der Klage tatsächlich zustimmen und somit die Möglichkeiten zur Wahlkontrolle einschränken, könnte dies gravierende Folgen für die Präsidentschaftswahl 2024 haben und die US-Demokratie, die am 6. Januar 2021 ins Wanken geriet, endgültig zu Fall bringen.
„Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass dies eine entsetzliche Perspektive für eine verfassungsgemäße Regierungsform wäre“, so Ross.
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